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Rechter Terror in Gräfenhainichen Rechter Terror in Gräfenhainichen: Syrische Kinder zittern um ihr Leben

Von Michael Hübner 27.10.2017, 12:19
Die Polizei trifft neun Minuten nach dem Notruf in Gräfenhainichen ein.
Die Polizei trifft neun Minuten nach dem Notruf in Gräfenhainichen ein. dpa

Gräfenhainichen - Das ist kein Gruselschocker zu Halloween: Der nächtliche Psychoterror wird in Gräfenhainichen für zwei Familien aus Syrien zur bitteren Realität. Es ist Sonntag, 0.17 Uhr: Die Mutter ist mit ihrem Nachwuchs allein in der Wohnung. Sie schlafen. Das Familienoberhaupt ist bei Freunden. Plötzlich wummert es heftig am großen Wohnzimmerfenster.

Albtraum Kapuzenmann

Die Nachtruhe ist vorbei. Es wird nachgeschaut, wer für den Krach verantwortlich ist. Als das Licht in der guten Stube angeknipst wird, beginnt der Albtraum. Es blicken drei betrunkene Männer durch das Fenster in die Wohnung. Ein Kapuzenmann bemüht sich, nicht erkannt zu werden.

Das Trio hat es sich auf der Straße gemütlich eingerichtet. Bierflasche und auch -glas werden einfach auf der Fensterbank abgestellt. Das Trio sieht, dass neben der Mutter nur die Kinder in der Wohnung sind. Sie brüllen trotzdem mehrfach: „Kommt raus!“ Es wird aber noch schlimmer: Die Männer treten mit den Füßen gegen die Haustür. Im Haus herrscht Panik.

Der Fünfjährige sucht sich ein Versteck, er kriecht hinter das Sofa. Die anderen telefonieren. Der Vater wird informiert, der wiederum Freunde, die in der Nähe wohnen, um Unterstützung bittet und sich sofort auf den Heimweg macht. Sein zwölfjähriger Sohn wählt 110.

Der Notruf landet bei der Dessauer Polizei. Der Beamte hört die verzweifelten Hilfe-Rufe, die Verständigung fällt aber schwer. Zum Glück gibt der Steppke das Telefon an seinen größeren Bruder weiter. Der 16-Jährige kann die Adresse nennen und bittet um schnelle Hilfe.

Der Beamte versucht, die Kids zu beruhigen und verspricht, in „ein paar Minuten“ werde alles gut. Das Wittenberger Revier ist eingeschaltet. Derweil terrorisieren die Angreifer die Nachbarn - ebenfalls eine Flüchtlingsfamilie. Auch hier sind nur die Kinder da.

Angreifer fühlen sich bedroht

Die Polizei trifft neun Minuten nach dem Notruf in Gräfenhainichen ein. Die Situation hat sich da schon längst gedreht. Jetzt sind die Angreifer froh, das Blaulicht zu sehen. Sechs Männer aus Syrien haben schon zuvor die Ruhestörer zur Rede gestellt und fotografiert. Der Kapuzenmann kann aber wegrennen.

Er flüchtet über den Markt in Richtung Wittenberger Straße. Allerdings gibt es auch von ihm ein sehr gutes Profilbild. Die Einsatzkräfte können nicht genau rekonstruieren, was geschehen ist. Das scheitert an den Sprachbarrieren. Allerdings hören sie mehrfach das Wort „Anzeige“.

So wird jetzt gegen das Duo wegen Sachbeschädigung ermittelt. Die Tür wird durch die Fußtritte genau wie Fahrräder beschädigt, Es werden Reifen zerstochen. Und auch die Hausbeleuchtung ist defekt. Allerdings wird ebenfalls gegen die Syrer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bedrohung eingeleitet. Es wird ein Springmesser sichergestellt. Das ist laut Waffengesetz ein verbotener Gegenstand.

Die Beteiligten bestreiten im MZ-Gespräch den Vorwurf. Der Familienvater findet aber trotzdem deutliche Worte. „Meine Kinder haben noch beim Eintreffen der Polizei am ganzen Körper vor Angst gezittert. Wir müssen unsere Kinder schützen dürfen“, sagt er.

Es ist auch nicht die erste Attacke. Aktenkundig ist ein Vorfall vom 9. Oktober, als zwei Uhr nachts wuchtige Schläge an der Tür die Nachtruhe stören. Der Täter kann flüchten, aber es gibt eine gute Beschreibung. Auch die Eigentümer des Hauses werden bedroht. In einem anonymen Schreiben heißt es: „Wir werden Sie finden und stellen. Es wird keine Gnade geben.“

Das Paar weilt derzeit im Urlaub und will keinen Kommentar abgeben. Sie wisse, was sonst „die Rechten“ wieder machen, sagt die Frau. Es folgt ein derber, nicht jugendfreier Satz der Ex-Stadträtin. Sie fordert: „Die Fälle“ der politisch motivierten Straftaten „müssen endlich aufgeklärt werden.“ (mz)

Die Spuren der Fußtritte an der Haustür sind noch sichtbar.
Die Spuren der Fußtritte an der Haustür sind noch sichtbar.
Klitzsch