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Krebs durch Dämmstoff Spielplatz auf Peißnitz in Halle: Krebs-Gift Kamilit am abgerissenen Planetarium

Von Steffen Könau 27.02.2018, 05:00
Faustgroße Brocken des krebserregenden Dämmmaterials Kamilit liegen in der Nähe des Spielplatzes auf dem Gelände des früheren Planetariums.
Faustgroße Brocken des krebserregenden Dämmmaterials Kamilit liegen in der Nähe des Spielplatzes auf dem Gelände des früheren Planetariums. Steffen Könau

Halle (Saale) - Schon die Farbe wirkt unangenehm. Dunkelgraugrün und im Sonnenlicht gefährlich blitzend, so sieht Kamilit aus, ein mineralischer Baustoff, der Ende der 1970er Jahre verwendet wurde, um im Inneren des damals kurzfristig errichteten Raumflugplanetarium „Sigmund Jähn“ Wände zu dämmen.

Kamilit, zu Deutsch auch Glaswolle oder Steinwolle genannt, wird bis heute verwendet, allerdings nicht mehr in der Form, die früher verbaut wurde. Seit 20 Jahren gelten ältere Herstellungschargen als krebserregend, weil sie so winzig kleine Fasern hatten, dass die bis in die Lunge vordringen können.

Dämmmaterial Kamilit: Hautreizungen und Juckreiz

Die späte Erkenntnis, dass im Planetarium auf der Peißnitzinsel genau solche gefährliche Mineralwolle in dicken Packen eingebaut wurde, führte schon beim Start des geplanten Abrisses zu Verzögerungen. Ein Gutachten hatte kurz zuvor ergeben, dass bei den Abbrucharbeiten auf besondere Regelungen zum Gesundheits- und Arbeitsschutz geachtet werden muss. Kamilit führt schon bei leichtem Hautkontakt zu Hautreizungen und Juckreiz.

Empfindliche Haut kann auch mit Rötungen oder sogar Schwellungen reagieren. Viel gefährlicher aber: der mikroskopisch feine Faserstaub dringt zudem in die Lunge ein, wo er Krebserkrankungen auslösen kann.

Halles Beigeordnete Judith Marquardt: Austritt von Schadstoffen zu keiner Zeit möglich

Das aber sei bei der inzwischen fast völlig abgebrochenen Ruine des denkmalgeschützten Planetariums ausgeschlossen, versichert die zuständige Beigeordnete Judith Marquardt auf eine Anfrage der MZ zu den Sicherheitsvorkehrungen beim Abriss. „Gemäß Gefahrstoffverordnung und der Vorgaben der Berufsgenossenschaft wurde das Gebäude staubdicht abgeschottet.“ Sämtliche Öffnungen in den Außenwänden seien dabei „verschlossen und die in der Luft befindlichen Schadstoffe abgesaugt“ worden, beschreibt sie. Zudem seien die betroffenen Bauteile „zerstörungsfrei ausgebaut, in Big Bags verpackt und fachgerecht entsorgt“ worden.

Dazu habe es für die Mitarbeiter „Schwarz-Weiß-Bereiche“ gegeben, also getrennte Umkleidebereiche, in denen jeweils entweder faserstaubbelastete Arbeitsschutzkleidung oder saubere Kleidung getragen wurde. Deshalb, so Marquardt, sei der Zugang der Arbeiter zum Objekt während des Abrisses „über eine Zweikammerpersonenschleuse“ erfolgt. „Durch diese Maßnahmen war ein Austritt von Schadstoffen zu keiner Zeit möglich.“

Zeuge des Abrisses am Planetarium Halle: Da war alles offen

Zumindest theoretisch. Denn praktisch stand die Baustelle in unmittelbarer Nähe des vielbesuchten Peißnitzhauses entgegen der Aussagen aus dem Rathaus über Wochen offen, nur geschützt durch einen unverschlossenen Bauzaun. Nicht einmal ein  Schild weist  auf die akute Gesundheitsgefährdung hin, die dahinter lauert: teils faustgroße Flocken Kamilit, die im Bereich des früheren Projektorsaales überall zwischen dem normalen Bauschutt liegen.

Eine „Zweikammerschleuse“ haben regelmäßige Baustellenbesucher ebenso wenig bemerkt wie verschlossene Öffnungen der Ruine oder eine Absauganlage. „Mir ist so was nicht aufgefallen“, sagt ein Mann, der den Abriss durch alle Phasen beobachtet hat. Auch Videos, mit denen die Initiative Schalendom in Zusammenarbeit mit der Uni Weimar den Abriss dokumentiert hat, zeigen keine Abschottung. Er habe das halbzerstörte Gebäude zwischendurch sogar mehrmals betreten, sagt der Zaungast. Ohne Schleuse, „da war alles offen“.

Krebs-Gift am Planetarium Halle: Kann Glaswolle leicht zum Spielplatz hinüberwehen?

„Es wurde nicht einmal Wasser gespritzt, obwohl sich nur 50 Meter entfernt ein Kinderspielplatz befindet“, kritisiert ein anderer Abriss-Kiebitz. Ohne Befeuchtung könne der Wind Glaswolle leicht zum Spielplatz hinüberwehen, glaubt der Mann.

Im Rathaus ist davon nichts bekannt. Nach Angaben von Marquardt wurden die „Rückbauarbeiten von einer Fachfirma durchgeführt und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben fortlaufend von einem  mit der Bauüberwachung beauftragten Büro sowie einem Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Koordinator kontrolliert“. Die auf der Baustelle liegenden Reste der Kamilit-Matten sind übersehen worden, denn Marquardt gibt als Ergebnis der Prüfungen an: „Der Rückbau erfolgte fach- und sachgerecht.“ (mz)