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Kommentar Mesut Özil und Ilkay Gündogan treffen Recep Tayyip Erdogan und schaden damit der Nationalmannschaft

Von Markus Decker 15.05.2018, 13:46
Ilkay Gündogan (l.) mit dem türkischen Präsidenten
Ilkay Gündogan (l.) mit dem türkischen Präsidenten Pool Presdential Press Service/A

„Wie töricht muss man sein?“, fragen auch dem Fußball fernstehende Mitmenschen, wenn sie die Bilder sehen, die Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit Recep Tayyip Erdogan zeigen. Und in der Tat: Dass zwei deutsche Fußball-Nationalspieler dem autokratischen türkischen Präsidenten huldigen, ohne sich der Wirkungen bewusst zu werden – das ist töricht und wird nicht dadurch aufgewogen, dass beide seit geraumer Zeit in England kicken und in den deutschen Debatten nicht so drin stecken wie ein heimischer Zeitungsleser. 

Offenbar war keiner der im Profifußball allgegenwärtigen hochdotierten Berater zugegen mit dem notwendigen Hinweis, dass dieser Schuss im Wortsinne nach hinten losgehen könnte. Zwar erscheint die Angelegenheit mit den sonntäglichen Fotos aus London auf den zweiten Blick nicht so töricht wie auf den ersten. Unverständlich bleibt sie dennoch. Und ja, durchaus empörend.

Loyalität ist im Fußball ein Fremdwort

Es lässt sich vielerlei zu Özils und Gündogans Gunsten sagen. Hier wird von Menschen Loyalität verlangt, die in einem Gewerbe arbeiten, dem nichts ferner ist als das. Ja, in diesem hochkapitalistischen Betrieb wird den Beteiligten Loyalität regelrecht abtrainiert. Sie ist dysfunktional. In welchem Verein einer spielt und ob er Schuhe von Adidas oder Nike trägt, hängt letztlich bloß von einem Faktor ab: vom Geld. Längst werden Spieler nicht mehr nur verkauft, sondern auch ausgeliehen. Manchmal werden sie erst gekauft und dann ausgeliehen.

Wer heute Fan eines Profiklubs ist, der muss sich darauf einstellen, dass er die Mannschaft von der einen Saison zur anderen nicht mehr wieder erkennt, weil ein großer Teil der Spieler Neuzugänge sind. Kicker mit Migrationshintergrund nehmen die Staatsbürgerschaft jenes Landes an, in dessen Nationalmannschaft sie bessere Einsatzchancen haben; umgekehrt werden sie von eben jenen Nationen hofiert. Die Verbände suchen keine Loyalität, sondern Talent.

Jonas Hector vom 1. FC Köln handelt den Marktgesetzen zuwider

Wie wenig emotionale Treue in dem Business eine Rolle spielt, war erst unlängst wieder zu besichtigen, als der aus dem Saarland stammende Kölner Kapitän Jonas Hector erklärte, in Köln bleiben zu wollen, obwohl der Verein soeben aus der Ersten Liga abgestiegen war. FC-Geschäftsführer Armin Veh bemerkte, derlei sei normalerweise zu 100 Prozent ausgeschlossen. Hector handelte den Marktgesetzen zuwider. Er ist der Uwe Seeler der Neuzeit.

So viel zum Allgemeinen. Konkret kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass viele Deutsch-Türken in Loyalitätskonflikten stecken, die nicht nur sie allein, sondern auch ihre Familien betreffen, die manchmal über Deutschland und die Türkei verstreut leben. Gündogan hat im Übrigen anders als Özil die doppelte Staatsbürgerschaft, ist also der Loyalitätskonflikt in Person.

Gündogans Widmung ist verstörend

Trotzdem stößt das Verständnis hier an Grenzen. Das gilt vor allem für Gündogan, der zur raren Spezies der „Fußball-Intellektuellen“ gezählt wird. Er schrieb nämlich per Hand auf das für Erdogan bestimmte Trikot: „Für meinen Präsidenten, hochachtungsvoll.“ Das bedeutet nicht anders, als dass seine Loyalität der Türkei gilt und dem ersten Mann eines Staates, dessen Prinzipien jenen des Grundgesetzes diametral entgegenstehen. Das lässt sich nicht wegreden und ebenso wenig durch Gündogans Hinweis relativieren, die Begegnung sei gleichsam zufällig zustande gekommen.

Es ist außerdem umso verstörender, als Özil und Gündogan in Gelsenkirchen geboren sind. Beide sollten fürwahr wissen, dass ihr Präsident Frank-Walter Steinmeier heißt, wie Cem Özdemir richtig anmerkte. Glücklicherweise kommt das Oberhaupt eines demokratischen Staates ohne den Zusatz „hochachtungsvoll“ wie überhaupt ohne Huldigungen aus.

Schließlich müssen es sich die beiden deutschen Nationalspieler ankreiden lassen, dass die Debatte über das bereits erwähnte Institut der ohnehin umstrittenen doppelten Staatsbürgerschaft abermals aufkommt – eine Debatte, die Fußball-Millionären herzlich egal sein kann, einem türkisch-stämmigen Malocher auf Schalke aber nicht. Sie senden das Signal aus, dass Integration selbst bei jenen nicht gelingt, die in Deutschland zur Welt kamen und Karriere machten. Töricht das alles, sehr töricht.

Eine Nationalmannschaft ist kein Verein

Nein, wir brauchen in der Nationalelf keine Hurra-Patrioten. Özil und Gündogan sollten auch nicht dazu dienen, dem wieder aufkeimenden Nationalismus in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt weiteren Auftrieb zu geben – was sie indirekt leider tun. Nur: Eine gewisse Verbundenheit von Spielern zu dem Land, dessen Trikot sie überziehen und dessen Hymne sie (nicht) singen, darf man erwarten.

Eine Nationalmannschaft ist kein Verein, sie ist mehr. In der deutschen Nationalhymne ist übrigens von „Recht und Freiheit“ die Rede; beides gibt es am Bosporus derzeit nicht. Bringen die zwei Gescholtenen diese Verbundenheit nicht auf und schlägt ihr Herz in Wahrheit für die Türkei, sollten sie nicht für Deutschland antreten. Es wäre für alle Beteiligten das Beste.