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150 Originalzeichungen 150 Originalzeichungen der Digedags: Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig zeigt die Digedags von Mosaik

Von Mathias Schulze 11.12.2017, 20:08
Ritt in die Fata Morgana: Strichzeichnung für den Abschied der Digedags im letzten Heft 1975
Ritt in die Fata Morgana: Strichzeichnung für den Abschied der Digedags im letzten Heft 1975 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Leipzig - Knilche mit Knollennasen und Sturmfrisuren. Kaum betritt man die Ausstellung, schon weisen Zeitzeugen in Videoeinspielungen den Weg zum vielzitierten Mythos. Der Journalist Christoph Dieckmann zum Beispiel. Der sagt über die bebilderten Weltreisen der Digedags: „Die Reisenden waren die Leser, das waren wir. Das war ein gutes Gegengift gegen die Zwangssesshaftigkeit.“ Tobias Künzel, Mitglied der Leipziger Popgruppe Die Prinzen, gibt an, dass schulische Physikaufgaben ohne die unterhaltende Wissensvermittlung von Ritter Runkel und Co. nicht lösbar gewesen wären.

Dass sich hinter dem Begriff „Bückware“ liebevoll-obsessive Verhaltensweisen tummeln, wird in weiteren Audiomitschnitten nur angedeutet: Das Sammeln und Tauschen ist auch heute noch für viele entscheidend - bis hin zur Zweit- oder Drittsammlung, die behütet wird wie der eigene Augapfel.

Daueraustellung zeigt die Digedags: 150 Original-Zeichnungen, Entwürfe und Modelle

Rund 150 Original-Zeichnungen, Entwürfe und Modelle aus dem Archiv des Erfinders Johannes Hegenbarth (1925-2014) sind in einer viel zu kleinen Ecke des Zeitgeschichtlichen Forums zu bestaunen. An Bildern und Videomitschnitten wird die historische Verortung plastisch gemacht. Da gab es die amerikanischen „Räuberpistolen“, all die „Schmutz- und Schundliteratur“, die ab Mitte der 1950er Jahre einzudämmen oberstes Jugendgesetz war. Die Digedags als ursprünglich geplantes Gegenmittel - das künstlerische Niveau übertrifft bis heute viele Jugendblätter.

In der Schau rücken Bilder von Comic-Verbrennungen aus Ostberlin (1955) den staatlichen Erziehungswahn in die fragwürdige Nähe der Nationalsozialisten. Tatsächlich liegt der Fokus der Schau auf jenem Spannungsfeld, welches die Digedag-Produzenten bis zum Ende 1975 begleiten sollte. Jedes der 223 Hefte, die in einer Auflage von bis zu 660 000 Exemplaren, zuerst im Buchverlag „Neues Leben“, ab 1960 im Verlag „Junge Welt“, erschienen sind, stand unter jenem prüfenden Blick, der eine „sozialistische Persönlichkeit“ beworben sehen wollte.

Auf das Binnenklima im künstlerischen Team um Edith Hegenbarth und Lothar Dräger wird wenig eingegangen. Ein Zitat von Einar Schleef aus dem Jahr 1965, wonach die Ausgeflippten zwar gut bezahlt, aber stumm über den Zeichentisch gebeugt waren, lässt aufhorchen. Auch die Legendenbildungen nach dem mysteriösen Digedag-Ende bleiben unberücksichtigt, ebenso wie das Schicksal und die Rezeption der nachfolgenden Abrafaxe.

So stehen Bilder der Serien „Weltraum“, „Erfinder“, „Ritter Runkel“, „Amerika“ und „Orient“ als Beweis dafür, dass sich Hegenbarths Bildergeschichten der Staatsideologie verweigerten, sie sogar mit humanistischen Maßstäben kritisierten. Nur die hohen Auflagen sollen zur Duldung geführt haben.

Digedags: Ein Mythos bis in die Gegenwart

Entlassen wird man mit einem zu Herzen gehenden Eindruck: Neben den Lang- und Knollennasen, neben der legendären letzten Seite, die die Digedags zu einer Stadt der Märchen und Träume, zu einer Fata Morgana, reiten lässt, hängt die Abschrift eines Briefes von Hegenbarth. Er forderte mehr Mitarbeiter, weniger Hefte und kündigte seinen Vertrag, um entsprechenden Druck aufzubauen. Das war das Ende.

Die Digedags verschwanden, die Ausgeflippten verloren nach 20 Jahren ihren Überlebenskampf, der fortan zurückgezogen lebende Hegenbarth bekam 2010 das Bundesverdienstkreuz. Geblieben sind visuelle Eindrücke, die tief mit den Menschen, die in der DDR sozialisiert wurden, verbunden sind. Eine umfassendere Ausstellung ist wünschenswert, denn der Mythos erstreckt sich bis in die Gegenwart. Wo sind die Geschichten jener Liebhaber, die sich heute, suchend nach den Heften, auf analogen und digitalen Flohmärkten treffen?

››„DDR-Comic ,Mosaik' - Dig, Dag, Digedag“: Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, Grimmaische Straße 6, Di-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr, Eintritt frei

(mz)

Original-Tuschzeichnung: Ritter Runkel von Rübenstein (um 1963)
Original-Tuschzeichnung: Ritter Runkel von Rübenstein (um 1963)
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland