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"Alte Marck"  Fantasiegemeinde "Samtgemeinde Alte Marck" im Visier der Ermittler: "Die haben eine Parallelverwaltung aufgebaut"

Von Alexander Schierholz 04.06.2018, 10:01
Screenshot des Internetauftritts der Samtgemeinde „Alte Marck“.
Screenshot des Internetauftritts der Samtgemeinde „Alte Marck“. MZ

Arendsee - Bei der „Samtgemeinde Alte Marck“ sind sie abgetaucht an diesem warmen Mai-Donnerstag. Nicht zu sprechen. Die Tür ist verriegelt, eine Klingel gibt es nicht. Am Rand der blickdichten Schaufensterscheiben gibt ein schmaler Spalt einen Blick in ein verwaistes Büro frei. Dabei soll das „Bürgerbüro“ der selbsternannten Fantasie-Gemeinde in Arendsee (Altmark) doch eigentlich offen sein - donnerstags 16 bis 18 Uhr, so steht es auf der Homepage der „Alten Marck“ in „Arendsee, Bundesstaat KgR. Preußen“. Von einer königlich-preußischen Verwaltung hätte man das nicht gedacht. Bürgernähe sieht anders aus.

Auch die Nachbarn wissen nichts. „Die sieht man hier gar nicht“, sagt die Frisörin ein paar Meter die Straße runter. „Da ist es ganz ruhig“, berichtet die Bedienung im Eiscafé schräg gegenüber.

„Alte Marck“ im Visier der Ermittler: Migranten illegal beschäftigt?

So unauffällig die „Alte Marck“ sich bisher gegeben hat, so schlagartig wurde die Gemeinschaft vor vier Wochen einer breiten Öffentlichkeit bekannt: Da durchsuchten Beamte der Bundespolizei die Büroräume. Die Ermittler, die auch in Hamburg, Bremen und Niedersachsen zuschlugen, waren im Auftrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg einer Schleuserbande auf der Spur.

Der Vorwurf: In Arendsee soll die selbst ernannte Gemeindevorsteherin Ellen M. die Buchhaltung für eine Sicherheitsfirma erledigt haben, bei der Migranten illegal beschäftigt worden sein sollen. Nach Angaben der Bundespolizei wird M. als Zeugin geführt, nicht als Beschuldigte. Die Firma und das Büro der „Alten Marck“ firmieren unter derselben Adresse in Arendsee, sie teilen sich sogar den Briefkasten, gemeinsam mit einer Reihe anderer Firmen und Institutionen.

Das Unternehmen mit Geschäftsadressen in Arendsee und Hamburg hat sich mittlerweile von den Vorwürfen distanziert: „Ein ehemaliger Subunternehmer ist offenbar in diesen Vorgang verwickelt und gemeinsam mit unseren Anwälten werden wir, sofern es uns möglich ist, die Staatsanwaltschaft Lüneburg bei ihren Ermittlungen unterstützen“, heißt es in einer Erklärung der Firma.

Verfassungsschutz ordnet „Alte Marck“ der Reichsbürger-Szene zu

Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz rechnet die „Alte Marck“ der Reichsbürger-Szene zu, genauer den sogenannten Selbstverwaltern, die mit der Bundesrepublik nichts zu tun haben wollen. Der Geheimdienst geht von rund 30 Anhängern aus. „Damit ist das eine der aktivsten Gemeinschaften im Land“, sagt Verfassungsschutz-Chef Jochen Hollmann.

„Viele in der Szene sind einzeln unterwegs und haben nur gelegentlich Kontakt zu Gleichgesinnten.“ Was die Altmärker aus Sicht der Verfassungsschützer besonders macht, sind die Strukturen. „Die Alte Marck hat sich ein eigenes Staatsgebiet zugeordnet, unter Berufung auf die alte preußische Staatsordnung“, sagt Hollmann.

Fantasiegemeinde „Alte Marck“ hat sich Parallelverwaltung aufgebaut

Ein eigenes Staatsgebiet. Ein Bürgerbüro, in dem - laut Verfassungsschutz - Ehen und Geburten bescheinigt werden. Ein Postamt. Ein Meldeamt. Eine Gebührenordnung für Dokumente. „Die haben quasi eine Parallelverwaltung aufgebaut“, urteilt Rüdiger Kloth.

Wie aktiv sie wirklich sind, Kloth, 53, kann darüber viel erzählen. Er und seine Mitarbeiter haben regelmäßig mit den Akteuren der „Alten Marck“ zu tun. Der CDU-Mann ist Bürgermeister der Verbandsgemeinde Seehausen, rund 20 Kilometer östlich von Arendsee. Anderer Landkreis, dasselbe Problem. Das „Staatsgebiet“, das die „Alte Marck“ für sich beansprucht, umfasst auch Orte, die zu Kloths Gemeinde zählen - Wohlleben und Kossebau, zwei Flecken zwischen Wiesen und Wäldern, roter Backstein, Fachwerk, geduckte Häuschen.

Wenn Anhänger der „Alten Marck“ Rathaus-Mitarbeiter belehren wollen

Und Bewohner, die gerne mal öfter als üblich die Verwaltung der von ihnen gehassten Bundesrepublik aufsuchen. „Der normale Bürger“, sagt Kloth, „kommt alle zehn Jahre aufs Amt, wenn er einen neuen Ausweis braucht. Und zwischendrin vielleicht noch zwei, drei Mal.“ Die Anhänger der „Alten Marck“ dagegen erschienen ein bis zwei Mal im Monat im Rathaus. Mal beschweren sie sich, dass der Bundesadler auf offiziellen Dokumenten die falschen oder zu wenige Flügel habe. Und fordern die Sachbearbeiter auf, dem gefälligst nachzugehen.

Mal bringen sie selbst ernannte Experten mit, die den Vertretern des Staates, den sie ablehnen, auf die Finger schauen sollen. Wie die Frau, die einen vorläufigen Reisepass beantragen wollte und einen Mann an ihrer Seite hatte, der sich als „Justiziar“ der „Alten Marck“ vorstellte.

„Die wollen uns beschäftigen und verunsichern“, sagt der Bürgermeister.

Zwischendrin schicken sie lange Briefe oder Mails, in denen sie ihr Rechtsverständnis darlegen. Oft geht es dabei um Preußen. „Die wollen uns beschäftigen und verunsichern“, kommentiert Kloth. Deshalb, auch diese Erfahrung haben sie in Seehausen gemacht, kommen sie häufig zu zweit aufs Amt: Einer stellt sich vor den Schreibtisch und redet, der andere bleibt mit verschränkten Armen in der Nähe der Bürotür stehen - ein Einschüchterungsversuch.

Kloth und seine Mitarbeiter wissen mittlerweile, mit wem sie es zu tun haben: Es handele sich um einen harten Kern von immer denselben fünf, sechs Leuten. Der Bürgermeister und seine Kollegen haben sich vorgenommen, sich nicht von ihnen provozieren zu lassen. Angst habe er nicht, sagt Kloth, aber manchmal schon ein unbehagliches Gefühl. Für den Umgang mit Reichsbürgern hat er zwei Devisen ausgegeben: freundlich bleiben und behandeln wie jeden anderen Bürger auch. Und sich nicht in langwierige Diskussion verwickeln lassen. „Das führt zu nichts.“

Manchmal merken auch Reichsbürger, dass es ohne den Staat, aus dem sie sich verabschiedet haben, nicht geht: Einmal wollte ein Mann in Seehausen seinen Personalausweis zurückgeben. „Den dürfen wir gar nicht annehmen“, schildert Kloth, „wir haben versucht, das dem Mann klarzumachen.“ Doch der beharrte darauf, ließ nach längerer Diskussion das Dokument einfach auf dem Tisch liegen und ging. Ein paar Tage später stand er wieder im Rathaus: „Er wollte seinen Ausweis wiederhaben, weil er ihn für einen anderen Behördengang benötigte“, berichtet Kloth.

„Heimath-schein“ statt Personalausweis für eine Unze Silber

Warum aber gibt jemand seinen Personalausweis zurück? Nach der Logik von Reichsbürgern ist dies geradezu zwingend: Wer die Bundesrepublik nicht anerkennt, braucht auch nicht deren Ausweispapiere. Bei der „Alten Marck“ kann man stattdessen einen „Heimath-schein“ beantragen, für „2,00 Mark (16 Euro) vorzugsweise eine Unze Silber“, wie es auf der Gemeinde-Website heißt. Diese wirkt trotz solcher bizarr anmutender Details auf den ersten Blick professionell.

Links führen zu einem Amtsblatt oder zu öffentlichen Aushängen. Bei deren Lektüre stößt man auf einen bizarren Streit innerhalb der Gemeinschaft: Demnach ist einer der Akteure ausgetreten und hat seine eigene Pseudo-Gemeinde gegründet. Bei der „Alten Marck“ firmierte der Mann zuvor als „Polizeicommissar“. Solche überholten Schreibweisen finden sich immer wieder in den Dokumenten, ebenso wie amtlich wirkende Stempel.

Einige Tage nach dem vergeblichen Besuch in Arendsee geht Ellen M. wenigstens ans Telefon. Noch bevor man fragen kann, legt sie los: „Wir haben damit nichts zu tun“, sagt sie zu den Ermittlungen im Schleuser-Milieu. Und die „Alte Marck“, die Bezüge zu Preußen? „Wenn Ihnen da die rechtlichen Hintergründe fehlen, bedarf es eines längeren Gespräches“, sagt sie knapp. Von der Reichsbürger-Szene distanziert sie sich ungefragt. Wie aber kommt die Einschätzung des Verfassungsschutzes zustande? Für M. steht fest: „Die haben gar keine Ahnung!“ (mz)

Papiere der Samtgemeinde Alte Marck
Papiere der Samtgemeinde Alte Marck
Screenshots: samtgemeinde-alte-marck.info