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Die Einsamkeit des Profifußballers

24.09.2019, 10:54
Buchcover des Romans „Nicht wie ihr” von Tonio Schachinger. Foto: Verlag Kremayr & Scheriau
Buchcover des Romans „Nicht wie ihr” von Tonio Schachinger. Foto: Verlag Kremayr & Scheriau Verlag Kremayr & Scheriau

Berlin - Schon beim Lesen des Klappentextes fällt Ivo als Typ auf, den man am liebsten gegen die Wand klatschen würde. Ein herablassender Egoist, ein österreichischer Profifußballer, der 100 000 Euro die Woche verdient und andere so oft „Hurensohn” nennt, dass man schnell aufhört zu zählen. Ivo hat zwei Kinder und eine Frau mit perfekten Brüsten, er fährt abwechselnd Bugatti und Aston Martin und trägt am Handgelenk eine teure Markenuhr.

Doch schon bald wird klar, dass dieser reiche junge Mann ein Gefangener ist. Gefangen in der verlogenen Scheinwelt des Profifußballs, in der alle nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind. Ivo ist ein armer Wicht, der zu früh zu erfolgreich war und irgendwann merkt, dass er allein ist. Dem Österreicher Tonio Schachinger (Jahrgang 1992) ist mit „Nicht wie ihr” ein unterhaltsamer Debütroman gelungen, flapsig in der Sprache und zutiefst menschlich im Thema - über einen Typen, dem dämmert, was wirklich wichtig ist.

„Was liebt man denn, wenn man den Fußball liebt?”, fragt sich Ivo. „Dass man aufhört der Chef seines eigenen Lebens und seines Körpers zu sein, dass jeder Volltrottel eine Meinung zu einem hat?” Ivo sieht, dass seine Karriere stagniert und beginnt, die Falschheit der Fußballwelt zu durchschauen. Als er 20 war, hat er mit dem britischen Topclub FC Arsenal die Champions League gewonnen. Jetzt, mit 27, hängt er fest beim FC Everton.

Ivo ist unzufrieden - und einsam. Die Tage wälzen sich gleichförmig an ihm vorbei. Als er seine Jugendliebe Mirna wiedertrifft und mit ihr eine Affäre beginnt, mischt sich in Ivos herablassende, oberflächliche Art charakterliche Tiefe. Es macht ihn traurig, „dass er ein Leben führt, das er mit niemanden teilen kann, der nicht auch so ein Leben führt”. Nicht einmal zu seinen alten Freunden findet er einen Draht; seinem Bruder kann er schon lang nichts mehr erzählen. 

Dabei wollte Ivo immer einfach nur Fußball spielen. Nur geht es in der Welt der Profis um alles, nur nicht um Fußball. Wann ist man ein guter Fußballer, fragt sich Ivo, und beantwortet die Frage gleich selbst: „Entscheidend ist, dass man ein langweiliger Mensch ist. Je langweiliger, desto besser. Messi zum Beispiel hat sich seinen Arm nicht tätowieren lassen, weil er Tattoos liebt oder ihn die Idee fasziniert, Bilder mit Bedeutung auf seinem Körper zu tragen, sondern weil ihn seine Marketingberater gesagt haben, er soll es machen.”

Ivo lebt in einer Welt, in der er nicht mehr ist als ein Vehikel. Alles machen andere für ihn, so gut wie nichts entscheidet er selbst. Für seinen Verein ist er eine Maschine, eine Kapitalanlage. Für neun Millionen Euro eingekauft, für 45 Millionen wollen sie ihn weiter verkaufen.

Als Ivo den Tod seines Jugendtrainers realisiert, zu dem er als einzigen Menschen aufgeschaut hat, sich die Erinnerungen an seine Jugend im ärmlichen Teil Wiens in ihm zusammen knäulen und seine Familie einer Katastrophe entgeht, sieht sich er sich vor eine Kreuzung in seinem Leben gestellt. „Woran hat er die ganze Zeit gedacht?”, fragt sich Ivo. „An sich hat er gedacht, er hat die ganze Zeit nur an sich gedacht.” Ivo nimmt den Abzweig und entpuppt sich als Mensch - und nicht als Maschine.

Tonio Schachinger: Nicht wie ihr, Kremayr & Scheriau, 304 Seiten, 22,90 Euro, ISBN 978-3-218-01153-2 (dpa)