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Ein Jahr nach Übernahme Ein Jahr nach Übernahme: Molinari hat Fahrzeugtechnik Dessau erfolgreich umgebaut

Von Steffen Brachert 14.11.2017, 13:07
Eine Straßenbahn aus Karlsruhe wird nach einem Unfall auf dem Waggonbaugelände in Dessau wieder neu aufgebaut.
Eine Straßenbahn aus Karlsruhe wird nach einem Unfall auf dem Waggonbaugelände in Dessau wieder neu aufgebaut. Sebastian

Dessau - Am Anfang stand großer Optimismus. Wie bei den drei Neustarts zuvor. Und nun, ziemlich genau ein Jahr später? Wo steht Molinari Rail Dessau? „Wir sind noch da“, sagt Jan Harder, Geschäftsführer von Molinari Rail. „Wir haben den Standort Dessau konsolidiert und das Fenster zur Welt geöffnet.“

Im November 2016 hat die Dessauer Fahrzeugtechnik ihre vierte und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch letzte Chance erhalten. Drei Insolvenzen hatten dem Traditionsunternehmen auf dem Waggonbaugelände zugesetzt. Man hatte Glaubwürdigkeit verloren, aber auch Mitarbeiter und Know-how. Den Unternehmer Michele Molinari schreckte das nicht.

Mit einem chinesisch-schweizerischen Joint-Venture und 48 Mitarbeitern wurde der Neustart gewagt. „Auf das Ergebnis können wir, können die Kollegen vor Ort stolz sein.“ Über vier Millionen Euro Umsatz hat der Standort Dessau im ersten Jahr erwirtschaftet, die Mitarbeiterzahl ist leicht auf 57 gestiegen. Wichtig ist Harder eines. „Über fünfzig Prozent der Umsätze wurden im Ausland gemacht. Wir sind in Dessau nicht mehr von ein, zwei Auftraggebern abhängig.“

Projektmanager in der Schweiz, Ingenieure in Österreich – Dessau ist der Dienstleister

Molinari hat die Firma neu aufgestellt und klar strukturiert. Die Projektmanager sitzen in der Schweiz, die Ingenieure in Österreich. Dessau ist der Dienstleister. Forschung und Entwicklung wird auf dem Waggonbaugelände kaum noch betrieben.

Ein Rückschritt? Jörg Werner, Fahrzeugtechnik-Urgestein und Betriebsleiter in Dessau, schüttelt den Kopf. Einst wurden auf dem Waggonbaugelände ganze Züge gebaut. Der Vorzeigezug „Protos“ rollte noch immer durch die Niederlande. Doch mit diesen Prestigeobjekten hatte sich Dessau übernommen. Es war ein Grund für eine der Pleiten.

Molinari zieht es in die Schwellenländer. In Indien hat die Firma gerade einen Großauftrag erhalten, den Harder zwischen 20 und 30 Millionen US-Dollar ansiedelt. 1.000 Diesel-Hilfsaggregate für Lokomotiven werden überholt. Mit Dessauer Unterstützung.

Molinari Rail Dessau will auch lokal wieder Vertrauen aufbauen

In Kasachstan haben Kollegen in den vergangenen Monaten geholfen, Drehgestellrahmen herzustellen. Ein Auftrag von General Electric, der bis Dessau wirkt. Molinari soll nun für 28 kasachische Lokomotiven 56 Drehgestelle herstelle. „10 bis 20 davon“, schätzt Harder, „könnten in Dessau gemacht werden.“ In Bolivien hofft Molinari auf den Zuschlag für ein Stadtbahn-Projekt. Längst hat Harder die Einsatzbereitschaft der Dessauer schätzen gelernt.

„Da wird nicht viel diskutiert, da wird gemacht. Die Motivation der Kollegen ist hoch. Da schreckt keiner vor einem Auftrag in Äthiopien oder auch Tunesien zurück.“ Doch Dessau versucht sich auch in der Region aufstellen. Schiffswerft, das Bahnwerk in Süd, die Faserverstärkten Kunststoffe, die Stadtwerke. „Wir wollen regional denken“, sagt Werner. „Wir wollen hier wieder als Partner wahrgenommen werden.“

Der Wettbewerb ist hart. „Wir sind nicht die einzige Firma mit einem solchen Portfolio. Wir müssen oft erst wieder Vertrauen aufbauen“, sagt Werner. Doch in dem einem Jahr ist schon viel gelungen. Wenn Siemens jetzt zum zweiten Mal den Unfallschaden einer Karlsruher Straßenbahn in Dessau reparieren lässt, ist das ein gutes Zeichen. Kontakte gibt es auch zur H-Bahn in Dortmund, eine Kabinenbahn, die für China interessant ist. „Wir sind da in Gesprächen“, deutet Harder an.

Achtzig Prozent der Dessauer Anteile von Molinari sind in chinesischer Hand

Genau. Was ist eigentlich mit China? Achtzig Prozent der Dessauer Anteile von Molinari sind in fernöstlicher Hand. Mit Hao He sitzt in Dessau ein chinesischer Geschäftsführer mit am Tisch. „Der Durchbruch steht noch aus“, gibt Harder zu. Ganz überraschend ist das nicht.

„Die Entscheidungszeiträume in der Branche betragen eineinhalb bis zwei Jahre.“ Sein Traum aber lebt: „Wir wollen in China einen Fertigungsstandort etablieren, von dem am Ende auch Dessau profitiert.“

Zuvor bleibt aber viel zu tun am Standort: Die drei Insolvenzen haben zu einem Investitionsstau geführt. Auf dem riesigen Gelände selbst. Das Dach der großen Produktionshalle muss demnächst gemacht werden. Aber auch im Maschinenpark. Der Aufholprozess dauert. Eine sechsstellige Summe will man im nächsten Jahr investieren. Es ist ein kleiner Anfang. „Wir kämpfen manchmal mit stumpfen Waffen“, gibt Werner zu. Für Großserien fehlt Automatisierungstechnik.

„Wir wollen Spezialaufträge erledigen“

Harder sieht genau das als Chance: „Wir wollen Spezialaufträge erledigen.“ Die Krise der Schienenfahrzeugbranche sei auch eine Chance. „In der Konsolidierung wird viel outgesourct.“

Molinari will dann zur Stelle sein - und auch in Dessau wachsen. Welche Nachrichten im November 2018 zu verkünden sind? „Vielleicht haben wir auf dem Gelände dann schon über 100 Mitarbeiter“, ist Jan Harder optimistisch, dass sich auch andere Firmen im Dessauer Norden ansiedeln. Und vielleicht ist der erste Großauftrag aus China in Sicht. Hao He nickt. „Warten Sie einfach ab.“ (mz)

Die Fahrzeugtechnik Dessau wurde 1995 gegründet und gilt als Nachfolger vom VEB Waggonbau Dessau, der einst größter Hersteller von Eisenbahnwagen in der DDR war.

2006 stieg die russische Transmash-Holding bei der Fahrzeugtechnik ein. Der „Protos“ wurde gebaut. Ein Vorzeigezug, der noch durch Holland fährt, der aber auch die Pleite zwei Jahre später einleitete.

2008 übernahm ein rumänischer Investor das Unternehmen. Was sich gut anließ, endete im Desaster. Am Ende standen sich beide Seiten öfter vor dem Arbeitsgericht gegenüber als in der Werkhalle. 2012 kam das Aus.

Die Vetschauer Transtec kaufte die Fahrzeugtechnik. Mit großen Plänen. Die im März 2016 zerplatzten. Die Firma musste Insolvenz anmelden. Die über 70 Mitarbeiter wurden gekündigt, ehe im November die Firma Molinari einstieg.

Die Diesel-Hilfsaggregate für Indien werden getestet.
Die Diesel-Hilfsaggregate für Indien werden getestet.
Sebastian