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Achtung, Satire! Ostdeutschland: Der ostdeutsche Mann als AfD-Wähler

Von Leo Gutsch 15.10.2017, 08:00

Halle (Saale) - Zurzeit lese ich täglich in der Zeitung über mich. Im Fernsehen bin ich auch das ganz große Thema. Das Radio schalte ich kaum noch an. Aus Angst.
Bei der Bundestagswahl haben viele ostdeutsche Männer die AfD gewählt.

Seitdem werden wir analysiert, befragt, beurteilt, verlacht. Wolf Biermann sagt: Wir sind feige. Andere sagen: Wir sind abgehängt, frustriert, aggressiv, ungebildet, rassistisch, heimatlos, frauenlos. Gab es seit Gollum aus „Herr der Ringe“ ein hässlicheres Wesen als den ostdeutschen Mann?

Ich schreibe diese Zeilen als Betroffener. Ich bin seit meiner Geburt ein ostdeutscher Mann. Für meine Mutter war das nie leicht. Als Kind saugte ich an den giftigen Milchbrüsten der Diktatur, und wenn ich heute das Wort „Demokratie“ schreiben möchte, verkrampft sich meine Hand und dann steht da plötzlich: „Ausländer raus!“ Es ist eine Art Ost-Tourette-Syndrom.

In der Zeitung las ich, dass der ostdeutsche Mann sich zuweilen „Waffen und Camouflageanzüge“ kauft und von „Ordnung und Führung“ träumt. Das erschien mir stark übertrieben. Aber dann schaute ich in meinen Kleiderschrank und sah dort zehn Camouflageanzüge neben einem Haufen frischpolierter Schnellfeuerpistolen!

Ich suchte Rat bei meiner Frau, doch seit der Wahl geht sie mir aus dem Weg. Sie kommt aus dem Westen, bei uns sind die Aufgaben klar verteilt: Sie macht Karriere und bringt das Geld nach Hause. Ich kümmere mich um die Kinder, da ich durch meine Langzeitarbeitslosigkeit viel Tagesfreizeit habe, die ich sonst nur mit Hass-Postings im Internet vertrödeln würde.

Abends heize ich unser Sexleben an, auf dem Gebiet der Erotik ist der Ost-Mann ja eine enthemmte Spitzenkraft. Dumm fickt gut. Ich strippe, meine Frau steckt mir Westgeld in den verwaschenen Schlüpfer und bestaunt mein Hakenkreuz-Tattoo. Seit der Wahl lese ich in den Augen meiner Frau nur noch ein Wort: Loser.

Jahrelang war mein Image als ostdeutscher Mann das einer Witzfigur. Der zurückgebliebene Trottel vom Dienst. Eine dankbare Aufgabe, in der ich meine urostdeutschen Stärken ausspielen konnte. Seit der Wahl bin ich eine Hassfigur, selbst die Kinder rennen weg, wenn ich mit Camouflageanzug, Gewehr und AfD-Mütze aus dem Haus trete. Das tut weh.

Bei Zeit Online las ich einen Artikel über den ostdeutschen Mann. Er klang so, als würden sie den Yeti suchen. Fast wäre ich in die Redaktion gefahren und hätte gesagt: Huhu, da bin bin ich! Aber man weiß nie, wie Menschen reagieren, die noch nie einen ostdeutschen Mann getroffen haben.

Manchmal schreibe ich jetzt meinem Kumpel Bill Tucker. Er wohnt in Kansas, USA, wir haben uns über die Facebook-Seite „Angry White Men“ kennengelernt. Bill schreibt, dass wir uns unsere Länder bald zurückholen werden. Von den Negern, Kanaken und Bohnenfressern. Das hat mich total berührt, das war mir ein richtiger innerer Fackelzug und Reichsparteitag, auch wenn ich nicht alles verstand, was Bill schrieb. Als abgehängter Ost-Mann ist mein Englisch not gut. (mz)