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Wachgerüttelt von Flipper Karsten Brensing: Biologe erklärt, wie Tiere denken und fühlen

Von Steffen Höhne 13.01.2018, 18:00
Täglich macht Karsten Brensing mit seinem Hund „Darwin“ einen Spaziergang.
Täglich macht Karsten Brensing mit seinem Hund „Darwin“ einen Spaziergang. dpa

Erfurt - Vom Wohnzimmertisch aus schaut Karsten Brensing durch ein Panoramafenster direkt in einen großen Garten. Sein Haus in einem kleinen Dorf bei Erfurt steht an einem Hang, der in ein kleines Waldstück mündet.

Unten im Tal haben diese Woche Wildschweine die gesamte Wiese durchgepflügt. Wenn der erfolgreiche Tierbuch-Autor bei Dämmerung hinausblickt, die Eber oder Füchse beobachtet und sich vielleicht Notizen macht, dann könnte das fast etwas klischeehaft wirken.

Ansonsten hat sich Brensing jedoch zur Aufgabe gemacht, mit Klischees und Schein-Wissen aufzuräumen. Der Meeresbiologe und Verhaltensforscher schildert in seinem neuen Buch „Das Mysterium der Tiere“ (Buch bei Amazon kaufen) unterhaltsam die neuesten Erkenntnisse, wie Tiere denken und fühlen.

„Lange Zeit sahen viele Wissenschaftler Tiere als eine Art Bio-Roboter“, sagt Brensing. „Die Forschung der vergangenen 20 Jahre hat jedoch gezeigt, dass einige Arten sogar zu abstraktem Denken fähig sind.“

Nur in den Schulbüchern und im Wissen vieler Menschen sei das noch nicht angekommen. Das will der 50-Jährige ändern und findet viele Leser. Seit Wochen steht sein Buch auf der Sachbuch-Bestsellerliste des „Spiegel“.

Karsten Brensing: Das inspirierte den Biologen zu seinem Buch „Das Mysterium der Tiere“

Bei Brensing ist es im Grunde genommen „Flipper“ gewesen, der ihn zum Nachdenken und Umdenken gebracht hat. Bereits als Kind begeisterte er sich für Meerestiere.

Seine Lieblingsserie war „Flipper“ - jene Geschichte über einen schlauen Delfin. Meeresbiologie zu studieren, verweigerte die DDR ihm jedoch, weil er nicht bereit war, Westkontakte aufzugeben. Da gab der Jugendliche lieber die DDR auf.

Im Frühjahr 1989 machten sich Brensing und seine heutige Frau Katrin auf den Weg, über das Pamir-Gebirge in der Sowjetunion nach Pakistan zu fliehen. Der Plan scheiterte an militärischen Grenzstreitigkeiten in dem Gebiet.

Also fuhren sie nach Ungarn. Seine Freundin passierte in einer ausgehöhlten Rückbank eines VW-Polos die Grenze nach Österreich. Brensing, knapp 1,90 Meter groß, konnte das nicht. Der passionierte Ausdauerläufer und Schwimmer stieg in die Donau. Fünf Stunden schwamm er im schwarzen Neopren-Anzug durch die Nacht, um nach Jugoslawien zu gelangen.

„Ich kam morgens an einem weißen Sandstrand an, ein paar Camper sahen mich und wussten gleich Bescheid.“ Sie machten ihm erst einmal ein herzhaftes Frühstück. Von Jugoslawien war es dann einfacher, in den Westen zu reisen.

Wenn Brensing dies heute im warmen, gemütlichen Esszimmer erzählt, ist die abenteuerliche Flucht weit weg. Geblieben ist, dass er nicht immer den bequemen Weg wählt.

Autor Karsten Brensing: Biologe studierte in Göttingen

In der Bundesrepublik angekommen, studierte der damals 22-Jährige Biologie in Göttingen und dann später Meeresbiologie in Kiel. Doch es dauerte bis zu seiner Doktorarbeit, als der junge Forscher und Flipper-Fan endlich mit Delfinen arbeiten konnte.

Im US-Staat Florida machte er eine Pilotstudie, wie Menschen zusammen mit Delfinen schwimmen. „Ich war damals der festen Überzeugung, dass die Tiere den Kontakt zu uns suchen.“ Doch die Auswertung der Schwimmwege ergab ein anderes Ergebnis: Die Tiere meiden eher den direkten Kontakt zu Menschen.

Für die Filmaufnahmen für seine Lieblingsserie „Flipper“, erzählt er, seien gleich mehrere Delfine „verbraucht“ worden, weil sie den Stress nicht durchhielten. Brensing beschäftigte sich weiter mit dem Verhalten und Leben der Tiere. Untersuchungen mehrerer Wissenschaftler ergaben, dass auch große Aquarien die Säugetiere krank machen. „Sie meiden im Meer enge Stellen und Felsen.“

Der Verhaltensforscher wählt folgende Analogie: „Ein Leben in Delfinarien ist für sie so, als müssten Menschen ständig an einer steilen Felskante leben.“ Dennoch würden Delfine weiter in Schwimmparks in Gefangenschaft gehalten.

Brensing wollte nicht mehr nur forschen, sondern auch etwas verändern. Also heuerte er bei der Arten- und Tierschutzorganisation „Whale and Dolphin Conservation“ (WDC) an. Deren Mitglieder sind nicht dafür bekannt, sich medienwirksam mit kleinen Schlauchbooten vor Walfangschiffe zu manövrieren, sondern betreiben und unterstützen vor allem Forschung.

Zehn Jahre lang arbeitet Brensing von München aus für den Walschutz. Unzählige Male traf er in Brüssel mit Beamten und Politikern der EU-Kommission zusammen. „Eines der größten Probleme ist die Lärmverschmutzung in den Meeren.“ Schiffe, aber auch zunehmend der Bau von Windkraftanlagen im Meer, würden einen immensen Krach erzeugen, der die Wale orientierungslos mache.

Brensing reiste durch die Welt: Australien, Neuseeland oder die USA. „Wenn es am Ende der Gesetzgebung aber hart auf hart kommt, setzen sich meist die Interessengruppen aus der Wirtschaft durch“, stellte der Biologe fest. Irgendwann fühlte er sich nach eigenen Worten „regelrecht leer“. Er wollte eine Veränderung.

„Das Mysterium der Tiere“: Autor Karsten Brensing kehrte nach Thüringen zurück

Also kehrten er, seine Frau und seine zwei kleinen Jungs in die alte Heimat zurück, bauten ein Haus. Auch vom Arbeitszimmer aus hat Brensing einen Blick in den Garten. Es ist ein Rückzugsraum, in dem sich Bücher und Zeitschriften stapeln.

„Über die Jahre hatte ich viele interessante Studien gelesen und zusammengetragen, die sich mit dem Verhalten von Tieren beschäftigen“, sagt er. „Bei fast allen zeigte sich, dass sie dem Menschen in vielen Dingen sehr ähnlich sind.“

Brensing will den Menschen nicht vom Thron stürzen - er bleibt Krone der Schöpfung. „Der Erfolg des Menschen beruht vor allem auf seiner sehr hohen Kooperationsfähigkeit“, sagt Brensing. Das sei im Tierreich so noch nicht beobachtet worden.

Je weiter das Gehirn von Tieren entwickelt ist, umso leistungsfähiger ist es. Doch was darin passiert, wurde lange Zeit nicht untersucht. Brensing stellt in seinem Buch eine Studie vor, die belegt, dass junge Entenküken abstrakt denken können.

So wurden geometrische Figuren wie Würfel und Kegel den gerade geschlüpften Küken als Muttertiere präsentiert. Die Küken waren jedoch nicht nur in der Lage, diese wiederzuerkennen. Das fiele noch unter Prägung. Im Experiment war das Entengehirn auch in der Lage, die Figuren zu kategorisieren und völlig neue Objekte als zu der Kategorie zugehörig zu identifizieren.

„Genau diesen Vorgang bezeichnet man beim Menschen als abstraktes Denken“, erläutert Brensing. Für große Aufmerksamkeit sorgte in der Fachwelt auch eine Studie über Kohlmeisen, bei denen eine Syntax, also ein Satzbau in der Kommunikation, nachgewiesen wurde.

Den quirligen Vögeln, so Brensing, seien ihre eigenen Rufe vorgespielt worden. Darin gab es unterschiedliche Aufforderungen durch die Abfolge von Lauten. Etwa: „Gib acht“ oder „Komm her“. „Es war der erste im Freiland gewonnene Beweis für einen Satzbau im Tierreich.“ Der Buchautor ist von der Entdeckung selbst begeistert.

Dass Tiere in einem gewissen Maß denken und fühlen können, erlebt Brensing auch jeden Tag beim Spaziergang mit seinem Hund „Darwin“. „Er reagiert auf mich anders als auf meine Frau“, sagt er. „Bei mir will er seine Grenzen austesten“

Brensing erzählt von seinem vorherigen Hund: „Wenn ich mit dem rausgegangen bin, habe ich ihn gefragt: ,Wohin willst Du heute laufen?’“ Der Hund habe dann selbst die Richtung gewählt. „Einige Menschen werden das vielleicht komisch finden. Ich bin überzeugt, dass der Hund bemerkte, dass ich ihm die Wahl lasse.“

Bucherfolg „Das Mysterium der Tiere“ von Karsten Brensing: Naturthemen liegen im Trend

Der Verkaufserfolg des Buches liegt auch daran, dass Natur-Themen derzeit im Trend liegen. Der Autor und ehemalige Förster Peter Wohlleben hat mit Werken wie „Das geheime Leben der Bäume“ oder „Das Seelenleben der Tiere“ geradezu eine Welle losgetreten.

Doch Wohlleben steht auch in der Kritik, viele der aufgeführten Thesen nicht belegen zu können. Diesen Vorwurf will Brensing vermeiden. „Jeder Fakt in dem populärwissenschaftlichen Buch ist belegt“, sagt der Autor über sein Buch. 542 Quellenangaben hat er dafür im Anhang aufgeführt.

Doch Brensing will nicht nur schreiben und Bücher verkaufen, er möchte seine Leser bewegen, nachzudenken. Wenn ein Rind vor dem Schlachten Tränen in den Augen hat, sollte man es dann essen?

Brensing, selbst Vegetarier, will niemandem Vorschriften machen. Er hat für sich den Spruch „besser ist besser“ übernommen. „Wenn jemand, der viel Fleisch isst, sich entscheidet, weniger zu essen, ist das besser“, sagt er. „Ich habe nur wenig Fleisch gegessen und nun gar nicht mehr. Das ist auch besser.“

Er weiß, wie schwer es ist, auf liebgewonnene Gewohnheiten zu verzichten. Bei ihm ist es die Milch im Kaffee. „Wenn ich in Erfurt an einem Döner-Laden vorbeikomme, denke ich manchmal: Es riecht einfach sehr gut.“

Kompromissloser ist er dagegen bei dem Thema Tierrechte. Diese sieht er aktuell nicht gewahrt. „Es gibt in Deutschland zwar ausreichend Gesetze, doch diese werden sehr häufig nicht umgesetzt“, ist seine Erfahrung.

Immer wieder gebe es Berichte über unhaltbare Zustände in Schweine- und Geflügelställen. Daher gründete er mit mehreren Uni-Professoren an seiner Seite den Verein Individual Rights Initiative (IRI). Dieser will erreichen, dass Tiere als juristische Personen gelten und vor Gericht für ihre Rechte klagen können.

Ein Tier soll klagen? „Das ist gar nicht kompliziert“, so Brensing. Auch geistig behinderte Menschen würden häufig durch einen Vormund ihre Rechte durchsetzen lassen. Das ginge auch bei Tieren. Der bürokratische Aufwand sei gering.

Vielmehr könnten zahlreiche Kontrollen sogar eingespart werden. Utopisch findet Brensing den Vorschlag keineswegs. „Wir müssten uns endlich intensiver damit beschäftigen, welchen Status Tiere für uns haben und welche Rechte sich daraus ableiten“, sagt der Wissenschaftler.

Brensing ist eher ein Idealist, der an ein Zusammenleben von Mensch und Tier glaubt, das nicht auf Ausbeutung beruht. Die Gesellschaft müsse etwa für sich klären, in welchem Ausmaß Fleischkonsum ethisch vertretbar ist. Auch müsste ausdiskutiert werden, was unter artgerechter Tierhaltung zu verstehen ist. An dieser Debatte würde sich Brensing sehr gern beteiligen. (mz)