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Der Esel, der auf Rosen geht Wie eine Frau aus Halle ihre Einsamkeit bezwingt – und die anderer Menschen

Als ihr Mann starb, suchte Marion Pirl nach einer neuen Aufgabe. Heute ist sie einer der „Engel“, die in Halle Zeit mit alten Menschen verbringen.

Von Jakob Milzner Aktualisiert: 28.04.2023, 13:33
Marion Pirl zeigt ein Foto eines Mannes, den sie im Rahmen des Projekts „Klingelzeichen“ regelmäßig besucht.
Marion Pirl zeigt ein Foto eines Mannes, den sie im Rahmen des Projekts „Klingelzeichen“ regelmäßig besucht. Foto: Jakob Milzner

Halle (Saale)/MZ - Seit 47 Jahren lebt Marion Pirl nun in derselben Wohnung in Halle-Neustadt. Aus ihrem Küchenfenster blickt sie auf eine Reihe von Laubbäumen, die nun, Ende April, ihr saftiges Grün in der ganzen Straße verteilen. „Als wir hergezogen sind, war alles noch kahl“, sagt sie. Überall seien Baugruben gewesen. Später dann kamen die ersten grünen Flecken und noch ein wenig später die Straßenbahn. „Mir gefällt es hier“, sagt die 70-Jährige.

Die längste Zeit wohnte sie mit ihrem Mann zusammen, für den sie einst von Leipzig nach Halle übergesiedelt war. Das änderte sich, als er vor vier Jahren starb. „Da fiel mir die Decke auf den Kopf“, sagt Marion Pirl. Also suchte sie nach einer Aufgabe. „Bloß keine Einsamkeit aufkommen lassen“, sagt die Frau, die an ihrem Küchentisch sitzt, vor sich eine Vase mit frischen Tulpen. „Ich nehme alles mit, was so ist.“

Ein Aushang der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis brachte den Stein ins Rollen

Zu jener Zeit vor vier Jahren wurde sie auf einen Aushang der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis aufmerksam. Dieser Aushang, sagt Marion Pirl, habe sie auf die Idee gebracht, sich bei dem Seniorenbesuchsdienst „Klingelzeichen“ zu engagieren. Einem Projekt, das Ehrenamtliche an Seniorinnen und Senioren vermittelt, die sonst alleine wären.

Ungefähr zur gleichen Zeit wandte sich eine Frau an die Freiwilligen-Agentur, die sich danach sehnte, Zeit mit anderen Menschen zu verbringen. „Sie hätte gern wen zum Fahrradfahren gehabt“, sagt Marion Pirl, die ebenfalls gern Rad fährt. Mitarbeitende der Freiwilligen-Agentur hätten die beiden dann zusammengebracht. „Seitdem radle ich mit ihr durch die Gegend“, sagt sie.

Die Freude ist groß, wenn man dann kommt.

Marion Pirl, Ehrenamtliche

Für ihr Engagement ist die Neustädterin nun für den Ehrenamtspreis „Der Esel, der auf Rosen geht“ nominiert worden. „Die Freude ist groß, wenn man dann kommt“, sagt Marion Pirl über ihre Ausflüge mit der Seniorin, die mittlerweile 83 Jahre alt ist. Oft erzähle die Frau ihr in den Pausen auf ihren Fahrradtouren oder beim Picknick von ihrer Kindheit. Die habe sie in einer kleinen Ort nahe der damaligen innerdeutschen Grenze verbracht. „Die Kinder dort waren eigentlich Gefangene“, sagt Marion Pirl.

Bei der Freiwilligen-Agentur würden sie selbst und die anderen Ehrenamtlichen im „Klingelzeichen“-Projekt als „Engel“ bezeichnet, sagt Marion Pirl. „Die Arbeit als ,Engel’ macht mich glücklich“, sagt sie. Kürzlich habe sie eine Postkarte gefunden mit einem Satz, den sie in Erinnerung behalten hat: „Sei der Grund dafür, dass heute jemand lächelt“, zitiert sie diesen Satz.

Mit einem 93-Jährigen spielt sie regelmäßig „Mensch ärgere dich nicht“

Neben ihrer Fahrradfreundin besucht die Frau noch einen 93-jährigen Mann. Mit dem spiele sie häufig „Mensch ärgere dich nicht“, sagt sie. Trotz seines hohen Alters sei der Mann „noch helle im Kopf“, obwohl er bei den gemeinsamen Spaziergängen im Park auf einen Rollator angewiesen sei. Am liebsten würde der Mann mit ihr Schach spielen, „aber das kann ich nicht“, sagt Marion Pirl und lacht.

Einmal die Woche besuche sie die beiden in der Regel, jeweils einzeln, und verbringe dann mindestens zwei Stunden mit ihnen, oft auch noch mehr Zeit. „Wenn wir eine Fahrradtour machen oder Mensch ärgere dich nicht spielen, dann bleibt das nicht bei zwei Stunden“, sagt sie.

Alterseinsamkeit, glaubt sie, habe es immer schon gegeben. „Aber früher haben Familien zusammengelebt, vor allem auf dem Dorf“, sagt die 70-Jährige. Selbst habe sie als Kind mit ihren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zusammengewohnt. „Da war niemand einsam“, sagt sie. Daher sei ein Projekt wie „Klingelzeichen“ in der heutigen Zeit so wichtig. „Ich muss auch meine eigene Einsamkeit bezwingen“, sagt Marion Pirl. Und lächelt dabei.

Das ist der „Esel“ – und so machen Sie mit

  • Der Ehrenamtspreis „Der Esel, der auf Rosen geht“ wird seit 2003 an engagierte Menschen und Initiativen aus Halle und dem Saalekreis verliehen. In diesem Jahr werden sechs Eselskulpturen aus Bronze vergeben: Drei Bürgerpreise, der Preis der Initiatoren und der Preis der Jury. Neu ist der Publikumspreis, für den online gevotet werden kann.
  • Die Wahl startet nach dem 25. Mai, wenn die Jury die zehn Teilnehmer an dem Voting bestimmt hat. Auch die Bürgerpreise werden durch die Jury vergeben. Wenn Sie, liebe Leser, engagierte Bürger, Vereine oder Initiativen kennen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, dann können sie diese Personen oder Gruppen vorschlagen. Dazu müssen Sie online ein Formular auf der Internetseite des Ehrenamtspreises ausfüllen. Im oberen Feld der Seite findet sich dazu ein extra Button. Sie bekommen danach eine Mail als Bestätigung. Die Nominierungsphase läuft bereits und endet am 6. Mai.
  • Informationen: Die MZ wird multimedial die 19. Auflage des „Esels, der auf Rosen geht“ begleiten. Dazu gehören Porträts der Kandidaten, Blicke hinter Kulissen sowie Audio- und Videobeiträge. Gebündelt werden alle Infos auf der Webseite des Ehrenamtspreises.