1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Oury-Jalloh-Demo: Oury-Jalloh-Demo: Qualvolle Erinnerung am Jahrestag

Oury-Jalloh-Demo Oury-Jalloh-Demo: Qualvolle Erinnerung am Jahrestag

Von Walter Zöller 07.01.2018, 19:35
Die Demo vor dem Landgericht in Dessau.
Die Demo vor dem Landgericht in Dessau. MZ

Dessau - Das Gedenken an Oury Jalloh, der vor 13  Jahren in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, beginnt mit zwei Fälschungen: Am Sonnabend überkleben Unbekannte zunächst ein offizielles Bauhaus-Werbeschild an der A 9 mit dem Schriftzug „Oury-Jalloh-Stadt Dessau“. Wenig später taucht im Internet ein Twitter-Account mit gleichem Namen auf, der suggeriert, die Stadt begrüße offiziell die Teilnehmer der Gedenkfeiern am Sonntag.

Dessau-Roßlau steht an diesem Wochenende ganz im Zeichen dieses Gedenkens an die Ereignisse vom 7. Januar 2005, als Jalloh in Polizeigewahrsam qualvoll zu Tode kam. „Es ist ein Skandal, dass Polizeibeamte die Ermittlungen verschleppt und behindert haben“, sagt am Sonntagvormittag ein Sprecher des Multikulturellen Zentrums während einer Gedenkveranstaltung an der Treppe des Dessauer Polizeireviers. Rund 50 Teilnehmer - darunter einige Landespolitiker von Linken und Bündnis 90/Die Grünen wie Wulf Gallert oder Cornelia Lüddemann - sind gekommen, die meisten legen Blumen und Kränze neben das Bild von Oury Jalloh.

Demo für Oury Jalloh: Züge aus Berlin sind überfüllt

Nur wenige Polizisten verfolgen das Geschehen - Hunderte andere bereiten sich derweil in anderen Teilen der Stadt auf das vor, was an diesem Tag noch folgen wird: Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ wird wie in den Jahren zuvor in einem Demonstrationszug durch die Stadt ziehen. Schon am Vormittag ist von überfüllten Zügen aus Richtung Berlin die Rede.

Erstmals ist zudem die AfD mit einer Gegenkundgebung präsent, weil „auch Linksautonome den Jahrestag des tragischen Todes“ nutzten, um „Justiz und Polizei zu diskreditieren“, wie es auf ihrer Webseite heißt. Die Polizei hat viele Kräfte zusammengezogen - unter anderem aus Berlin, Brandenburg und Sachsen.

Der Hauptbahnhof kurz vor 14 Uhr: Der Vorplatz füllt sich immer mehr, die Polizei spricht später von 3.000 Demonstranten, die in Erinnerung an Oury Jalloh durch die Innenstadt ziehen werden - so viele wie noch nie. „Wir sind in einem Bus mit 50 anderen aus Köln angereist,“ sagt eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen will.

Andere kommen aus Leipzig oder Wuppertal, auf dem benachbarten Parkplatz stehen allein fünf Reisebusse aus Hamburg. Es sind viele jüngere Leute, auch viele Afrikaner, die meisten gehören dem linken Spektrum an. Die Stimmung ist friedlich.

Auf den Treppen zum Haupteingang des Bahnhofs liegen Bilder von Oury Jalloh, daneben haben die Demonstranten Dutzende von Transparenten platziert. „Stoppt Polizeibrutalität, Rassismus ist auch ein deutsches Problem“, steht dort unter anderem zu lesen. Oder: „Staat und Nazis Hand in Hand, organisiert Widerstand.“ Und immer wieder: „Oury Jalloh - das war Mord“.

Demo für toten Jalloh: Auch sein Bruder kommt nach Dessau

Ein Rückblick, es ist Samstagnachmittag: Mamadou Saliou Jalloh sitzt in einem Raum des kleinen Tele-Cafés in der Dessauer Friedrich-Naumann-Straße - einem Treffpunkt für viele Schwarzafrikaner. Von Guinea, wo er als Straßenhändler arbeitet, hat sich der 38-Jährige auf den Weg gemacht, um dabei zu sein, wenn an den Tod seines Bruders erinnert wird. Mamadou Saliou Jalloh ist erst vor wenigen Stunden in Berlin gelandet und wird nur einige Tage in Deutschland bleiben - auch um mit Anwälten über den Ermittlungsstand zum Tod seines Bruders zu sprechen.

Neben Mamadou Saliou Jalloh hat Mouctar Bah Platz genommen. Er stammt aus Guinea und lebt seit dem Jahr 1990 in Dessau, er war mit Oury Jalloh befreundet und ist nach dessen Tod eine der treibenden Kräfte in der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“. Die Initiative hat die Reise des Bruders organisiert und über Spenden finanziert. Sie ist es auch, die seit vielen Jahren behauptet, was für viele Menschen lange unvorstellbar war und vielleicht auch heute noch ist: Dass Oury Jalloh in der Polizeizelle ermordet wurde.

„Ich will, dass die Wahrheit über den Tod meines Bruders endlich ans Licht kommt“, sagt Mamadou Saliou Jalloh. Die Schuldigen müssten zur Verantwortung gezogen werden. Und das sei bislang nicht der Fall. Der 38-Jährige erzählt von seiner Mutter, die vor vier Jahren in Deutschland war. Dass ihr Sohn Oury sich - obwohl an Händen und Füßen gefesselt - in der Polizeizelle mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben soll, sei für sie unvorstellbar gewesen. Dass die Justiz ausschließlich diese These verfolgt hätte, habe sie fassungslos gemacht. „Vier Wochen nach ihrer Rückkehr ist sie an ihrer Trauer gestorben“, sagt Mamadou Saliou Jalloh.

Die Umstände, die zum Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh führten, sind bis heute nicht geklärt. Trotz zweier Prozesse, an deren Ende im Dezember 2012 die Verurteilung eines Dienstgruppenleiters der Polizei zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 800 Euro wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung stand. Der Polizist hätte - so das Gericht - dafür sorgen müssen, dass der unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehende Jalloh in der Zelle besser überwacht wird. An der These, der an Händen und Füßen gefesselte Mann habe sich mit einem Feuerzeug selbst angezündet, zweifelten die Richter nicht. Ganz im Gegensatz zum Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, der nach neuen Brandgutachten im April 2017 und neuen Analysen in einem Vermerk einem Tötungsdelikt ausgeht.

Jallohs Familie kritisiert Ermittler

Seine Vermutung: Polizisten seien zu Mördern geworden, weil sie vertuschen wollten, dass Jalloh im Gesicht verletzt war und nicht ordnungsgemäß versorgt wurde. Und weil sie fürchteten, dass zwei frühere Todesfälle in der Polizeistation wieder aufgerollt werden könnten. Bittmanns Verdacht wird nun vom Naumburger Generalstaatsanwalt abschließend geprüft, nachdem die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen eingestellt hatte. Demnach ließen die Gutachten im Gegensatz zu Bittmanns Überlegungen keine eindeutigen Schlüsse zu.

Dass nun erstmals ein Staatsanwalt von einem Tötungsdelikt spricht, ändert für Mouctar Bah und Mamadou Saliou Jalloh nichts an ihrer grundsätzlichen Kritik am Verhalten der Ermittler. „Das hätte die Justiz schon viel früher erkennen müssen“, sagen beide am Samstag.

Einen Tag später legt Mouctar Bar während der Kundgebung am Bahnhof nach. Jetzt spricht er mit Blick auf Justiz und Staat von einem „Fascho-System“, das nicht anderes im „Kopf hat als Gewalt“. Dafür bekommt er Beifall von einem beträchtlichen Teil der Zuhörer. Die zeigen sich kurze Zeit später als umweltbewusst und folgen der per Lautsprecher verbreiteten Bitte, die verteilten Teebecher wieder ordentlich einzusammeln.

Die Demonstration führt die Teilnehmer durch große Teile der Innenstadt, vorbei unter anderem an der Staatsanwaltschaft, am Landgericht und am August-Bebel-Platz. Dort hatte die AfD gegen 14 Uhr ihre Kundgebung begonnen, an der rund 120 Personen teilnahmen. AfD-Landesvorsitzender André Poggenburg sprach unter anderem vom „linksautonomen Pöbel“, der sich breit mache wie eine „verderbliche Krankheit“. AfD-Landesvorstandsmitglied Mario Lehmann kritisierte eine „schäbige Polizei- und Stadtbeschmutzung“.

Als der Demonstrationszug die Stelle passiert, sieht es für kurze Zeit so aus, als könne die Situation eskalieren. Einige Teilnehmer versuchen, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen, es fliegen vereinzelt Böller, es kommt zu Rangeleien. Der Ordnungsdienst der Demo-Organisatoren und die Polizei schaffen es nach kurzer Zeit gemeinsam, die Lage zu entschärfen.

Viele Dessauer meiden die Innenstadt an diesem Tag. Bei den wenigen, die am Straßenrand oder von ihrem Wohnzimmerfenster aus das Geschehen verfolgen, fällt die Beurteilung unterschiedlich aus. Ein älterer Mann ruft nur „Verbrecher“ und schließt das Fenster. Eine Frau, die unerkannt bleiben will, fragt, was das alles koste und ob wir in Deutschland keine anderen Probleme hätten. Ein Ehepaar hält dagegen: Sie können die Demonstranten verstehen. Denn es müsse aufgeklärt werden, was in der Polizeizelle geschah. (mz)