1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Dessau-Roßlau: Dessau-Roßlau: Strafgesetz statt Halsgericht

Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Strafgesetz statt Halsgericht

Von thomas altmann 24.09.2012, 17:07

dessau/MZ. - Veranstaltet schon der Prolog im Himmel unerlaubt ein Glücksspiel? Ist Mephistopheles ein Terrorist, Doktor Faust ein Kinder missbrauchender, körperverletzter Selbst- und Doppelmörder? Bleibt Gretchen, "auch ansonsten ziemlich schlicht", trotz Mutter- und Kindesmord schuldunfähig? Verstößt die Hexe gegen das Betäubungsmittelgesetz? "Habe nun, ach!…und leider auch" Juristerei?

Neue Reihe, alter Titel

Die Fristen sind verjährt zum Teil. Dennoch werden endlich die in Dramen verborgenen Straftaten zur Anklage gebracht. "Faust-Recht" hieß am Freitag im Foyer des Alten Theaters Dessau die erste Folge einer neuen Serie, die einen alten Titel führt: "Der Staatsanwalt hat das Wort". Hier sprach ein Staatsanwalt, Gunnar von Wolffersdorff, der seine amtlich gezirkelte Eloquenz so schön ironisch unterwanderte und offenbar genoss, dass die Fakten fantastisch zwischen Dichtung und Wahrheit, Unterhaltung und Urteil rochierten. "Keine Strafe ohne Gesetz" lautet der Paragraph, der über allen anderen steht. Es könne "nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde". Der Zeit der Handlung käme, so von Wolffersdorff, die Constitutio Criminalis Carolina, die Halsgerichtsordnung Karls V. nahe, verfasst 1532, da peinlich noch juristisch statt schamhaft für das lateinische Wort poena, Strafe, stand. Berücksichtige man die Zeit der Niederschrift könne das Reichstrafgesetzbuch (RStGB) des jungen Kaiserreiches von 1871 Bemessung bieten.

Vielleicht, weil beide Schriften schleppen, wurden die Faust-Figuren nun in kurios erhellender Anwendung des aktuellen Strafgesetzbuches (StGB) gerichtet. Den Kontext der Taten erfassen "100 Zeilen Faust" vorab von Andreas Hillger; Verse, die nach Busch und Goethe klingen, lustvoll exzerpiert und leger tranchiert, völlig ausreichend für Bildungsbürgers Hausgebrauch. Nur Kultusminister sollten nichts von der köstlichen Kürzung erfahren. Karl Thiele und Stephan Korves liefern "Faust" in drei Minuten und werden dann als Schattenriss verhört. Thiele gibt erwogen satanisch des Pudels Kern, Mephistopheles; und Korves redlich unaufgeregt alle Herrchen, Gott und Faust und Hexe. Gretchen (Katja Sieder) und die Lust der Walpurgisnacht (Antje Weber) sprechen vom Band, redende Vernehmungsprotokolle zur Talkshow im Theaterlicht, in der Dramaturgie von Sabeth Braun, moderiert von David Ortmann, die Anklage gewitzt vertretend. Der Himmel sei offensichtlich öffentlich, aber welche Behörde solle Gott etwas genehmigen? So spricht der Staatsanwalt den Alten vom unerlaubten Glücksspiel frei, auch wenn er gar um Seelen zockt.

Detailliert gestaffelt

Nein, auch Mephistopheles kann, obgleich "Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und…", eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht nachgewiesen werden. Und Faustens Versuch der Selbsttötung sei als Selbstbestimmung legitim. Zum Einschreiten verpflichtet seien lediglich Arzt und Polizei. Wer zudem helfe, vergehe sich nicht am Selbstbestimmungsrecht des anderen. Hingegen sei, § 216, Tötung auf Verlangen strafbar. So gibt es immer wieder Gliederungen aufs Exempel, auch in punkto körperlicher Liebe. Der Übergang vom Kind zum Jugendlichen und Erwachsenen, mithin die selbst bestimmte Liebe ist gesetzlich detailliert gestaffelt. Aber hier, Gretchen ist 14 Jahre alt, verurteilt der Staatsanwalt den verführenden Doktor, den er zudem des doppelten Mordes schuldig spricht. Im Fall Valentins sei das Maß der Notwehr weit überschritten und Gretchens Mutter sterbe infolge niederer Beweggründe. Wer wusste allerdings vom Gift? Die Strafen würden übrigens nicht einfach summiert. Und Mephistopheles? "Wie soll ich einen Drudenfuß richten?", fragt von Wolffersdorff danach.

"Zwei Herzen, ach"? Gott frei sprechen, den Teufel nicht richten wollen? Das klingt nach doppelter Befangenheit und bleibt unbefangen. Kunst oder Pornographie? Kompensation im Falle der Walpurgisnacht. Hier wird der Staatsanwalt persönlich. Herr von Goethe habe nahe der Lebensmitte in Italien den ersten Geschlechtsverkehr vollzogen. So bekämen die Wörter "Gen Italien" einen neuen Sinn.