1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Debatte über deutsch-französische Beziehungen: Debatte über deutsch-französische Beziehungen: Sag mir, wo die Träume sind

EIL

Debatte über deutsch-französische Beziehungen Debatte über deutsch-französische Beziehungen: Sag mir, wo die Träume sind

Von Andreas Montag 10.06.2001, 16:42

Oranienbaum/MZ. - Auf Heine, den frühen deutsch-französischen Grenzgänger und Nacht-Denker, hätte die Sprache am Samstag noch kommen können, zumal die Debatte in der Oranienbaumer Stadtkirche ihren Mittelpunkt darin fand, weshalb Deutschland keine Träume auslöst. Bei seinen Nachbarn im Westen nicht und "nicht einmal bei den Deutschen selbst", wie Jobst Plog sarkastisch nachlegte. Aber das Feld war ohnehin weit gesteckt: Das Podium sollte "Deutschland und Frankreich in Europa", die Beziehungen der ehemaligen "Erbfeinde" in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erhellen. Zu ihren "Wörlitzer Denkanstößen" hatte die Gesellschaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs Brigitte Sauzay, Beraterin von Bundeskanzler Schröder in deutsch-französischen Fragen, sowie den NDR-Intendanten und Arte-Präsidenten Jobst Plog eingeladen. Der Historiker Arnulf Baring moderierte das Gespräch. Dass es zwischen Frankreich und Deutschland gerade in der jüngsten Vergangenheit auch Gewitter gab, hatte Baring schon zu Beginn umrissen. Das erschüttert die Freundschaft nicht, regt aber zur Nachfrage an, was beide Länder gefühlsmäßig verbindet und unterscheidet, was wir schon immer über den anderen und uns selbst zu erfahren hofften. Dafür sind die Französin Brigitte Sauzay und der Deutsche Jobst Plog, beide nachhaltig aber nicht unkritisch vom Nachbarn, von einem "anderen Modell vom Leben" (Plog) fasziniert, ideale Partner gewesen. Die Franzosen, sagt Frau Sauzay, hatten die Wiedervereinigung nicht wirklich verstanden, "sie sahen Deutschland vor lauter Kohl nicht mehr". Und die Franzosen erschraken: Fühlt sich Deutschland jetzt stark genug, uns abzuschütteln? Von der "Stunde Null" spricht sie, die die Deutschen für sich im Jahr 1945 ausmachten, aber nicht verstehen könnten, dass die Franzosen das bereits 1940 erlebt haben - "durch die Deutschen". Jobst Plog räumt ein, die Wiedervereinigung sei in ihrer Wirkung nach draußen unterschätzt worden. Das Problem der Franzosen mit Deutschland sieht er schlicht im Missverständnis, dass sie es nach dem eigenem Bilde, nämlich zentralstaatlich zu begreifen versuchen. Was aber, fragt Frau Sauzay, ändert das daran, dass man nicht von Deutschland träumt? Unversehens, nicht von ungefähr, geht es um die NS-Diktatur. Wie soll aus dieser Katastrophe eine Identität wachsen, fragt der Historiker und reklamiert eine "halbwegs gute Meinung von uns selber", um auch für andere leidlich zu sein. Frau Sauzay versteht die emotionale Störung der Nachbarn: "Die zwölf Jahre haben Deutschland um sehr viel seines Charmes gebracht". Charmanter kann man es nicht sagen. Auch das Wort zu den neuen Ländern übrigens nicht. Ostdeutschland, befindet die Kanzlerberaterin, sehe ein bisschen wie die französische Provinz aus - "dieses Unberührte, Nicht-Amerikanisierte, Herz-Erwärmende". Ob es die dort Siedelnden auch so sehen? Da ist er wieder, der Unterschied.