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Expedition ins Extreme Expedition ins Extreme: Theatermacher Tobias Ginsburg bereist unsichtbare Parallelwelt

Von Steffen Könau 28.04.2018, 12:00
Erste Station Wittenberg: Im „Königreich“ von Peter Fitzek traf Tobias Ginsburg „Amtmann“ Benjamin Michaelis und Vizekönig Martin Schulz (v.l.)
Erste Station Wittenberg: Im „Königreich“ von Peter Fitzek traf Tobias Ginsburg „Amtmann“ Benjamin Michaelis und Vizekönig Martin Schulz (v.l.) Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Ringsum sind nur wirklich nette Leute. Als Tobias Ginsburg den ersten Zwischenhalt einer Reise erreicht, von der er selbst heute sagt, er sei da „ziemlich naiv reingestolpert“, ist der gebürtige Hamburger richtig erstaunt. Hier in Wittenberg, wo Ginsburg gerade recht kommt, um die letzten Tage des „Königreiches“ von Peter Fitzek zu erleben, ist alles schön.

Herzlich wird der Wochenendgast auf dem früheren Krankenhausgelände empfangen: Ein Gleichgesinnter unter Gedankenbrüdern, ein Sinnsucher in dunklen Zeiten, der sich nach Seelengemeinschaft sehnt, wie sie draußen vor der Staatsgrenze, drüben in der alten, kalten Bundesrepublik, nicht zu finden ist.

Ginsburg, der da abends mit am Feuer sitzt und den Reden von Vizekönig Martin und Freiherr Benjamin lauscht, die als Stellvertreter des inhaftierten Peter Fitzek das Regiment im Staate führen, ist allerdings alles andere als das. Der 31-Jährige hat in München Dramaturgie und Philosophie studiert, Theater gemacht und Performances inszeniert. Und er hat in Zeitungen und Magazinen immer wieder über diese kuriosen Typen gelesen.

Ein Trip an die Grenzen des Erträglichen

„Reichsbürger, verwirrte Extremisten, die vom Rand der Gesellschaft herunterbaumeln“, wie er sagt. Jetzt ist er hier, um sich selbst ein Bild zu machen - ein Jude im Kreis von Leuten, für die, das wird Ginsburg auf seiner Expedition ins Extreme immer wieder feststellen, die jüdische Weltverschwörung nicht antisemitischer Unfug, sondern fester Bestandteil des eigenen Glaubensgebäudes ist.

Der erste aktenkundige Reichbürgerfall spielt nicht in Deutschland, sondern in der Nordsee, zehn Kilometer vor der englischen Küste. 1967 besetzte der frühere Major der britischen Streitkräfte Paddy Roy Bates eine von der britischen Regierung aufgegebene künstliche Festungsplattform im Meer und erklärte sie zum Staat „Fürstentum Sealand“. 

Der Deutsche Alexander Gottfried Achenbach wurde später zuerst „Ministerpräsident“, dann, nach einem von ihm initiierten Putsch, Chef einer „Exilregierung“, die auf einer Hühnerfarm in Brandenburg residierte. Anerkannt wurde der Ministaat Anfang der 90er Jahre von einer ebenso selbsternannten „Kommissarischen Reichsregierung“ des Berliner „Staatskanzlers“ Wolfgang Ebel, der als eine Art Urvater der heutigen Reichsbürger gilt, die die Legitimität der Bundesrepublik mit unterschiedlichen Begründungen und aus verschiedenen Gründen in Abrede stellen und behaupten, selbst Nachfolger die wahren des Deutschen Reiches und deshalb nicht mehr Teil der Bundesrepublik zu sein.

Die Behörden beobachten die Staatsgründer zunehmend misstrauisch, weil bekannte Figuren wie Peter Fitzek, der derzeit in Halle vor Gericht stehende Adrian Ursache oder der Georgensmünder Polizistenmörder Wolfgang Plan immer wieder den Konflikt mit dem Rechtsstaat suchen. (stk)

Es ist ein Trip an die Grenzen des Erträglichen, den sich Tobias Ginsburg zumutet. Am Anfang, bei den freundlichen Leuten vom Königreich, tritt der kompakte Mann mit dem Kurzhaarschnitt unterm Basecap noch unter seinem richtigen Namen auf. Ein Spion, der im Grunde gar nichts zu verbergen hat.

Und in Wittenberg nach einer „extrem herzlichen Begrüßung“ auf Menschen trifft, von denen er schnell den Eindruck gewinnt, „dass viele gar keine Ahnung haben, wo sie eigentlich sind“. Die Naivität der Untertanen des früheren Videothekars und Karatelehrers Fitzek sei „überwältigend“ gewesen. „Da sind mitunter Leute dabei, die kommen einfach mit dem Leben nicht klar“, erklärt er, „und dann werden sie mit freundlichen Begriffen abgeholt und in eine Parallelwelt gezogen“.

Tobias Ginsburg fühlt sich von der Gemeinschaft abgestoßen, zugleich aber auch angezogen. Wer ist hier Täter, wer Opfer? Immer wieder fährt er nach Wittenberg, ein „ideologischer Katastrophentourist“, wie er sich selbst nennt, der Königreich-Gäste und -bewohner wie Johannes, Benjamin, den Österreicher oder die Prinzessin mit offenem Mund bestaunt. Sie scheinen ihm verwirrt, pathologisch, aber nicht gewissenlos. Und untereinander völlig uneins über Art und Ausmaß des Jahrtausendbetruges, der ihrer Ansicht nach die Welt regiert.

These einer Weltverschwörung: Überzeugt von ominösen Kräften

„Von denen, die ich kennengelernt habe, glauben die wenigsten an die Grenzen von 1937“, sagt Ginsburg. Aber von Varianten der zentralen These einer Weltverschwörung von ominösen Kräften seien sie alle überzeugt. „Und ominöse Kräfte heißt in der Regel: Die Juden“, sagt Tobias Ginsburg. Nur dass der moderne Verschwörungsideologe den belasteten Begriff vorsichtshalber meide und lieber wolkig von „Ostküstenglobalisten“ oder der „internationale Logenszene“ spreche.

An diesen Platz finden Menschen aus vielen Richtungen. „Die einen sind Veganer, die an Esoterik und Lichtnahrung glauben, andere sind stahlharte Stiefelnazis“, erzählt Tobias Ginsburg, der seine weitere Reise ins Land der Rechten unter dem Decknamen Tobias Patera antritt. Sicher ist sicher und sicher ist auf dieser Straße nur, dass die Kreise brauner werden, in die der nun als „alternativer Journalist“ getarnte Theatermann vordringt.

Untereinander uneins: Nur der paranoide Wahn verbindet 

Es erinnert an Alice’ Reise durch den Kaninchenbau, hinter dem sich ein bizarres Wunderland auftut, in dem nichts mehr stimmt, was vor dem Eingang noch wahr war. Aus den freundlichen Wittenberger Wirrköpfen, denen Ginsburg eben noch beim Umzug in ein Notdomizil geholfen hat, werden auf den weiten Ebenen, auf denen sich Antiamerikaner, Israelkritiker, Merkelgegner, Russlandfreunde und EU-Feinde treffen, beinharte Nazis. Ginsburg, in seiner Rolle als journalistischer Kämpfer gegen die Lügenpresse nun nicht mehr Besucher und Beobachter, sondern vermeintlicher Mit-Aktivist, rückt binnen weniger Monate vom Szeneneuling auf zu einem Mann, der in geheimen, handverlesenen Runden sitzt, die den Sturz der Regierung planen.

Kaum jemand hier, das weiß er zu dieser Zeit schon, würde je zugeben, ein „Reichsbürger“ zu sein. „Das ist ein Reizwort“, sagt Ginsburg, „und ein hilfloser Versuch der Kategorisierung.“ Dabei seien sich die Staatsgründer, Selbstverwalter, Aussteiger, Stiefelnazis und Verschwörungsaufdecker untereinander weder einig noch grün. Nur der paranoide Wahn, auf den er unterwegs zwischen Hinterzimmerumstürzen, Netzwerkgründungen und öffentlichen Mahnwachen immer wieder trifft, verbindet die Leute. „So lange man die Meinung teilt, dass wir in Wahrheit alle belogen werden, kann man sich einigen, dass es einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen gilt.“

Ginsburg macht Buch aus Beobachtungen seiner Reise

Der ist kein überraschend neuer, wie der engagierte Systemkritiker Patera bemerkt, wenn er zusammen mit Szenegrößen wie dem Querfrontler Jürgen Elsäßer, dem Ex-MDR-Redakteur und Parteiengründer Christoph Hörstel, dem Mecklenburger Entenkönig Rüdiger Hoffmann oder einem halleschen Unternehmer zusammensitzt, der Schottenkilt trägt und AfD wählt. „Bis hin zu deren völkischem Flügel, wo ich auf die vielleicht gefährlichsten Menschen getroffen bin - am Ende ist es der Judenhass, auf den sie sich einigen können“, sagt der Jude Ginsburg.

Er hat ein Buch aus den Beobachtungen seiner Reise gemacht, ein Bändchen, das ihm beim Schreiben ein bisschen auch wie Verrat vorgekommen ist. Die vielen skurrilen Menschen, die er unterwegs getroffen habe, mit ihren vielen Varianten vom Glauben an die böse Sache, die seien ja auch sympathisch gewesen, Täter und Opfer zugleich, Verführte und Verführer, verlockt und verraten von Gurus, denen es vorzugsweise um das Polieren ihres Egos gehe. „Ich habe versucht, Leute zu schützen“, sagt Tobias Ginsburg, der nicht denunzieren, sondern sensibilisieren will. „Die Frage ist für mich, warum diese Thesen so anschlussfähig sind und wo der Punkt kommt, an dem man selbst in den Sog gezogen wird.“

Dass Patera Ginsburg war und Ginsburg kein verschworener Mitkämpfer, sondern ein Sinnsucher anderer Art, hat die Szene ihm übelgenommen, aber nur ein wenig. „Heftige Mails“ habe er bekommen, erzählt der inzwischen demaskierte Reichsreisende. Ein wenig helfe da wohl auch sein Bemühen, „im Buch eine Denkrichtung zu porträtieren, ohne die kleinen Mitläufer bloßzustellen.“ Aus dem Wittenberger Königreich jedenfalls sind zwei Buchbestellungen gekommen. Tobias Ginsburg hat die erbetenen Bücher geschickt. Ohne Widmung. (mz)

Das Buch hier bestellen: Tobias Ginsburg, Die Reise ins Reich, Eulenspiegel-Verlag, 266 Seiten, 17,99 Euro,