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Bibliotheksjubiläum in Roßlau Bibliotheksjubiläum in Roßlau: Bücher, Blumen und Brisantes

Von Thomas Altmann 02.04.2004, 17:25

Roßlau/MZ. - Zum 100. Geburtstag der Roßlauer Stadtbibliothek wurde der Bücherfrühling 2004 am Donnerstag im Rathaus eröffnet. Das Lesen im Lenz ist eine Initiative des Friedrich-Bödecker-Kreises, der Kindern und Jugendlichen Literatur nahe bringen möchte. Auch der Roßlauer "Oberbücherwurm", wie Bibliotheksleiterin Karin Weinmann von Bürgermeister Klemens Koschig liebevoll tituliert wurde, beschränkt seine Arbeit nicht auf das Katalogisieren von Büchern. Bücherfrühling und Jubiläumswoche verbinden eine Vielzahl von Lesungen, auch und gerade in den Schulen der Stadt.

Jedes Fest hat sein Ritual. Den Reigen der Redner eröffnete der Hausherr. Koschig würdigte vor allem die Leistung des Gründervaters der Stadtbibliothek, Ludwig Lipmann. Anliegen der Volksbibliotheken war es, Industriearbeiter mittels gebührenfreiem Dichterwort zähmend zu bilden. Politisch korrekt

goss Koschig einen Wermutstropfen in das Fest, indem er verkündete, dass nun auch in Roßlau trotz ungekürzter städtischer Mittel Jahresnutzungsgebühren erhoben werden müssten.

Landrat Holger Hövelmann unterstrich die bildungspolitischen und sozialen Aspekte der Stadt- und Kreisbibliotheken. Diese machte Winfried Willems, Staatssekretär im Kultusministerium von Sachsen-Anhalt, zu seinem Thema: "Lesen ist eine der grundlegenden Kulturtechniken." Die Informationsgesellschaft habe eine neue Bildkultur hervorgebracht, welcher die Tendenz innewohne, das Lesen zu verdrängen. Doch Informationen müssten interpretiert werden.

Genau hier setzt PISA an. Die Studie fragt nicht Wissen ab, sondern untersucht die Fähigkeit, erlerntes Wissen als Werkzeug einzusetzen. Besorgniserregend sei das Leistungsgefälle (Deutschland ist trauriger Spitzenreiter) und die soziale Verortung des Leistungsvermögens. In der Verantwortung stünden auch die Eltern.

Hier werde allzu oft unkritischer Medienkonsum vorgelebt. Dennoch: "Eine entscheidende Funktion in der Leseförderung hat die Schule." In Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern schlug er die Einrichtung von Klassenbibliotheken und die Erstellung von Leselisten vor. Im Schatten von PISA also steigt der Wert des Jubilars. Dorothea Iser, Vorsitzende des Friedrich-Bödecker-Kreises Sachsen-Anhalt, schlug eine Buhne in die Gute-Laune-Welle der Gesellschaft. "Glück ist (wie Lesen) anstrengend."

Aus dem mächtigen Podium der Autoren erhob sich zuerst Georg Gerdung, um auf den Roßlauer Bahnhof zu blicken. Da wurde sogar die Mitropa mit Erinnerungsfarbe getüncht. Doch das literarische Lokalkolorit blieb vorerst blass. Den längst verstorbenen, in Roßlau gebürtigen Hanns Weltzer rezitierte Elisabeth Hackel. Seinen posthumen Ruhm in der Heimatstadt stellte er sich u. a. so vor: "Am Schillerplatz zwischen den Stangenbohnen, werd' ich auf dunklem Marmor thronen."

Einem weniger hehren, aber phantasievollem Ziel flog Eva Weiss mit einer Geschichte aus Wörtern, Musik und Geräuschen entgegen. Witzig und willig fiel Kurt Wünsch dem Gesundheitswahn einer Dame mit profunder Zeitschriftenbildung als Jungbrunnen zum Opfer, also therapierend ins Bett.

Auf andere Art ernüchternd war der "Einbruch bei Libri" von Martin Meißner. Denn nicht der irgendwie ehrenwerte Bücher-Klau, sondern das reale Marktgeschehen verbarg sich hinter der Doppeldeutigkeit.

Die großen Frühlingsblüher sprossen am Dichtertisch nicht, auch wenn Henning Pawel passend zum Lenz der honorigen Runde den jugendlich kühl kalkulierten Umgang mit dem Frühlingserwachen, dem ersten Mal, aus "Zwei Romeos für Julia" vor Augen führte. Das Vorwort seines Buches "Schapiro & Co - Jüdische Geschichten für die Enkel der Großväter" aber taugt zum Schlusswort. Die Großmutter mit Vorliebe für skurrilen Hutschmuck rät: "Jede Geschichte kann gut oder schlecht, kann traurig verlaufen oder erfreulich ausgehen. Das hängt allein von uns Menschen ab."