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Kunsthalle Talstrasse präsentiert Piccinini Haut an Haut

In der halleschen Kunsthalle Talstrasse werden Plastiken der Australierin Patricia Piccinini gezeigt. Warum die spektakuläre Schau provoziert und fasziniert.

Von Andreas Montag 02.04.2024, 16:10
Echthaar und Silikon: Blick auf die von Patricia Piccinini und Peter Hennessey gestalteten Figuren in der Kunsthalle Talstrasse
Echthaar und Silikon: Blick auf die von Patricia Piccinini und Peter Hennessey gestalteten Figuren in der Kunsthalle Talstrasse (Foto: Schellorn)

Halle/MZ. - Einen Hingucker gibt es schon für Passanten: In der halleschen Kunsthalle Talstrasse wird man hinter der gläsernen Fassade eine lebensgroße weibliche Figur wahrnehmen, die ein sonderbares Wesen, halb Tier, halb Mensch, in den Armen hält. Und dieses freundliche Wesen, im Gegensatz zu der mütterlichen Frauengestalt unbekleidet, schmiegt sich vertrauensvoll an ihre Brust.

„The Bond“ heißt die im Jahr 2016 entstandene Arbeit der australischen Künstlerin Patricia Piccinini, deren Werk weltweit bekannt und jetzt in Deutschland erstmals in einer größeren Schau zu sehen ist. Piccinini wurde 1965 in Freetown, Sierra Leone, als Tochter einer englischen Mutter und eines italienischen Vaters geboren, 1972 übersiedelte die Familie nach Australien.

Frappierende Ähnlichkeit

Die von draußen sichtbare Plastik „The Bond“ kann man als bekenntnishaften Schlüssel zum Werk von Patricia Piccinini verstehen – zumal die hyperrealistisch dargestellte Frauenfigur eine frappierende Ähnlichkeit mit der Künstlerin selbst hat. Und der Titel, „die Berührung“, der die im Werk gestaltete innige Nähe zweier, augenscheinlich sehr unterschiedlicher Lebewesen benennt, weist auf den gedanklichen Hintergrund der Arbeit von Piccinini hin. Auch der Titel der Ausstellung selbst, die in Zusammenarbeit von Matthias Rataiczyk, dem Leiter der Kunsthalle Talstrasse, mit dem Institut für Kulturaustausch Tübingen und mit der Künstlerin selbst entstand, weist in diese Richtung: „Fremde Berührung“. Patricia Piccinini führt in ihren Arbeiten, die ebenso verstörend wie faszinierend sind, in Grenzbereiche, die manche vielleicht lieber nicht betreten möchten – obwohl (oder weil) das scheinbar Irreale, das hier zum Gegenstand künstlerisch-philosophischer Debatte wird, durchaus reale Bezüge hat.

„Wir müssen eine neue Art des Denkens über Natur finden, die uns einschließt – so wie wir sind – aber nicht ausschließlich für uns ist“, sagt Piccinini. Darüber sprach sie zur Eröffnung der Sonderausstellung in Halle mit Ulla Bonas, Vizepräsidentin der Nationalen Akademie Leopoldina und Professorin für Molekulare Pflanzengenetik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Was ist „normal“? Gibt es Leben, das wertvoller als anderes ist? Wie bewertet man technische Möglichkeiten, in die Natur eingreifen zu können?

Patricia Piccinini (rechts) mit Skulptur  „The Bond“ (2016)
Patricia Piccinini (rechts) mit Skulptur „The Bond“ (2016)
(Foto: Schellhorn)

Patricia Piccinini, die als Ideengeberin mit ihrem Mann, dem Künstler Peter Hennessey, und anderen in einem Team an der Ausführung ihrer aus Silikon und anderen Materialien wie Echthaar gefertigten Werke arbeitet, geht es also vor allem um ethische Fragen. Und natürlich provoziert sie damit. Man wird nicht meinungslos auf diese Kreationen schauen können, sich möglicherweise sogar erst einmal abwenden, um für den zweiten Blick zurückzukehren.

„The Welcome Guest“, der willkommene Gast, ist eine dieser aufregenden Installationen betitelt, entstanden 2011: Ein Mädchen und ein Fabeltier stehen einander gegenüber auf einem hölzernen Bett, an dessen Giebel ein prachtvoll schillernder Pfau thront.

Furchtloses Kind

Das Kind lächelt das fremde, nackte Wesen, von dem es mit seinen in langen Krallen auslaufenden Armen berührt wird, furchtlos an. Eine Begegnung, die nichts Bedrohliches hat, zu keinem Moment macht man sich Sorgen.

Dies sind die Hauptmerkmale von Patricia Piccininis Kunstobjekten: Sie vermitteln eine offene, positive Haltung zum dem Fremden, das von der menschlichen Norm abweicht. „Die Welt, die ich schaffe, ist komplett meine Imagination, es ist meine Welt“, sagt die Künstlerin. Und Ulla Bonas, die nach Piccininis Inspiration gefragt hat, steuert ein Wort von Albert Einstein bei: „Fantasie ist wichtiger als Wissen, weil Wissen limitiert ist.“ Eine spannende Ausstellung.

Patricia Piccinini: „Fremde Berührung“, Kunsthalle Talstrasse, Halle, Talstraße 23, bis zum 30.6, Mi - Fr 13-18, Sa, So u. feiertags 13-17 Uhr