1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Diebstahl an deutsch-polnischer Grenze: Diebstahl an deutsch-polnischer Grenze: Soll man sich mit Dauer-Ärgernis abfinden?

Diebstahl an deutsch-polnischer Grenze Diebstahl an deutsch-polnischer Grenze: Soll man sich mit Dauer-Ärgernis abfinden?

Von Bernhard Honnigfort 13.05.2017, 12:53
Polnische und deutsche Polizisten überprüfen am frühen Morgen ein Auto in Biegen nahe Frankfurt (Oder) (Brandenburg).
Polnische und deutsche Polizisten überprüfen am frühen Morgen ein Auto in Biegen nahe Frankfurt (Oder) (Brandenburg). dpa-Zentralbild

Sie blickt aus dem Fenster über die Wiese, auf der gerade ein Storch hochbeinig entlangspaziert: „Das ist unser Hof, das ist meine Heimat“, sagt Marleen Bähr. „Das haben meine Eltern erarbeitet, dafür kämpfe ich jetzt.“ Sie zeigt auf den Wald, der hinter der Wiese beginnt: „Und dort hausen schon die Wölfe.“

Marleen Bähr ist 36, sie ist Bäuerin. Eine kleine energische Frau mit einer kräftigen Stimme. Dass sie die Wölfe erwähnt, ist kein Zufall. Jeder, mit dem man entlang der deutsch-polnischen Grenze ein Weilchen redet, kommt irgendwann auf die Wölfe zu sprechen. Der Wolf macht wütend, er ist ein Symbol, steht für verkehrte Politik, für fehlendes Verständnis der Regierenden für die Sorgen der Landbewohner. „Für Wölfe ist Geld da. Wir Menschen hier werden mit allem Scheiß allein gelassen“, sagt Marleen Bähr.

Grenzkriminalitätan deutsch-polnischer Grenze: Das Zuchtvieh ist begehrt

Ihr Hof liegt in Schenkendöbern beim Grenzstädtchen Guben in Brandenburg, plattes Land, 390 Einwohner, fünf Straßen. Eine ehemalige „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft T“ am Dorfende, T steht für Tier. Alte Betongebäude umgebaut zu luftigen und sonnigen Ställen, 130 Kühe, Jungbullen, außerdem eine Biogasanlage. Um die Stallgebäude spannt sich ein mannshoher stabiler Stahlzaun. Die Tore zum Hof sind immer geschlossen.

„Jeden Morgen Herzrasen“, sagt die Bäuerin. Herzklopfen und Angst, wenn sie früh als erste in die Ställe geht und nachsieht, ob noch alle Kühe und Kälber da sind. In der Nachbarschaft wurde gestohlen. Zuchtrinder, einmal zwei Trecker. Und in Jänschwalde, 20 Kilometer entfernt: Auf einen Schlag 57 Rinder gestohlen, erzählt die Bäuerin. „Die müssen nachts mit zwei Lastern angerückt sein.“ Viehdiebstahl ist gerade das Thema entlang der polnischen Grenze. Eine neue Mode.

Den Bauern reicht es. Ekkhard Herrmann wurden 39 Rinder geklaut. Diebstähle, sagt er kürzlich im Sender RBB, hätten in den vergangenen Jahren ein „epidemisches Ausmaß“ angenommen, nicht nur von Rindern, auch Landmaschinen und technisches Gerät. Und dann das, was viele dort denken: „Für Wolfsmanager ist Geld da, aber die Polizisten hier sind allein auf weiter Flur.“

Wenn Marleen Bähr erzählt, gerät sie schnell außer sich: „Eigentlich ist doch die Polizei dafür da. Aber hier ist ja niemand mehr. Sind ja alle weggespart.“ Rufe man in Guben bei der Polizei an, passiere nichts, schimpft sie - aus Erfahrung. „Ich warte bis heute auf einen Rückruf.“

Versicherungen fordern besseren Schutz der Höfe und deshalb geschlossene Stalltore

Es ist wie eine Entladung, wenn sie erzählt, was los sei, wie wütend die Leute seien. Was das für ein Irrsinn sei mit der neuen EU-geförderten Brücke da im Nirgendwo ein paar Kilometer entfernt über die Neiße nach Polen. Niemand fahre da her, niemand, nur Diebe nutzten sie. Und dann blickt sie aus dem Fenster auf den Wald, wo die Wölfe hausen, macht eine kurze Pause. „Wozu zahle ich eigentlich Steuern?“

Was sie auch mache: falsch. Die Versicherungen fordern einen besseren Schutz der Höfe und deshalb geschlossene Stalltore, das Tierwohl verlange im Sommer nachts die Ställe weit offen zu lassen, wegen der Hitze. Die Milchpreise im Eimer, Kosten steigen, für Diesel, durch Mindestlohn, alles werde teurer. „Wir sind die Dummen hier“, schimpft sie. Ginge es nach ihr: Grenze zu. Sofort. Wie früher.

Im Brandenburger Landtag scheiterte die CDU kürzlich mit der Idee, die Polizei im Land Schleierfahndungen und verstärkt Kontrollen nach Viehdieben machen zu lassen. In der Zeitung stand, die rot-rote Landesregierung und die Grünen hätten abgelehnt und gemeint, es müsse mehr bei der Beratung der Bauern getan werden.

Michael Branding muss nach Luft schnappen, wenn er so etwas liest. Er ist 51, Landmaschinenhändler in Kerkow bei Angermünde, etwa 150 Kilometer weiter im Norden. Er ist ein großer robuster Mann, den das Thema Diebstahl wie ein Schatten verfolgt. Er sitzt an diesem grauen Vormittag in einem Container mit seinem Freund, dem Forstunternehmer Udo Schellner.

Alarmanlage, Sicherheitszaun & Co.: Die Unternehmen rüsten auf

Brandings Betrieb wird gerade umgekrempelt, das alte Büro wurde abgerissen, ein neues wird gebaut und bekommt eine Alarmanlage für 10.000 Euro. Auch der Sicherheitszaun wird für 26.000 Euro mit Überwachungstechnik aufgerüstet. Vor Jahren wurden in der Uckermark im großen Stil teure Trecker und Erntegerät gestohlen. Die Bauern ließen sie abends auf den Feldern stehen. Mittlerweile geht es: 2016 nur noch 4.000 Euro Schaden.

Der Treckerklau sei zurückgegangen, erzählt Branding. Die Hersteller hätten aufgerüstet. Dafür werde verstärkt alles andere geklaut: Werkzeug, Diesel, Autos. Brandenburg habe die Zahl seiner Polizisten in den letzten Jahren zwar auf 8 200 erhöht. „Aber das reicht doch alles nicht“, sagt Branding.

2011 hatten er und Freund Schellner eine Landtagspetition gestartet. Sie hatten Unternehmer in der Uckermark nach Einbrüchen gefragt und in ein Wespennest gestochen. 92 Firmen antworteten, teilweise monierten sie Schäden in sechsstelliger Höhe.

Forstunternehmer: „Wir hätten gerne wieder die Sicherheit wie vor der Grenzöffnung 2004“

Die Regierung in Potsdam habe gelegentlich etwas Bereitschaftspolizei an die Grenze geschickt, aber geändert habe sich seitdem nichts, meint der Unternehmer. „Viel versprochen, wenig gemacht, nichts erreicht“, sagt Kollege Schellner. „Wir hätten gerne wieder die Sicherheit wie vor der Grenzöffnung 2004“, sagt er. Gerne auch Grenzkontrollen, wenn nötig. „Wir wollen Recht, Ordnung und Sicherheit“, sagt Branding. „Das ist doch die erste Aufgabe des Staates.“ Stattdessen kümmere sich die Politik um Biber und Wölfe und Feldhamster.

Er sagt, er sei kein Nazi und die AfD, das sehe man ja nun, sei auch keine Lösung. Die Leute in Angermünde hätten gesagt, er solle doch Politik machen und für Ordnung sorgen. „Aber dafür habe ich gar keine Zeit“, sagt er. „Ich habe 22 Angestellte, ich muss arbeiten und Geld verdienen, ich kann mich nicht auch noch darum kümmern.“

Laut Brandenburger Polizeistatistik wurde 2016 in der Uckermark insgesamt weniger geklaut als im Vorjahr, 3 148 statt 3 583 Fälle. Ihre Bilanz: Die Täter sind schlauer, sie handeln meist im Auftrag auf Bestellung, hoch im Kurs stehen gerade Geländewagen. „Weniger, aber immer noch viel zu viel“, sagt Branding. Außerdem misstraut er den Zahlen, auch Kollege Schellner glaubt nichts mehr. „Ich will mich nicht daran gewöhnen“, sagt der Forstunternehmer. „Jahrelang wurde hier im Osten gespart und gespart, überall wurde Personal abgebaut. Nun ist es gekommen, wie befürchtet: Der Staat kann uns nicht einmal mehr beschützen.“

Mit dem Zustand arrangiert

370 Kilometer weiter südlich, Zittau in Ostsachsen, 26.000 Einwohner, im Büro des Tiefbauunternehmers Frank Scholze. „Wir haben uns mit den Zuständen arrangiert“, erzählt er. Seine Firma Osteg, 180 Mitarbeiter, liegt direkt am Grenzfluss Neiße. Früher hatte er pro Jahr 100.000 Euro und mehr Schaden durch Diebstahl. Bagger, Radlader, Werkzeug, Pumpen oder Diesel: „Alles wurde und wird geklaut“, sagt er.

Also hat er aufgerüstet, auch weil er sonst nichts mehr versichern kann. Alle Fahrzeuge sind gesichert, haben GPS, das Firmengelände ist durch einen Stahlzaun, und Natodraht geschützt. „Für jede größere Baustelle in Grenznähe mieten wir Leute vom Wachschutz, die nachts aufpassen“, erzählt er. Ihm wurden bei Görlitz nachts schwere Pumpen gestohlen, die eine Baustelle trocken halten sollten. „Einfach abgeschnitten.“ Danach stand alles unter Wasser, ein Totalschaden, dazu die Verzögerung. „Nur Kosten.“

Es gibt zwei Arten Diebstähle, erzählt der Unternehmer. Zum einen Kleinkriminelle, Drogensüchtige, die auf einer Baustelle tagsüber in einen Transporter springen und abhauen. Die anderen Diebe stehlen im Auftrag, lassen vorher alles ausspionieren. Auf seinem Firmengelände habe er vergangenes Jahr eine ferngesteuerte Drohne mit Kamera gefunden, abgestürzt. „Dass die hier flog, war sicher kein Zufall.“ Zuletzte fuhr am helllichten Tag jemand aufs Firmengelände, hängte sich einen teuren Kompressor ans Auto und fuhr davon. Vor den Augen der Mitarbeiter. Alle dachten, es sei ein Mietkunde. „Es kommen und gehen Fahrzeuge. Wir können doch nicht auch noch tagsüber alles zumachen.

Vor kurzem war Scholze bei einer Präventionstagung. Polizisten aus Sachsen und Polen, Unternehmer, Autohändler, Politiker. Was tun? Er erzählt: Alle klagten über zu wenige Polizisten, ein polnischer Polizeiführer meinte, da die Diebstähle in Deutschland passierten sei es ein deutsches Problem. Ein sächsischer Polizist klagte, die deutsche Justiz gehe zu milde mit Dieben um.

Frank Scholze ist ein bedächtiger Mann. Er hat sich mit den Umständen arrangiert, er hat sich abgefunden. Aber eigentlich wolle er das nicht. Er sei Tiefbauunternehmer, sagt er. Und nun nebenbei ein Sicherheitsexperte, ein Profi im Absichern von Baustellen geworden. Hätte er sich auch nie träumen lassen. Er zuckt mit den Schultern. „Ist eben so“, sagt er. (mz)