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Birthler-Behörde Birthler-Behörde: 15 Jahre Stasi-Puzzle

14.05.2010, 15:31
Zerrissene Stasi-Akten liegen in Zirndorf (Mittelfranken) bei der Projektgruppe zur Rekonstruktion von Stasi-Unterlagen auf einem Tisch zur Bearbeitung bereit. (FOTO: DPA)
Zerrissene Stasi-Akten liegen in Zirndorf (Mittelfranken) bei der Projektgruppe zur Rekonstruktion von Stasi-Unterlagen auf einem Tisch zur Bearbeitung bereit. (FOTO: DPA) dpa

Zirndorf/dpa. - Puzzlen ist ihr Beruf. Doch der Spielspaß hält sich in Grenzen. DiePuzzleteile, die Behördenmitarbeiter in Abfall-Säcken der früherenDDR-Staatssicherheit entdecken und zusammensetzen, stimmen sie ehernachdenklich. Das Team einer Projektgruppe der Birthler-Behörde fügtseit 15 Jahren zerrissene Stasi-Akten zusammen. Aus 700 000Papierschnipseln hat es bereits 7000 Dokumente und Aktenteile wiederhergestellt. Am Freitag wurde das Jubiläum gefeiert.

Ein ordentliches Büro sieht anders aus. Stattsauber gestapelter Akten finden sich auf Ernst SchrödingersSchreibtisch Hunderte ungeordnete, leicht vergilbte Aktenschnipsel,manche handgeschrieben, andere mit einer älteren Schreibmaschinegetippt. Die Hand des Behördenmitarbeiters greift mal hier, mal dorthin - bis er zwei zueinander passende Papierschnipseln findet und siefeinsäuberlich zusammenklebt. Schrödingers Puzzle-Arbeit hat sich malwieder gelohnt: Die gerade rekonstruierte Stasi-Akte enthält denhandgeschriebenen Bericht eines Stasi-Spitzels während eines Besuchsbeim damaligen Klassenfeind Bundesrepublik.

15 Jahre Rekonstruktion von Stasi-Akten - das war auch für diePräsidentin der Stasiunterlagen-Behörde, Marianne Birthler, amFreitag Anlass, sich wieder einmal über die Arbeit der Projektgruppezu informieren. In einem Seitentrakt der Außenstelle desBundesflüchtlingsamts im fränkischen Zirndorf sind allerdings nurnoch sechs der einst mehr als 40 Bundesamtsmitarbeiter mit derSisyphos-Arbeit betraut. Trotzdem arbeite dieses kleine Teaminzwischen effektiver als noch vor ein paar Jahren. «Früher habendie Kollegen monatlich rund 3000 Blatt zusammengefügt, heute sind es5000», berichtete Projektgruppenleiter Andreas Petter.

Denn inzwischen sichten Mitarbeiter der Birthler-Behörde inBerlin die mit Aktenschnipseln gefüllten braunen Abfallsäcke vor. InZirndorf landen nur noch Säcke mit leicht rekonstruierbaren Akten.Stasi-Berichte, Aktenvermerke und Dienstanweisungen, die in bis zu 70Teilen zerrissen wurden, sollen dagegen künftig von einem speziellenComputersystem rekonstruiert werden. «Ich freue mich, dass dasentsprechende Projekt jetzt schneller vorangeht, damit noch vieleihre Akten einsehen können», berichtete Behörden-Chefin Birthler.Auch ihre eigene Akte vermutet sie in einem der 16 000 Müllsäcke, diein Ostdeutschland deponiert sind - wenn sie nicht bereits vernichtetsei.

Nachdem Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts fürProduktionsanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin für dievirtuelle Rekonstruktion erst einen speziellen Scanner entwickelnmussten, hält sich auch Behördenchefin Birthler mit zeitlichenPrognosen zurück. Sobald die Technik einsatzbereit ist, soll siejedenfalls testweise den Inhalt von 400 Aktensäcken maschinellbearbeiten. Aber selbst wenn die Technik funktioniert, ist fürBirthler klar: «Wir werden auch weiterhin nicht auf die manuelleRekonstruktion verzichten können. Manche Aktenschnipsel eignen sicheinfach nicht für eine maschinelle Bearbeitung.»

Dass manche Akten nicht besonders akribisch zerkleinert wurden,hängt nach Einschätzung von Mitarbeitern der Projektgruppe mit demZeitdruck zusammen, unter dem Stasi-Offiziere in den letzten Tagender DDR die Spuren ihrer Spitzeltätigkeit verwischen wollten. Weildie Reißwölfe angesichts der riesigen Aktenberge bald schon heißliefen, zerrissen Mitarbeiter des früheren Ministeriums fürStaatssicherheit die Dokumente mit bloßen Händen - oftmals geradeeinmal.

Was man als Mitglied im sogenannten Reko-Projekt mitbringen muss,bringt Schrödinger mit wenigen Worten auf den Punkt: «Viel Geduld undDurchhaltevermögen.» Er selbst habe sich nach Ende seinerBundeswehrzeit freiwillig für die Aufgabe gemeldet - und seiinzwischen seit zehn Jahren dabei, berichtet er. Wechsel im Teamseien eher selten. Sein Kollege Thomas Nitschke, der gerade übereinem Berg von Aktenschnipsel der Stasi-Abteilung 20/4 brütet, diefür die Bespitzelung der Kirchen in der DDR zuständig war, hat zwarlängst professionelle Distanz zu den Spitzeldokumenten entwickelt.«Ich finde die Arbeit aber immer wieder interessant. Das istGeschichte und einfach spannend.»