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Taub nach Hörsturz Cochlea-Implantat: Kosten, Erfahrung, Probleme, Risiken und die Operation

Von Bärbel Böttcher 07.01.2019, 11:33
Der Sprachprozessor  und die Sendespule, die mittels Magnet am Kopf befestigt ist, bilden, so wie Michael Bastille es zeigt, den äußeren Teil der Hörprothese.
Der Sprachprozessor  und die Sendespule, die mittels Magnet am Kopf befestigt ist, bilden, so wie Michael Bastille es zeigt, den äußeren Teil der Hörprothese. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Links außen. Das ist lange Zeit der bevorzugte Platz vom Michael Bastille. Egal ob bei der Arbeitsberatung oder beim Treff mit Familie und Freunden in einer Gaststätte. Warum?

Er ist auf dem linken Ohr taub. Spricht ihn jemand von dieser Seite an, folgt keine Reaktion. Er hat es ja nicht gehört. Das ist belastend. Für alle Beteiligten. Also versucht er, solche Situationen zu vermeiden.

Michael Bastille kann dank Cochlea-Implantat wieder alles hören

Dass Michael Bastille nun wieder mittendrin Platz nehmen kann, verdankt er einer neuen Operationstechnik, die Professor Stefan Plontke, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, und sein Team in den vergangenen Jahren entwickelt und ständig weiterentwickelt haben. Aber der Reihe nach.

Die Krankengeschichte des heute 39-Jährigen beginnt im Jahre 2008. Mit einem Hörsturz. Plötzlich ist er auf dem linken Ohr so gut wie taub. Zwar bessert sich das zunächst wieder.

Michael Bastille bemerkt schleichenden Hörverlust

Aber in den folgenden Jahren bemerkt der Hallenser links einen schleichenden Hörverlust. Den kann bald auch das beste Hörgerät nicht mehr ausgleichen.

Im Frühjahr 2017 kommen Schwindelattacken dazu. „Manchmal fühlte ich mich schon am frühen morgen so, als hätte ich einen über den Durst getrunken“, erzählt er. Anfangs stellt Michael Bastille da gar keinen Zusammenhang zu seiner Ohrengeschichte her.

Vor Cochlea-Implantat: völlige Taubheit auf linkem Ohr

Er denkt vielmehr, dass sein Kreislauf verrückt spielt. Schließlich hat er als Logistikleiter einer großen Firma einen Job, der ihn stark fordert. Doch mit seinem Kreislauf ist alles in bester Ordnung. Die Hausärztin überweist ihren Patienten nun zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt.

Der stellt zunächst linksseitig die völlige Taubheit fest. Als er dann Michael Bastilles Vorgeschichte hört, hegt er einen bestimmten Verdacht und veranlasst eine Magnetresonanztomographie (MRT). Die Bilder die dabei entstehen, schickt er noch einmal zurück und fordert vom Radiologen spezielle Detailaufnahmen des Ohres.

Michael Bastille hat Tumor im linken Innenohr

Was der Arzt auf ihnen sieht, gibt ihm Anlass zu der Vermutung: Michael Bastille hat ein Schwannom im Innenohr. Er schickt seinen Patienten zu Stefan Plontke.

„Schwannome sind in der Regel langsam wachsende, gutartige Tumore, die auch im Innenohr, also in der Gehörschnecke oder im Gleichgewichtsorgan entstehen können“, erklärt der HNO-Professor. Sie machten sich nahezu immer mit einem Hörverlust oder mit Schwindel bemerkbar.

Schwindel durch Tumor

„Daher werden sie oft als Hörsturz oder Schwindel mit unklarer Ursache fehlgedeutet“, fügt er hinzu. Selbst auf MRT-Bildern würden die Geschwülste leider häufig übersehen.

Nicht so bei Michael Bastille. Stefan Plontkes Untersuchungen bestätigten die Annahme des niedergelassenen Kollegen. Der Patient hat solch einen Tumor in der Gehörschnecke. Dieser zieht bereits das daneben liegende Gleichgewichtsorgan in Mitleidenschaft. Daher der Schwindel.

Cochlea-Implantat: Hörprothese gibt es seit den 60er Jahren

Die Gehörschnecke, ihr lateinischer Name lautet Cochlea, trägt vereinfacht gesagt die Hauptverantwortung dafür, dass der Mensch Töne wahrnimmt. Fällt sie ganz oder teilweise aus, so gibt es seit den 60er Jahren die Möglichkeit, eine sogenannte Hörprothese einzusetzen.

Eben ein Cochlea-Implantat. Was aber tun, wenn an der Stelle, an der dieses Implantat eingepflanzt werden müsste, der Tumor sitzt?

Cochlea-Implantat: Operation bei Michael Bastille nicht möglich?

„Bisher war in Fachkreisen die Annahme verbreitet, dass da nichts zu machen ist“, sagt Stefan Plontke. Werde der Tumor entfernt, so hieß es, müsse ein mehr oder weniger großer Teil der Gehörschnecke mit entfernt werden.

Somit sei ein Cochlea-Implantat keine Option, denn dessen Elektroden werden ja in die Gehörschnecke eingeführt.

2008: Erste Cochlea-Implantat-Operation nach Tumor-Entfernung

Der Mediziner gibt sich damit nicht zufrieden. Stellt sich die Frage: Warum eigentlich sollte es nicht möglich sein, das eine zu tun ohne das andere zu lassen. Sprich, den Tumor zu entfernen und trotzdem die Hörprothese einzupflanzen?

Und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem der Tumor noch recht klein ist. Also bevor er sich beispielsweise - so wie bei Michael Bastille - in das Gleichgewichtsorgan ausbreitet.

Stefan Plontke entwickelt eine entsprechende Operations-Methode. 2008 setzt er sie zum ersten Mal ein. Mit Erfolg. Er entfernt den Tumor und mit ihm nur so viel wie eben nötig von der Gehörschnecke. Gleich im Anschluss erhält der Patient das Cochlea-Implantat.

Cochlea-Implantat: Professor aus Halle wagt sich an spezielle Operation

Zugute kommt dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt dabei seine große Routine. Pro Jahr operiert er zwischen 300 und 500 Menschen am Ohr. So wagt er sich schließlich an diesen speziellen Eingriff. Hat bisher mehr als 30 Mal gezeigt, dass das unmöglich Scheinende doch möglich ist.

Stefan Plontke setzt damit die Fachwelt in Erstaunen. Seit der Veröffentlichung seiner Methode erhält er viele Anfragen. Selbst aus Australien erreicht ihn eine Bitte um Beratung. „Es hat sich herausgestellt, dass wir in dem kleinen Halle auf diesem Gebiet die weltweit größte Erfahrung haben“, sagt der Arzt nicht ohne stolz.

Cochlea-Implantat: Michael Bastille denkt an Nachteile einer Operation

Von dieser Erfahrung profitiert auch Michael Bastille. Dennoch überlegt der dreifache Familienvater: Soll ich mich dieser Operation unterziehen oder besser nicht. Dass in der Nähe vom Gesichtsnerv hantiert wird, macht ihn unruhig.

Ebenso die Tatsache, dass eine längere Narkose auf ihn zukommt. „Sicher“, so sagt Michael Bastille, „in 99,9 Prozent aller Fälle geht alles gut. Aber es hätte ja sein können, dass ich der eine bin, auf den das nicht zutrifft.“

Trotz Risiken: Michael Bastille willigt Cochlea-Implantat-Operation ein

Er bespricht das alles mit seiner Familie. Und willigt schließlich ein. Denn auf der anderen Seite stehen die Einschränkungen, die ihn immer stärker nerven.

Im Februar dieses Jahres liegt er auf dem Operationstisch. Sechs Stunden dauert der Eingriff. Er verläuft bilderbuchmäßig. „Ich gab keine Nebenwirkungen“, sagt Michael Bastille. Auch der Gesichtsnerv leidet nicht.

Cochlea-Implantat: Operation verläuft gut

Das weiß er, als er nach dem Eingriff von einer Schwester aufgefordert wird zu lächeln. „Ich konnte beide Mundwinkel hochziehen. Alles war gut“, erzählt er. Lediglich der Geschmacksnerv habe etwas gelitten.

Aber das sei inzwischen auch Geschichte. Der Genesungsprozess läuft jedenfalls so gut, dass er knapp drei Wochen nach der Operation wieder an seinem Arbeitsplatz anzutreffen ist.

Cochlea-Implantat: Anpassung nach Operation

Im April, nachdem im inneren des Ohres alles stabil verheilt ist, erfolgt dann die sogenannte Erstanpassung. Das ist der Zeitpunkt, an dem der äußerlich sichtbare Teil des Cochlea Implantats zum Einsatz kommt. Es ist der mit Mikrofonen versehene Sprachprozessor, der hinter dem Ohr platziert wird.

Über ihn werden mittels Induktionsschleife elektrische Impulse an die eingepflanzten Elektroden gesendet und, vereinfacht gesagt, in Töne umgewandelt. „Es war ein hochemotionaler Moment. Nach fast drei Jahren Stille habe ich auf dem linken Ohr sofort Töne und Geräusche wahrgenommen“, erzählt Michael Bastille.

Trotz Cochlea-Implantat: Hören muss trainiert werden

Dennoch - das Hören müsse, mit Unterstützung von Logopäden, trainiert werden. „Und es ist ein technisches Hören, so wie eine Computerstimme.“ Zumindest am Anfang. Mit der Zeit werde es immer besser.

Michael Bastille genießt es, dass er jetzt auch versteht, was derjenige sagt, der links neben ihm steht. Dass sich Frau und Kinder nicht mehr beschweren, weil der Papa angeblich nicht zuhört. Dass er nicht mehr erschrickt, wenn er auf dem Fahrrad links von einem Auto überholt wird ...

Cochlea-Implantat: Operation trotz Tumor möglich

Stefan Plontke indes fühlt sich durch Patienten wie Michael Bastille bestätigt. Es gebe diese kleinen Tumore öfter als gedacht, sagt er. Und es lohne sich, etwa bei einem Hörsturz ein spezielles MRT anzufertigen und danach zu suchen.

„Und wenn dann so ein Schwannom gefunden wird, gibt es jetzt eine echte Alternative zu bisherigen Behandlungsstrategie, die da hieß: Abwarten und Beobachten. Wir können mit der Operation den Menschen Lebensqualität zurückgeben“, betont der Mediziner.

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Professor Stefan Plontke erklärt, wie ein sogenanntes Cochlea-Implantat funktioniert und wie es sich von einem herkömmlichen Hörgerät unterscheidet.

Was ist der Unterschied zwischen einem Cochlea-Implantat und einem Hörgerät?

Das menschliche Ohr wandelt Schallwellen in elektrische Nervenimpulse um, die dann vom Gehirn als Sprache oder Musik wahrgenommen werden. Wenn diese Umwandlung der Schallwellen nicht mehr ausreichend gut funktioniert, muss das Schallsignal verstärkt werden, ähnlich  wie bei einem Verstärker zu Hause. So funktioniert in etwa ein herkömmliches Hörgerät.

Wenn das Ohr gar nicht mehr in der Lage ist, diese Schallwellen in elektrische Nervenimpulse umzuwandeln, benötigt der Patient ein Cochlea-Implantat, da dieses den Hörnerv direkt elektrisch stimuliert.

Ab wann eignet sich ein Cochlea-Implantat?

Alle Patienten, die mit einem konventionellen Hörgerät nicht mehr ausreichend Sprache verstehen können, sollten überprüfen lassen, ob ein Cochlea-Implantat das Sprachverstehen wieder verbessern kann.

Wie hört man mit einem Cochlea-Implantat?

Die Erfahrungsberichte von Patienten sind unterschiedlich. Einige sagen, es hört sich vor allen Dingen technischer an und es ist nicht so ein schöner, voller Sound.

Das liegt daran, dass das Cochlea-Implantat seine Stärken im hohen Frequenzbereich hat, wogegen ein konventionelles Hörgerät eher im tiefen Frequenzbereich gute Verstärkung leisten kann.

Nahezu alle Patienten, die wir mit einem Cochlea-Implantat behandelt haben, sagten jedoch, warum habe ich mich dafür nicht schon eher entschieden.

Was sind Risiken bzw. Nachteile eines Cochlea-Implantats?

Im Unterschied zu einem konventionellen Hörgerät, was vom Hörgeräteakustiker angepasst werden kann, muss ein Cochlea-Implantat von einem Chirurgen eingepflanzt werden.

Damit sind die Risiken einer Operation verbunden. Bei sonst relativ gesunden Patienten ist die Operation aber standardisiert und die Risiken sind überschaubar.

Wie kündigt sich ein Hörverlust an?

Patienten, deren Hören akut oder langsam schlechter wird, berichten, dass sich alles wie durch Watte anhört, also dumpfer oder bei hohen Lautstärken verzerrt. Es klirrt und plärrt, wenn es laut wird.

Was sind Ursachen von plötzlichem Hörverlust und was ist zu tun?

Es gibt harmlose Ursachen für den plötzlichen Hörverlust, wie Ohrschmalz im Gehörgang, der aufquillt, wenn er feucht wird. Die Ursachen kann nur ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt feststellen, so dass eine zeitnahe Vorstellung bei einem HNO-Arzt zu empfehlen ist. (mz)