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Tod von zwei Kubanern Merseburg: Tod von zwei Kubanern in der Disko Saaletal

Von Undine Freyberg 16.08.2016, 21:29
Rund um den so genannten „Strandkorb“ an der Saale müssen sich vor 37 Jahren schlimme Szenen abgespielt haben.
Rund um den so genannten „Strandkorb“ an der Saale müssen sich vor 37 Jahren schlimme Szenen abgespielt haben. Privat

Merseburg - Es ist der 12. August 1979. Ein Sommersonntag in Merseburg, der für zwei Kubaner tödlich enden wird.

In der Diskothek Saaletal, die umgangssprachlich nur „Strandkorb“ oder „Korb“ genannt wird, wird getanzt. Doch dann beginnt offenbar eine Schlägerei zwischen Deutschen und jungen Kubanern, die in der DDR eine Ausbildung machen.

Hubertus S., der damals auf der anderen Seite der Saale wohnte, hat die Prügelei auf der Neumarktbrücke beobachtet. „Es war ungefähr eine Handvoll Leute - weniger als ein Dutzend, die da aufeinander los sind. Sie hatten Gegenstände in den Händen. Und dann habe ich nur noch gesehen, wie welche von der Brücke ins Wasser gesprungen sind“, sagte er der MZ.

Dass ein Teil der Männer Kubaner waren, konnte er aus 100 bis 150 Metern Entfernung nicht erkennen. Autos hätten auf der Brücke angehalten. Dann sei die Polizei gekommen und habe das Ganze aufgelöst. Tage später habe er gehört, dass zwei Männer ums Leben gekommen seien.

In einem MDR-Fernsehbeitrag hieß es jetzt: „Die Kubaner werden von einem Mob in die Saale getrieben. Zwei von ihnen werden von Flaschen und Steinen tödlich getroffen: Delfin Guerra, 18 und Raúl Garcia Paret, 21 Jahre alt.“

Ihre Leichen wurden drei bzw. vier Tage später aus der Saale geborgen. Die genaue Todesursache konnte nicht mehr festgestellt werden, weil die Körper zu lange im sommerlich warmen Wasser gelegen hatten.

Kripo und Staatsanwaltschaft nehmen die Ermittlungen gegen fünf Verdächtige auf. Doch die werden eingestellt - auf Anordnung der obersten Partei- und Staatsführung, wie der Historiker Harry Waibel, der die Stasiakten von damals untersucht hat, bestätigt fand. Die Beziehungen zum Bruderstaat Kuba sollten nicht gefährdet werden.

Den „Strandkorb“ gibt es zwar nicht mehr, der war 1983 abgebrannt. Doch da viele Menschen, die damals jung waren, dort ihre Freizeit verbracht und getanzt haben - nicht nur an diesem traurigen Tag im August -, gibt es seit 2005 jährlich das sogenannte Strandkorb-Treffen, zu dem sich einige Leute von damals immer wieder in Merseburg zusammenfinden.

Historiker Waibel, der sich seit Jahren auch mit dem Thema Rassismus in der DDR beschäftigt hat, schreibt in einer Veröffentlichung von 2015 zu den Ereignissen vom August 1979 etwas, das der Wahrheit recht nahe kommen könnte: „Nach einer Veranstaltung in einer Gaststätte hatten sich mehrere Deutsche vorgenommen, einen Kubaner zu misshandeln, weil es zuvor zu Streitigkeiten gekommen war. Dafür zogen sie Richtung Stadtmitte und begegneten einem Kubaner, den sie grundlos niederschlugen."

Auseinandersetzungen mit Kubanern in Merseburg

Und der Autor ergänzt: "Von dort zogen sie weiter, und bei einer Straßenbahnhaltestelle trafen sie auf zwei Kubaner, die sie ebenfalls niederschlugen. Diese tätlichen Angriffe wurden von einer abseits stehenden Gruppe Kubaner beobachtet, die ihren Landsleuten zur Hilfe kamen. So kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen Steine und Flaschen geworfen wurden. Die Kubaner zogen sich in ihr Wohnheim zurück, beratschlagten ihre Situation und beschlossen am nächsten Tag einen Racheakt in der Gaststätte durchzuführen."

Das hatte Konsequenzen: "Am Abend des nächsten Tages kam es in der Gaststätte, es befanden sich etwa 230 Deutsche im Saal, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen als etwa zehn Kubaner den Saal stürmten.“

Ein Merseburger, der an diesem Tag nicht im Strandkorb war, aber damals von dem Vorfall gehört hatte, erzählte der MZ, die Kubaner seien mit Eisenstangen und Ketten bewaffnet gewesen.

Waibel weiter: „Danach flüchteten sie vor das Gebäude, wo Kubaner in einer Stärke von circa 35 Mann standen, die die heraus stürmenden Deutschen mit Feldsteinen und Weinflaschen bewarfen... Der überwiegende Teil der Kubaner entfernte sich über die Saalebrücke in das Zentrum von Merseburg. Doch neun Kubaner flüchteten entlang des Flussufers, verfolgt von einem rassistischen Mob von ca. 30 bis 40 Deutschen. Da ihnen von anderen Deutschen dieser Weg versperrt wurde, sprangen die Kubaner in den Fluss und versuchten schwimmend das andere Ufer zu erreichen. Auf der Saalebrücke beobachteten ca. 70 Deutsche das makabere Schauspiel und einige von ihnen bewarfen die Schwimmer mit Gegenständen, wie z. B. mit Weinflaschen ... Die vier Kubaner, die schwimmend das andere Ufer erreicht hatten, wurden vorläufig festgenommen.“

Im MDR-Bericht hieß es, dass die Familie eines Kubaners, der vor 37 Jahren ums Leben gekommen war, einen deutschen Anwalt eingeschaltet hätte, der vor den Europäischen Gerichtshof ziehen will, um die Tat aufzuklären. Nach MZ-Informationen gibt es derzeit keine aktuellen Ermittlungen. (mz)