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Stephen King und die kurzweilige Leichtigkeit des Seins

13.11.2018, 07:04
Bestsellerautor Stephen King zeigt sich von einer unbekannteren Seite. Foto: Maja Hitij
Bestsellerautor Stephen King zeigt sich von einer unbekannteren Seite. Foto: Maja Hitij dpa

Berlin - Fiese Clowns, Zombies, Psychopathen: Das ist der Stoff, aus dem Stephen Kings Romane normalerweise gestrickt sind. Millionen Menschen in aller Welt hat er damit begeistert und gleichzeitig um ihren Schlaf gebracht.

Kings neues Werk „Erhebung” dreht sich nun um ein Thema, das - sagen wir mal vorsichtig - eher selten den Eingang in die Romanwelt findet, auch wenn es durchaus als Stoff für eine Horrorgeschichte taugen mag: Gewichtsprobleme bei Männern.

Das klingt lapidarer, als es ist. King wäre nicht King, wenn er es nicht schaffen würde, den Leser innerhalb weniger Seiten in die Geschichte hineinzuziehen. Diese Gewichtsprobleme verknüpft er auf gerade einmal 144 Seiten fix mit der Borniertheit einer US-Kleinstadt in Zeiten eines Präsidenten Trump, mit Homosexualität und - na klar, ist ja schließlich ein King - auch mit Ängsten und dem Tod.

Im Zentrum des neuen Werks steht der wohlgenährte Scott, der rasant an Gewicht abnimmt, seine Gestalt aber nicht verändert. Während die Pfunde purzeln, bleibt Scotts Wampe, was sie ist: eine Wampe. Ein medizinisches Phänomen? Scott vertraut sich seinem guten Freund Dr. Ellis an. Aber auch der ist ratlos.

Für Scott, einen liebenswürdigen Normalo aus der amerikanischen Provinz, ist das nicht das einzige Problem. Er hat zwei neue Nachbarinnen, die nicht nur Hunde haben, die sich gerne auf Scotts Rasen erleichtern, sondern die auch noch ein Paar sind. Während Scott mehr Probleme mit dem Hundekot hat, stört sich die Kleinstadt Castle Rock mehr an der sexuellen Orientierung der beiden Damen. Lesben, „Lesbierinnen”, wie es ein Junge nennt („Das hat Papa gesagt”): Das ist ein Kuriosum, das Castle Rock so noch nicht erlebt hat. Und auch nicht erleben wollte, wie sich schnell herausstellt.

In Castle Rock hat King schon häufiger seine Erzählungen spielen lassen. Aus dem fiktiven Ort liefert King diesmal topaktuelles Futter aus Trumps Amerika. Hier haben laut King drei Viertel der Leute bei der US-Wahl 2016 republikanisch gewählt, homosexuelle Pärchen sind hier fehl am Platz. Veränderungen - Dr. Ellis beispielsweise wird von allen immer noch „Doctor Bob” genannt, obwohl er schon längst im Ruhestand ist - werden in Castle Rock nur ungern gesehen.

Über all dem kreist die Frage, was es mit Scotts Gewicht auf sich haben mag. Haben wir es mit einer Metapher für unsere heutige Gesellschaft zu tun, die an Klasse abnimmt, optisch aber so aussieht wie eh und je? Fest steht: Der Kurz-King lädt zum Nachdenken ein. Und wenn es nur für zwei kurzweilige Stunden auf der Couch ist.

Was Kings neuen Roman mit seinen älteren Werken verbindet, ist sicherlich der Hang zum Übernatürlichen und Suspekten. Dort hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf: Wer von „Es” oder „Carrie” Alpträume bekommen hat, den stimmt „Erhebung” zuversichtlich und gut gelaunt. Im Mikrokosmos Castle Rock entwickelt sich aus Herzlosigkeit Freundschaft, aus einer veränderungsscheuen Gesellschaft wird durch einen simplen Volkslauf schließlich die Leichtigkeit des Seins.

„Erhebung” dreht sich um Gewicht, das von Schultern fallen kann, um Freiheit und um Freundschaft, dem für Scott allerhöchsten Gut. Der kurze Roman handelt aber auch von Vorurteilen und Akzeptanz. Das ist eine ganze Menge für nicht einmal 150 Romanseiten. Und am Ende bleibt die Erkenntnis, dass man durchaus in alten Denkmustern verweilen kann - viel spannender ist und bleibt aber stets das Neue und Offenherzige.

Stephen King: Erhebung. Heyne Verlag, München, 144 Seiten, 12,00 Euro, ISBN 978-3-453-27202-6 (dpa)