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Mister Messias Wie Adrian Ursache den Rechtsstaat vorführen will

Von Steffen Könau 11.02.2018, 21:45
Seit Oktober steht Adrian Ursache in Halle vor Gericht. Dabei immer dramatisch: seine Armschiene.
Seit Oktober steht Adrian Ursache in Halle vor Gericht. Dabei immer dramatisch: seine Armschiene. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Er setzt sich nicht, er steht lieber. Nicht prinzipiell, aber hier in Saal 89 des Landgerichts Halle, in dem sich Adrian Ursache seit Anfang Oktober vergangenen Jahres wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes verantworten muss.

Ursache steht nicht, weil das gemütlicher ist oder weil er möchte, dass die stets zahlreichen Zuschauer sehen, dass der ehemalige Mister Germany auch nach 17 Monaten Untersuchungshaft noch immer eine gute Figur macht in Anzug, polierten Lederschuhen, hellem Hemd und dunklem Binder. Sondern weil er das Knie nicht beugen will vor einer Strafkammer, die er nach eigenem Bekunden nicht anerkennt.

Adrian Ursache, 43 Jahre alt, geboren als Sohn einer deutschen Mutter und eines rumänischen Vaters im 20.000-Einwohner-Städtchen Kimpolung in der Bukowina, kam als Kind mit seiner Familie nach Deutschland. Immer lieb und höflich sei er damals gewesen, sagt seine Mutter Antoinetta, auch sehr klug und beliebt.

„Ja, der Adrian“, schwärmt sie, ein Lächeln im Gesicht. Später lernt der jüngere von zwei Söhnen Kfz-Mechaniker, er modelt nebenbei; ein Mustersohn, an dem seine Eltern nie etwas auszusetzen haben. „Er war immer für die Familie da, das war das Wichtigste für ihn“, beschreibt Antoinetta Ursache. Ihr Sohn, nun halb sitzend auf einem Heizkörper unter dem Saalfenster, schmunzelt überm kantigen Kinn, unter lockigem Seitenscheitel. Das waren noch Zeiten.

Denn inzwischen zählt die Familie für ihn nur noch in zweiter Linie. Adrian Ursache, so zumindest sieht er es, steht nicht als Angeklagter vor Gericht, weil ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft, im Verlaufe eines Polizeieinsatzes auf seinem Grundstück in Reuden in der Elsteraue auf einen SEK-Beamten geschossen zu haben.

Adrian Ursache: „Es tut mir leid für meine Kinder, für meine Familie“

Nein, er ist selbst als Ankläger hier, berufen, das, was er abfällig „das System“ nennt, auf die Anklagebank zu zerren. „Es tut mir leid für meine Kinder, für meine Familie“, sagt er an einem Verhandlungstag im Januar mit einem schmalen Seitenblick zu seinen beiden Söhnen, die schulfrei haben und mit ihrer Mutter, die jeden Verhandlungstag als Beistand ihres Mannes verfolgt, ins Gericht gekommen sind.

„Es tut mir leid, aber es muss sein, ich muss das tun.“ Adrian Ursache schaut vor zum Richtertisch. „Egal, wie lange es dauert“, sagt er, „ich stehe hier auch für meine Kinder, die sehen sollen, dass man dafür eintreten muss, seine Meinung sagen zu dürfen, egal, was es einen kostet.“

Schon vor der Schießerei mit der Polizei, bei er von drei oder vier Kugeln getroffen und lebensgefährlich verletzt wurde, achtete Adrian Ursache darauf nur noch wenig.

Binnen von nur zwei Jahren war aus einem erfolgreichen Mitbürger, der in einer Band spielte, im Dorfverein das Fußballtor hütete und eine Solarfirma betrieb, ein Mann geworden, der Behörden mit ellenlangen Traktaten zu völkerrechtlichen Fragen bombardierte, im Internet Filme veröffentlichte, in denen er über eigene Staatsrechts- und Geldschöpfungstheorien sprach, und der dann auch noch den „absoluten Staat Ur“ (Ursache) gründete - mit Staatsflagge, Wappen und dem „heiligen Auftrag, für Gerechtigkeit zu sorgen“.

Adrian Ursache und sein großer Kampf gegen den Rechtsstaat

Aus dem bürgerlichen Leben verabschiedete sich Adrian Ursache zu dieser Zeit, als immer mal wieder Post von Gläubigern kam, aus der schließlich Gerichtspost wurde. Während Ehefrau Sandra noch versucht, zu gütlichen Einigungen zu kommen, um das von Zwangsversteigerung bedrohte Haus der Familie zu retten, steigt Adrian Ursache zur ersten Runde seines großen Kampfes gegen den Rechtsstaat in den Ring.

Unter lautem Applaus Gleichgesinnter lässt er Gerichtsvollzieher und Polizeibeamte nur bewaffnet mit einer Smartphone-Kamera abtreten. Er reist durchs Land und hält Vorträge vor seinen Fans, in denen er erläutert, wie jedermann Schulden machen kann, ohne sie zurückzuzahlen. Und um das Ganze auf die Spitze zu treiben, fordert er von der „sogenannten BRD / Bundesrepublik Deutschland, Federal Republic of Germany / FRG“ eine Zahlung von 140 Milliarden Euro in Gold als Entschädigung für „durch Rechtsbruch und Verletzung des Völkerrechtes von Ihr begangene Verbrechen gegen das Volk der Ur“.

Ur, das war nach Ursaches Meinung ein richtiger Staat, das „Volk“ waren seine Frau und seine Kinder. Sandra Ursache hat später vor Gericht gesagt, sie habe nicht interessiert, „was mein Mann da gemacht hat“. Die Bundesregierung hat auf Ursache Briefe mit der Information über das neue völkerrechtliche Gebilde in ihrer Mitte nie geantwortet.

Behörden sortieren Adrian Ursache bei den „Reichsbürgern“ ein

Allerdings sortierten die Behörden Adrian Ursache bei den „Reichsbürgern“ ein, einer lose verbundenen Bewegung aus Leuten, die glauben, dass es sich bei der Polizei um eine eingetragene Marke, bei der Bundesrepublik um eine GmbH und bei der Bundeskanzlerin um eine Art Gouverneurin handelt, die von dunklen Finanzmächten jenseits des Atlantik installiert wurde, um das deutsche Volk auszurotten. Manche unter ihnen glauben das mehr, manche weniger. Alle aber sind sich sicher, dass die da oben irgendwas zu verbergen haben. Und der Adrian, loben sie, der habe Rückgrat, der zeige es denen mal richtig.

Er werde sein „Volk Ur“ mit „Blut und Eisen verteidigen“, hatte Adrian Ursache im Internet angekündigt, als ihm ein Gerichtsvollzieher den Termin der Zwangsräumung des inzwischen an einen neuen Eigentümer verkauften Hauses mitteilte. Als die dann stattfand, brachte der Vollstreckungsbeamte 150 Polizisten mit, die erstmal vorbeugend vorrückten, um jeden möglichen Widerstand zu ersticken.

Es ist die zweite Runde von Ursaches Kampf gegen Windmühlen, diesmal mit der Waffe in der Hand. Als er am Tag danach im Krankenhaus erwacht, dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen, nimmt Adrian Ursache das als Wink des Schicksals: Nicht tot zu sein nach vier Treffern, das könne nur bedeuten, dass jemand noch etwas mit ihm vorhabe.

Ursache inszeniert sich als Justizopfer und als Ankläger

„Gott ist mein Zeuge“, glaubt Ursache seitdem, „er hat mich gezeichnet, um meine Unschuld zu beweisen.“ Wie ein Ehrenzeichen trägt er seitdem die „Fixateur externe“, ein durch die Haut am Unterarmknochen gedrücktes Haltesystem, das die durch eine Kugel gebrochenen Knochen halten soll. Längst wäre es Zeit, die Drähte abzunehmen, denn die durchstoßene Haut ist nach anderthalb Jahren dauerentzündet. Längst drohen bleibende Schäden. Doch Adrian Ursache will nicht. „Jesus hat auch sein Kreuz getragen“, sagt er. Er lächelt dabei keine Spur.

Ein Mann auf einer Mission. Im Gerichtssaal inszeniert er sich als Justizopfer und als Ankläger, als Verteidiger des Grundgesetzes und Verächter der rechtsstaatlichen Institutionen. Ein Winkeladvokat, belesen und intelligent genug, vielleicht nicht alles ganz, aber doch von allem ein wenig zu verstehen.

Adrian Ursache sagt, er sei kein „Reichsbürger“, sondern „jüdischen Glaubens“ und entschlossen, zu kämpfen „damit sich unsere Geschichte nicht wiederholt“. Dann referiert er über die Anzahl der Schwingen am Bundesadler, über den ungültigen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und über den Unterschied zwischen „deutscher Staatsbürgerschaft“ und „Staatsbürgerschaft deutsch“. Reichsbürger? Er sei es doch, der den Rechtsstaat verteidige, sagt er. „Und ich tue das bis zum letzten Atemzug, zum letzten Blutstropfen.“

Mutter von Adrian Ursache: „Was ist nur mit dir los, Junge?“

Das klingt alles bizarr, Adrian Ursache aber meint es bitter ernst. Beseelt von dem, was er für seine Aufgabe hält, steht er seiner weinenden Mutter in einer Verhandlungspause gegenüber. Die ältere Frau fragt leise „was ist nur mit dir los, Junge?“ Adrian Ursache presst die Kiefer aufeinander. Er streicht seiner Mutter über den Arm, gibt aber keine Antwort. Auch seine Frau umarmt er liebevoll, so oft es der Prozessverlauf zulässt. Doch ihr leidendes Gesicht, wenn er ausholt, um über das „totalitär-faschistische System“ zu schimpfen, das ihn „in Geiselhaft im KZ Halle“ halte, ignoriert er.

Was muss, das muss, selbst wenn es jede Hoffnung seiner Familie zunichtemacht, das Gericht könne sen urteil treffen ohne dabei an die vielen Beschimpfungen zu denken. Das wolle er sowieso nicht, sagt Adrian Ursache. Lieber im Stehen sterben, als auf Knien leben. „Ich habe die Pflicht zum Widerstand“, sagt Adrian Ursache. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.

Ursache im Strudel der Schulden

Am Ende ging es noch um rund 4.000 Euro, die überfällig waren. Doch der am Bodensee aufgewachsene Adrian Ursache, der seiner Frau, der früheren „Miss Germany“ Sandra Ursache, ins Burgenland gefolgt war, hatte bereits beschlossen, den Kampf mit dem Rechtsstaat aufzunehmen, dessen Entscheidungen er nach monatelangem Studium von Internetartikeln und juristischer Fachliteratur nicht mehr akzeptieren zu können glaubte. Im Stil eines Winkeladvokaten legte Ursache Paragrafen nun wörtlich aus.

Heißt es im Gesetz, eine Unterschrift müsse „lesbar“ sein, weist er Papiere ohne lesbare Unterschrift als „ungültig“ und unwirksam zurück. Das geht eine ganze Weile gut, der Reudener wird von Gleichgesinnten im Internet gefeiert, wenn er Beamte mit einem Gemisch aus Beschimpfungen und angelesenem Juristendeutsch in die Flucht schlägt.

Die Mühlen der Justiz mahlen zwar langsam, aber sie mahlen: Erst kommt es zur Zwangsversteigerung des Hauses, dann sollen in Reuden Haftbefehle vollstreckt werden, die als letztes Drohmittel von Gläubigern gelten, um entweder ihr Geld zu bekommen oder die beeidete Aussage eines Schuldners, dass er über kein Vermögen verfügt. Der Routineeinsatz gerät zum Desaster. (mz)