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Bestsellerautor Ransmayr wird 70 Durch Licht und Finsternis

Ein Abenteurer nicht nur in der Literatur, sondern auch im wahren Leben: Der österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr wird 70 Jahre alt und legt einen neuen Erzählband vor.

Von Kai Agthe 20.03.2024, 10:52
Ein leidenschaftlicher Reisender und vielseitiger Literat: Christoph Ransmayr
Ein leidenschaftlicher Reisender und vielseitiger Literat: Christoph Ransmayr (Foto: Imago/viennareport)

Halle/MZ. - Wir befinden uns mit dem Ich-Erzähler und seinem Weggefährten im Niemandsland zwischen Tibet und Nepal. Während sich die beiden Wanderer im Hochgebirge durch Tiefschnee kämpfen, bemerkt der Erzähler, dass ihnen eine für diese Höhen unzureichend ausgestattete Gestalt folgt, die geht, wenn sie gehen, und innehält, wenn sie anhalten. Erst als die beiden Wanderer ihr Nachtlager aufschlagen, nähert sich der Einheimische, in dem sie jenen Mann erkennen, der tags zuvor ihr Gastgeber war.

Mit einem Wörterbuch und ein paar Brocken Tibetisch gelingt es den Abenteurern zu klären, warum er ihnen durch die unwirtliche Bergwelt folgt: Er möchte, ohne unhöflich zu erscheinen, jene Glasflasche zurück, die, mit Hochprozentigem gefüllt, die Wanderer eingesteckt hatten in dem Glauben, sie sei ein Präsent. Aber: „Es war das einzige Gefäß aus Glas, das er besaß. Den Reisschnaps, sein Geschenk, sollten wir trinken, er wollte keinen einzigen Schluck davon, aber das blinde Fläschchen musste zurück in sein Haus.“

Unterwegs in aller Welt

„Am See von Phoksundo“ ist eine dieser für Christoph Ransmayr typischen Geschichten, die – um die bekannte Redensart umzukehren – zu schön sind, um erfunden zu sein. Nachzulesen ist sie in dem neuen Band „Als ich noch unsterblich war“, der Erzählungen bündelt, die bereits anderenorts erschienen sind. Der Frankfurter S. Fischer Verlag hat bei der Gestaltung nicht gekleckert, sondern geklotzt: Eingebunden sind die Geschichten in fliederfarbenes Leinen mit entsprechendem Lesebändchen und einem Schutzumschlag, auf dem der Titel als Prägedruck gestaltet ist. Das ist eine selten gewordene Verleger-Art, einen bedeutenden zeitgenössischen Erzähler zu ehren – hier zum 70. Geburtstag, den der österreichische Schriftsteller an diesem Mittwoch feiert.

Ransmayr ist ein Abenteurer. Nicht nur in der fiktiven Welt der Literatur, sondern auch im realen Leben. Die Weltgegenden, über die er schreibt, hat er auch selbst gesehen. Er bereiste unter anderem Südamerika und Asien und hat mit seinem Freund Reinhold Messner (79) Ost-Tibet und die Arktis erkundet. Ransmayr war und ist so oft auf allen Kontinenten unterwegs, dass er sich selbst einen „Halbnomaden“ nennt.

Halb und halb ist auch das Kompositionsprinzip seiner Abenteuer-Romane, die halb aus Fakten, halb aus Fiktion bestehen. Wie im Buch „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, das 1984 erschien und mit dem er erstmals von sich reden machte. Es ist die Geschichte einer österreichisch-ungarischen Polar-Expedition, die in den 1870er Jahren nach einer Nordostpassage suchte. Hier wird der Leser nicht nur von der eiskalten Handlung am Rand der Welt in den Bann gezogen, sondern auch von der kristallklaren, leicht fließenden und dadurch unaufgeregten Sprache des Autors.

So auch im nächsten großen Wurf „Die letzte Welt“ aus dem Jahr 1988, in dem Ransmayr von der Verbannung Ovids am Schwarzen Meer erzählt, wo der Dichter seinen Figuren aus den „Metamorphosen“ begegnet. Zuvor hatte Ovid auf Befehl von Kaiser Augustus Rom verlassen müssen. Die Stadt wird indes weniger antik inszeniert, sondern eher wie eine Diktatur des frühen 20. Jahrhunderts. Nicht minder atemlos folgt man auch den Ereignissen in „Morbus Kithara“, einem Roman von 1995, in dem Ransmayr ein Deutschland skizziert, in dem nicht der Marshall-Plan für ein Wirtschaftswunder sorgt, sondern der Morgenthau-Plan es in den Stand eines primitiven Agrarlandes zurückversetzt.

Dem Erfolg misstrauend

Erwähnt werden müssen auch „Der fliegende Berg“ (2006) und „Cox oder Der Lauf der Zeit“ (2016). In diesem Buch – das in Flattersatz, also wie ein Gedicht, gesetzt ist – brechen zwei IT-Spezialisten in die Bergwelt Tibets auf; in jenem Roman porträtiert Ransmayr einen britischen Uhrmacher im 18. Jahrhundert am Hof des Kaisers von China.

Diese thematische Vielseitigkeit und deren Übertragung ins poetische Wort haben Ransmayr viele renommierte Preise eingetragen. Dem Erfolg hat er indes stets misstraut. Schon Ende der 1980er Jahre, als ihn die ersten Auszeichnungen ereilten, habe er in endlosen Telefonaten mit seinem Vater nach dem „Haken an der Sache“ namens Erfolg geforscht. Deshalb hält Ransmayr bis heute eine gewisse, für ihn gesunde Distanz zum Literaturbetrieb, was sich etwa an seinen Auftritten ablesen lässt, die er sehr dosiert. Der Österreicher verspürt auch keine Neigung, in jedes Mikro zu sprechen, das man ihm hinhält. Und er verzichtet darauf, politische Ereignisse zu kommentieren. Oder, wie Ransmayr einmal in einem Gespräch mit der „Welt“ sagte: „Allen zuhören, aber keinem ganz glauben – das wäre vielleicht ein brauchbarer Standpunkt.“ Auch das macht ihn über seine Literatur hinaus sympathisch.

Als in der Geschichte „Am See von Phoksundo“ – um den Gedanken vom Anfang nochmals aufzugreifen – der Tibeter seine Glasflasche, die die Wanderer mit sich nahmen, endlich wieder in Händen hält, kann der Erzähler berichten: „Ich habe selten einen so überraschten, ungläubigen und schließlich glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht eines Menschen gesehen.“ Alles Empfindungen, die auch hat, wer Christoph Ransmayrs wunderbare Bücher liest.

Christoph Ransmayr: Als ich noch unsterblich war. Erzählungen, S. Fischer Verlag, 220 Seiten, 24 Euro