1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. Debatte über Regierungserklärung : Eklat: AfD-Fraktion verlässt bei Regierungserklärung geschlossen den Saal

Debatte über Regierungserklärung  Eklat: AfD-Fraktion verlässt bei Regierungserklärung geschlossen den Saal

Von Anja Förtsch 02.06.2016, 06:07
André Poggenburg, Landesvorsitzender der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) Sachsen-Anhalt
André Poggenburg, Landesvorsitzender der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) Sachsen-Anhalt dpa-Zentralbild

Magdeburg - In der Debatte über die Regierungserklärung von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ist es zum Eklat gekommen: Die AfD-Fraktion verließ geschlossen den Saal, um an einer Demonstration vor dem Landtag teilzunehmen. Die übrigen Fraktionen setzten die Beratung nach einer Unterbrechung ohne die AfD fort. Erst nach einigen Minuten kehrten die Abgeordneten der AfD in den Saal zurück.

AfD-Fraktionschef André Poggenburg hat zuvor die Regierungskoalition in der auf die Regierungserklärung folgenden Debatte scharf angegriffen. Der Ministerpräsident hatte am Donnerstag im Landtag die erste Regierungserklärung seiner zweiten Amtszeit abgegeben. Die „Altparteien, die nun die Kenia-Koalition bilden“ hätten den Wählerwillen nicht verstanden, sagte der Fraktionschef der rechtspopulistischen Partei. Sie sollten das Land besser regieren, nicht weiter ruinieren, so Poggenburg.

Tumulte und Zwischenrufe

Statt dem Willen der Wähler zu folgen, hätten sie ein Bündnis mit einer „linksradikalen Kleinpartei“ geschlossen, sagte der AfD-Fraktionschef – eine Aussage, die ihm Tumulte und Zwischenrufe vor allem aus den Reihen der Grünen und Linken einbrachte. Im Gegensatz zu den Regierungsparteien sei die AfD „die langersehnte Alternative zum Merkel-Kartell“. Dabei griff Poggenburg Ministerpräsident Haseloff direkt an: Er warf ihm vor, „den Karren in den Dreck“ zu fahren.

Haseloff ermahnte ihn daraufhin: „Das ist unser Land, über das Sie reden“. Poggenburg beklagte daraufhin die „Hetze“ gegen die AfD – und machte auch vor dem Ministerpräsidenten nicht halt: „Herr Haseloff, selbst Sie haben doch gehetzt: Indem Sie behaupteten, die AfD sei durch die NPD unterwandert“. Dabei habe doch die AfD strikte Aufnahmeanforderungen an Neumitglieder – „anders als die CDU“, so Poggenburg. Das sei „plumpe Hetze gegen die AfD“. In den Reihen der CDU sorgten die Aussagen Poggenburgs für heftiges Kopfschütteln, in den Reihen der Linken und Grünen für Zwischenrufe und Gelächter.

Auf die Frage des SPD-Abgeordneten Holger Hövelmann, wie denn die AfD das Land nach vorn bringen wolle, antwortete Poggenburg: „Die AfD ist ja nun in der sehr schönen Lage, Oppositionsführer zu sein und muss eben keinen Ausblick geben.“

Heftige Worte der SPD-Fraktionschefin

SPD-Fraktionschefin Katja Pähle antwortete nach der Unterbrechung auf die Rede Poggenburgs mit heftigen Worten: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“, zitierte sie den Maler Max Liebermann. Die Äußerungen durch den Fraktionschef der AfD seien eine Aneinanderreihung von Beleidigungen, Diffamierungen und Unterstellungen gegenüber den demokratischen Parteien. Genau dieses Verhalten führe dazu, dass die Bevölkerung verunsichert sei und Angst habe, so Pähle. „Von Grundwerten hält diese Partei nichts und sie schmückt sich auch noch damit. Es komme nun auf die gesamte Zivilgesellschaft an, sich dem entschieden entgegen zu stellen.

Dahingegen wollte Swen Knöchel, Fraktionschef der Linken im Landtag, nur kurz auf die Wortmeldung Poggenburgs eingehen. Man habe über 40 Minuten lang gehört, wie die Partei in Selbstmitleid bade und rassistisches Denken verbreite - „aber keine Selbstreflexion und nichts über das Land Sachsen-Anhalt“, so Knöchel. Darum gehe es aber im Landtag.

Kenia-Koalition verteidigt

Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Siegfried Borgwardt wandte sich gegen rechte Tendenzen: Die CDU stehe für ein weltoffenes und tolerantes Sachsen-Anhalt. „Wir werden Rassismus ebenso entgegen treten wie der Intoleranz“, sagte Borgwardt. Zudem verteidigte er die Koalition aus CDU,SPD und Grünen: „Kenia in Sachsen-Anhalt ist kein exotisches Experiment“. Die Koalition sei vielmehr „die Verwirklichung des Regierungsauftrags unserer Wählerinnen und Wähler“.

Wie Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann sagte, habe ihre Fraktion auch deshalb einer Koalition zugestimmt, um einen Rechtsruck in Sachsen-Anhalt zu verhindern. „Nach allem, was ich hier bisher von der AfD gehört habe, war diese Entscheidung richtig“, so Lüddemann. Es sei klar, dass Koalitionen Zweckbündnisse und Arbeitsbeziehungen auf Zeit sein – das müsse laut der Fraktionschefin aber nichts Schlechtes sein. Es gebe immerhin große fachliche Überschneidungen zwischen allen Koalitionspartnern.

Ministerpräsident warnt vor wachsendem Fremdenhass

Haseloff hatte zuvor in seiner Regierungserklärung gesagt, dass die Bewältigung des Flüchtlingszustroms eine der größten Herausforderungen ist, vor der Sachsen-Anhalt in den kommenden Jahren steht. „An der Art und Weise wie wir mit der Flüchtlingsfrage umgehen, zeigt sich der Reifegrad unserer Gesellschaft“, sagte Haseloff. Daran zeige sich, inwieweit jeder Bewohner des Landes die Grundprinzipien unserer Gesellschaft – „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Respekt“ - verinnerlicht habe.

Vor diesem Hintergrund warnte Haseloff auch vor einer wachsenden Ausländerfeindlichkeit im Land: „Was wir nicht zulassen dürfen, ist eine weitere Polarisierung unserer Gesellschaft, ist ein Anwachsen von Hass und Gewalt, sind Ausgrenzung und Abschottung“.  Dementsprechend seien „verbale Entgleisungen gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens, anderer Identität“ nicht akzeptabel. „Diese Landesregierung steht für ein Sachsen-Anhalt, das weltoffen und tolerant ist“, so Haseloff.

Einen weiteren Schwerpunkt legte der Ministerpräsident auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Es sei wichtig, „dass Sachsen-Anhalt wirtschaftlich stärker wird“, sagte Haseloff. Es gebe zwar einen erkennbaren Aufholprozess zwischen den alten und neuen Bundesländern, aber noch immer ein deutliches Ost-West-Gefälle. Um dieses abzubauen benötige es ein überdurchschnittliche Investitionsquote im Lande. Dazu sei es zum einen notwendig, dass die Unternehmen im Land mehr Mittel in Forschung und Entwicklung stecken. Zum anderen bedürfe es einer entsprechenden Gründer-Atmosphäre. „Wir wollen nicht aus jedem Wissenschaftler einen Unternehmensgründer machen“, sagte Haseloff. „Aber wir wollen mehr Unternehmensgründer mit wissenschaftlichem Hintergrund“. Insbesondere die Hochschulen des Landes sollen zu „Keimzellen für Start-ups“ werden.  Dazu sollen die Fördermöglichkeiten überarbeitet und entbürokratisiert  werden. Um Investoren und Gründer anzuziehen soll die Außendarstellung Sachsen-Anhalts verbessert werden: „Darum werden wir das Landesmarketing weiterentwickeln“, sagte der Ministerpräsident. Sachsen-Anhalt solle sich künftig als leistungsfähiger Wirtschaftsstandort präsentieren.

Kinderförderungsgesetz  und Gesetzesnovelle für Hochschulen

Besondere Herausforderungen bietet auch die Bildung im Land. Um die Unterrichtsversorgung zu gewährleisten soll die Zahl der Lehrer angehoben werden. „Die Abstimmung über Neueinstellungen zum nächsten Schuljahr ist bereits eingeleitet“, so Haseloff. Im Bereich der Hochschulen werde es in dieser Legislaturperiode eine Gesetzesnovelle geben. „Dabei wird es unter anderem um eine vollständige Übertragung des Berufungsrechtes an die Hochschulen gehen“, sagte der Regierungschef. Zudem sollen die Zugangsberechtigungen zum Abitur ausgeweitet werden.  Sicherheit versprach Haseloff den Universitätskliniken: Man sei sich einig, dass es keine Privatisierung oder Teilprivatisierung von Uni-Kliniken geben werde.

Das kommende, überarbeitete Kinderförderungsgesetz soll die Kommunen und Eltern entlasten. Auch die Gleichstellung soll ein Thema der Legislaturperiode werden: „Das bestehende Frauenfördergesetz werden wir zu einem modernen Gleichstellungsgesetz für Frauen und Männer weiterentwickeln“, sagte Haseloff. Neuerungen sieht der Ministerpräsident auch in den Bereichen Verkehrsinfrastruktur, Breitbandversorgung, Hochwasser- und Naturschutz, sowie im Brand- und Hilfeleistungsgesetz. „Es wird mehr Polizeibeamtinnen und –beamte in Sachsen-Anhalt geben“, bekräftigte Haseloff. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll die Zahl der Polizeibeamten auf 6.400 steigen, später auf 7.000. Gleichzeitig werden auch im Justizvollzugsdienst 100 Beamte zusätzlich eingestellt. Durch die Personalaufstockung sollen künftig auch die teils langen Verfahrenszeigen verkürzt werden: „Die Strafrechtspflege muss personell und technisch in der Lage sein, eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten“, so der Ministerpräsident.

Verbot der Neuverschuldung

Bei all den Herausforderungen müsse laut Haseloff aber immer auch die Kassenlage im Blick gehalten werden: „Wir wissen, dass wir uns nur leisten können, was der Landeshaushalt hergibt“. Die Obergrenze für das Haushaltsdefizit und das Verbot der Neuverschuldung seien klare, rote Linien der kommenden Jahre. „Nicht alle Wünsche werden deshalb sofort realisierbar sein“. Damit die Kommunen dennoch ihre Aufgaben wahrnehmen können, werde man im Herbst eine Gesetzesänderung im Bereich des Finanzausgleichs auf den Weg bringen – den Kommunen sollen in der Folge mehr Finanzmittel zur Verfügung stehen.

Haseloff hob auch den Stand Deutschlands und damit Sachsen-Anhalts innerhalb der Europäischen Union hervor. Die Wirtschaftslage in der EU, ein möglicher Ausstieg Großbritanniens und die Beziehungen der EU zu Russland schlügen sich auch auf das Bundesland nieder.

Haseloff  gab am Donnerstag die erste Regierungserklärung in seiner zweiten Amtszeit ab. Rund fünf Wochen besteht die Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen – der ersten sogenannten „Kenia-Koalition“ Deutschlands. Zudem wird der Landtag über ein Sofort-Finanz-Paket für die Kommunen debattieren. Dabei geht es um insgesamt 65 Millionen Euro. Das Geld soll den Städten und Gemeinden noch in diesem Jahr bereitgestellt werden. (mz)