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"Solo Sunny" ist tot - ein Nachruf Nachruf auf Renate Krößner: DDR-Star "Solo Sunny" ist tot: Schauspielerin Renate Krößner stirbt mit 75 Jahren

Von Christian Eger 26.05.2020, 16:32
„Sunny ist tot“ - Die Schauspielerin Renate Krößner ist mit 75 Jahren am Montag gestorben. 
„Sunny ist tot“ - Die Schauspielerin Renate Krößner ist mit 75 Jahren am Montag gestorben.  DEFA-Stiftung, Berlin

Halle (Saale) - Es gibt kein zweites Filmlied der Defa, das so zuverlässig erwischt. Das, egal wo und wann es ertönt, so sehr zum Hinhören verführt. Ein Song, der klingt, als sei er immer schon da gewesen. Ein Klassiker von Anfang an. Ein guter, „merry old song“ - und nicht 1980 von Günther Fischer komponiert.

Ein Lied, das es schafft, sofort einen Raum aufzumachen. In dem steht eine junge Frau allein im Scheinwerferlicht. Haarnetz, lachsfarbenes Glitzerkleid, lippenstiftroter Mund. Und sie singt von der, der sie ist: Sunny. Und Sunny ist Renate Krößner.

Ihr Solo ist ein Lied wie aus tiefer Nacht. Mit einer Stimme, die kühl über den Nacken zu hauchen scheint. Das Lied der Lebens-Solisten, der Eigensinnigen und Einzelgänger. Ein Lied mit einem poetischen, aber schlüssigen Text: „Blue - the dawn ist growing blue“, geht es los. Blau dämmert der Tag. Aber „blue“ heißt auch traurig. Und aus der Traurigkeit singt sich Renate Krößner mit der Stimme von Regine Dobberschütz nach vorn.

Renate Krößner: Ein Casting war nicht nötig

Zeilen, die viele Menschen mitsprechen können: „A Dream is coming true“, ein Traum wird wahr. Nach sieben Strophen endet das Solo mit einer Ansage. Dass die Menschen von der Frau, der sie zuhören, eines Tages sagen werden, dass sie jemand und nicht irgendjemand sei. Nämlich: Sunny. „She’s Sunny, they will say / Someday.“ Eines Tages.

„Solo Sunny“, 1980 in die ost- und westdeutschen Kinos gekommen, war nicht der größte Kassenerfolg, aber der größte internationale Erfolg der Defa. Ein besonderer Film durchweg. Es war die vorletzte Arbeit des Regisseurs Konrad Wolf, der zwei Jahre darauf 56-jährig starb. Es war der letzte Film des 1980 viel zu früh gestorbenen Schauspielers Klaus Brasch, des Bruders der Schriftsteller-Geschwister Thomas, Peter und Marion Brasch, der den übergriffigen Bandkollegen Norbert gibt. Und da ist Alexander Lang in der Rolle des Saxofon spielenden Hinterhaus-Philosophen. Lang, der große Regisseur der 80er Jahre am Deutschen Theater in Berlin.

Alexander Lang spielt den Liebhaber von Sunny, die eigentlich Ingrid heißt und eine Arbeiterin ist, die sie nicht mehr sein will. Raus will sie aus dem Kollektiv, hinein ins Solo. Kein Schubs-Mädchen mehr sein, sondern eine selbstbewusste Frau, die mit einer Tingeltangel-Band samt schmierig-brutalem Conferencier durch Klubs und Betriebsvergnügen zieht. Die Frontfrau, die vor Menschen singt, die sich nicht für sie interessieren. Von ihren eigenen Showkollegen erst ausgegrenzt, dann rausgeschmissen und von ihrem Philosophen betrogen, bricht Sunny zusammen und immer wieder auf. Fällt auf und hin. Eine Stehauffrau. So Sunny. Und gar nicht DDR.

Renate Krößner zum Drehbuch: „Ich lese wieder etwas, das verboten wird„

„Hammer Geschichte, aber das werden die nie machen“, dachte Renate Krößner, als sie zum ersten Mal das von Wolfgang Kohlhaase verfasste Drehbuch in den Händen hielt. „ Ich lese wieder etwas, das verboten wird.“ Aber es kam anders. Konrad Wolf hatte sich längst für die 1945 in Osterode am Harz geborene Lehrertochter entschieden, die Schauspiel in Berlin studiert und die er auf Bühnen und im Film gesehen hatte. Zu einem Casting musste sie nicht antreten.

Die Idee zum Film hatte Wolfgang Kohlhaase, der gewitzte Autor des Films „Sommer vorm Balkon“ (2005). Wolf konnte er sofort für die Idee gewinnen. „Sie interessierte ihn auf der Stelle“, sagte der heute 89-jährige Kohlhaase in einem Interview. „Gerade weil er so wenig von dem Milieu wusste. Konrad Wolf war ein Mensch, der, wenn er vor die Haustür ging, nicht das suchte, was er schon kannte.“ Und Renate Krößner gefiel allen. „Einmal, weil sie wunderbar verschiedene Gesichter hatte“, sagt Kohlhaase. „Man konnte ihr zustimmen, man konnte ihr widersprechen, man konnte mit ihr gehen, man konnte sich von ihr trennen. Das alles war ihr Wesen und gehörte zu ihrer Persönlichkeit.“

Erst dieser Tage war „Solo Sunny“ im Fernsehen zu sehen. Jede Szene, jedes Wort zeigte, wie überhaupt nicht gestrig dieser Streifen ist. Ein Ost-Film, der nicht ostig ist. Nicht verklemmt. Nicht anbiedernd. Nicht aufgekratzt. Sondern lässig und wahrhaftig. Sogar die Farben stimmen. Die DDR war grau. Aber es war ein Grau, das farbige Stufen hatte. Und Sunny ist ganz viel Farbe.

Renate Krößner wurde als „Solo Sunny“ zum Defa-Star

Der Film blieb nicht im engen DDR-Karo. Er zeigt und belehrt nicht. Er bietet Dialoge, die auch im Westen überraschen. Zum Beispiel diesen: Der Bandleader schaut Sunny zu, wie sie sich am Schminktisch auf ihren Auftritt vorbereitet. „Du schminkst dich und schminkst dich wie ’ne Nutte“, sagt er. „Na und?“, erwidert Sunny. „Ich geh ja vor die Leute und nicht pissen.“

Für Wolfgang Kohlhaase ist der Film ein „Plädoyer für den Einzelnen in der Gesellschaft“. Der Regisseur Andreas Dresen deutet ihn als Angriff auf das verhängnisvolle Mittelmaß, mit dem im Film alle Figuren zu kämpfen haben - „ein Zustand, der kein Schwarz und kein Weiß kennt, kein Laut und kein Leise“. Wo rausfliegen muss, wer die Norm stört. Da lernt Sunny fliegen.

SED-Führung und Gängelei vertrieb Renate Krößner in den Westen

Renate Krößner erhielt für ihre Sunny 1980 auf der Berlinale den Silbernen Bären als beste Schauspielerin. Das schadete ihr in der DDR. Die notorisch kleinmachende und missgünstige SED-Führung verzieh der jungen Künstlerin nicht den internationalen Erfolg. „Ich glaube, es war ihnen ein Dorn im Auge, dass ich die Figur verteidigt hatte“, sagte Renate Krößner, die nach 1980 über die Bühnen des Landes ziehen musste. 1983 war sie am Theater Dessau in Wolfgang Hildesheimers „Die Eroberung der Prinzessin Turandot“ zu sehen.

Im selben Jahr war Schluss mit unlustig. Renate Krößner ließ sich das Gängeln nicht mehr gefallen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schauspieler Bernd Stegemann, und ihrem Sohn stellte sie einen Ausreiseantrag. Erst 1985 kam sie heraus. Eine Frau, die auch im Westen sehr erfolgreich ihren Weg ging. Direkt. Unverstellt. Und bis zuletzt sehr Sunny. Nach kurzer schwerer Krankheit ist Renate Krößner am Montag an ihrem Wohnort Blankenfelde-Mahlow bei Berlin gestorben. Sie wurde 75 Jahre alt.  (mz)