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2. Bundesliga 2. Bundesliga: Kiez-Kultur beim FC St. Pauli

Von Franko Koitzsch 06.12.2002, 17:12
Theaterchef Corny Littmann wird Interimspräsident des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli. (dpa)
Theaterchef Corny Littmann wird Interimspräsident des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli. (dpa) dpa

Hamburg/dpa. - Beim FC St. Pauli hält die Kiez-Kultur Einzug. Dem Fußball-Zweitligisten steht mit Corny Littmann ab sofort ein Theaterchef, Moderator und Regisseur als Interimspräsident vor. Der 50 Jahre alte Inhaber der Varietés «Schmidt» und «Schmidts Tivoli» auf der Hamburger Reeperbahn wurde am Donnerstag vom Aufsichtsrat als Nachfolger des bisherigen Vereinschefs Reenald Koch vorgestellt. Littmann will sich im Februar oder März nächsten Jahres den St.- Pauli-Mitgliedern als Präsidentschaftskandidat zur Wahl stellen. «Ich bin St. Paulianer mit Leib und Seele. Ich bin ein Fan-Präsident», sagte der Theaterchef und Kaufmann, der sich in ausgewaschenen Jeans, Strickjacke und Totenkopf-Basecap präsentierte.

Der Theater-König des Hamburger Rotlichtbezirks, der sich als «schwuler, linksorientierter Künstler» sieht, ist zweifellos eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Hansestadt. Mit seiner «Schmidt- Mitternachtsshow» in den dritten Fernsehprogrammen der ARD erlangte er bundesweite Popularität. Rund 300 000 Zuschauer besuchten im vergangenen Jahr die 800 Vorstellungen seiner 300 und 700 Plätze bietenden Theater. 1980 hatte Littmann bei den Grünen für ein Bundestagsmandat kandidiert.

Trotz seiner neuen Funktion im Fußballgeschäft bezeichnet er sich in erster Linie als einen «bekennenden Fan, der nicht automatisch Experte» ist. Deshalb wolle er auf keinen Fall «das Trikot anziehen und auflaufen». Die sportlichen Entscheidungen sollen Sportdirektor Franz Gerber und Manager Stephan Beutel treffen. Trotz der ernüchternden Bilanz von Trainer Joachim Philipkowski mit lediglich zwei Siegen und acht Niederlagen in 13 Spielen will er nicht die Trainerfrage stellen. «Es steht einem Präsidenten gut an, wenn er sich in bestimmten Dingen in Bescheidenheit übt.»

«Fröhlich, gelassen und optimistisch» lautet die Grundeinstellung des neuen St.-Pauli-Präsidenten. Mit ihm soll mehr Kommunikation in den Verein einziehen. Deshalb soll an den Präsidiumssitzungen stets ein Vertreter des Aufsichtsrates teilnehmen. «Wir wollen nicht voneinander in der Zeitung lesen, sondern miteinander reden.» Littmann will mit Vorgänger Koch und dessen Vorgänger Heinz Weisener Kontakt aufnehmen, um sich ein umfassenden Bild zu machen. «Ich bin keiner Fraktion im Verein zuzuordnen», meinte er.

Um der prekären sportlichen Lage des stark abstiegsbedrohten Zweitligisten begegnen zu können, soll in der nächsten Woche ein Kassensturz vorgenommen werden. «Wir wollen sehen, wie viel Geld da ist, um neue Spieler zu kaufen», betonte Littmann und appellierte an die Hamburger Wirtschaft: «Nehmt den Verein als das wahr, was er ist: als Phänomen im bezahlten Fußball, in das es lohnt zu investieren.» Seine Bereitschaft, nicht nur Zwischen- sondern Dauerlösung auf dem ehrenamtlichen Präsidentenstuhl zu sein, hat der Theatermacher an eine Bedingung geknüpft: «Das Schimpfwort Schauspieler in einem Fußballstadion ist ab sofort verboten.»