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12. Tag im Ursache-Prozess 12. Tag im Ursache-Prozess in Halle: Gutachterparade im Gericht - Experten lassen Fragen unbeantwortet

Von Steffen Könau 05.12.2017, 17:51
Sicherheitsbeamte begleiten Adrian Ursache in den Gerichtsaal in Halle.
Sicherheitsbeamte begleiten Adrian Ursache in den Gerichtsaal in Halle. Steffen Könau

Halle (Saale) - Es dreht sich alles um nur 3,25 Sekunden. Es sind jene dramatische Sekunden, in denen sechs Schüsse fielen. Am 25. August vergangenen Jahres, so wirft es die Anklageschrift dem früheren Mister Germany Adrian Ursache vor, soll der Familienvater aus Elsteraue, Ortsteil Reuden, bei einem Polizeieinsatz zur Räumung seines Hauses gezielt auf einen SEK-Beamten gefeuert haben.

Ursache bestreitet das. Nach seiner Darstellung sei er zuerst getroffen worden, danach habe er „schwarz gesehen“ und womöglich, so hat er es im Gespräch mit dem forensischen Gutachter Bernd Langer geschildert, habe sich dann ein Schuss gelöst, der den Beamten traf.

Adrian Ursache vor Gericht: Gutachterparade am Landgericht Halle

Seit Anfang Oktober sucht die Große Strafkammer beim Landgericht Halle schon nach der Wahrheit über den Schusswechsel – am zwölften Prozesstag am Dienstag nun mit Hilfe einer ganzen Gutachterparade.

Mario Schulz ist als Diplomphysiker sachkundig für Schmauchspuren, er hat Kleidungsstücke,Waffen und Projektile untersucht, die am Tattag sichergestellt wurden. Nach einer Untersuchung unter dem Rasterelektronenmikroskop habe er an einer von Ursache getragenen Jacke Schmauchspuren im rechten Ärmelbereich feststellen können, bestätigt er die These der Staatsanwaltschaft, dass Ursache aus einem Kleinkaliberrevolver Marke Arminus wirklich geschossen haben könnte. Am Schutzhelm des Polizisten allerdings, den die Kugel getroffen haben soll, ehe sie den Beamten im Halsbereich verletzte, fanden sich keine Bleipartikel. „Aber Blei würde bestimmt einen Abdruck geben“, meint Schulz.

Rechtsmediziner aus Magdeburg: „Einen Mückenstich hätte ich erkannt“ 

Kein sicheres Wissen also, auch, weil dem Gutachter Uniform und Schutzausrüstung des getroffenen Beamten nicht zur Untersuchung vorlagen. Bei Nachfragen der drei Anwälte des Angeklagten kommt der Experte ins Schwimmen. Er habe nur die ihm vom Untersuchungsführer vorgelegten Fragen beantwortet, sagt er. Warum er nicht darauf hingewiesen habe, dass sich aus den Untersuchungsergebnissen weitere Fragen ergeben haben, kann er nicht sagen.

Ebenso wenig wie Knut Brandstätter, ein Rechtsmediziner von der Uni Magdeburg, der die Wunde des SEK-Mannes begutachtet hat. Die habe für „intensive stumpfe Gewalt“ gesprochen, die von vorn auf den Hals ausgeübt worden sei. Dass die von ihm geschilderte Art der Verletzung auch von einem Mückenstich hätte stammen können, wie Verteidiger Hartwig Meyer ihm vorhält, bestreitet Brandstätter. „Einen Mückenstich hätte ich erkannt.“ Wie genau die Schussverletzung sich erklären lässt, weiß der Gutachter dagegen nicht. Auch ihm fehlen Kenntnisse über die Schutzausrüstung des SEK.

Tonaufnahmen vom Tattag: Gutachter will sich nicht festlegen lassen

Vom LKA Brandenburg kommt dann Christoph Meinertz, der die Tonaufnahmen vom Tattag untersucht hat. Deutlich zu hören seien fünf „Impulsereignisse“, wie der Experte die Schussgeräusche nennt, weil er „nach Begutachtung der Audioaufzeichnungen nicht sagen kann, ob sie durch Schüsse verursacht wurden“. Bei genauerer Betrachtung zeige einer der Impulse, dass zwei Ereignisse beinahe zusammenfielen: Zwei Waffen feuerten gleichzeitig, mit nur 0,05 Sekunden Verzögerung.

Die Schüsse eins und zwei sowie vier, fünf und sechs hätten dabei eine vergleichbare Charakteristik, nur Nummer drei erscheine „heller“, klinge schneller ab, so Meinertz. Insgesamt dauert es vom ersten Impuls bis zum letzten genau 3,25 Sekunden. Doch der Gutachter will sich trotz des eigentlich eindeutigen Ergebnisses nicht festlegen lassen, ob die gleichklingenden Schallereignisse, wie er sagt, von den Polizeiwaffen und das anders erscheinende Geräusch von Ursaches Revolver verursacht wurde. „Um mich dazu äußern zu können, müsste ich die Waffen zum Vergleich beschießen, damit man eine Audiosignatur hat.“ Das aber sei nicht Teil seines Untersuchungsauftrages gewesen. Die Frage von Anwalt Manuel Lüdtke, warum er nicht um eine Erweiterung der Aufgabenstellung gebeten habe, bleibt unbeantwortet.

Auch viel Spekulation zu Art und Schwere der Verletzungen

Marko Weber vom Institut für Rechtsmedizin in Halle soll zum Schluss Auskunft über die Art und Schwere der Verletzungen von Adrian Ursache geben. Doch auch hier bleibt vieles Spekulation. Weber ist sicher, dass der Angeklagte auch nach den ersten beiden Schüssen, die ihn im Abstand von nur 0,4 Sekunden trafen, weiter handlungsfähig hätte sein können. Ob er es war, könne er jedoch nicht sagen. „Jeder Mensch ist anders, jede Situation ist anders.“ Zudem ist immer noch nicht geklärt, wohin Ursache zuerst getroffen wurde – Unterarm, Oberarm oder mit einem Steckschuss in den rechten Lungenflügel.

Ausschließen wollte Marko Weber auch nicht, dass der Treffer, der Ursaches Unterarm glatt durchschlug, einen sogenannten monosynaptischen Reflex ausgelöst haben könnte, der zur Betätigung des Abzuges führte. Er zweifle jedoch an, dass diese körperliche Reaktion, die einen Reiz aufs Rückenmark übertrage und von dort aus sofort zu einer Fingerbewegung führe, genug Kraft mobilisiere.

Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.  (mz)