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Interview Interview: «Embryo-Forschung vorerst notwendig»

25.01.2002, 18:54

Berlin/MZ. - Welche Vorteile hat die Forschung an embryonalenStammzellen im Vergleich zur Forschung anadulten Stammzellen?

Winnacker: Diese Gegenüberstellungist falsch. Die Forschung an beiden Zelltypenist wichtig, um die unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeitenzu studieren. Warum können sich embryonaleStammzellen in jede Zelle verwandeln, adulteaber nur in bestimmte, etwa in weiße Blutkörperchen?

Die Forschung an adulten Stammzellen reichtalso nicht aus?

Winnacker: An adulten Stammzellenwird schon seit längerem intensiv geforscht,und es gibt bereits Therapiemöglichkeiten,etwa bei Leukämie. Um aber auch Hirnerkrankungenbesser zu verstehen und auf lange Sicht zutherapieren, ist embryonale Stammzellforschungnotwendig. In Versuchen an Mäusen und Rattenhat man herausgefunden, dass embryonale Stammzellenüber ein hohes Potenzial für die Behandlungvon etwa Multipler Sklerose oder Parkinsonverfügen. Man kann vor diesen Chancen dieAugen nicht verschließen. Deshalb haben wiruns im Mai dafür ausgesprochen, die Forschungmit embryonalen Stammzellen in Deutschlandzu ermöglichen.

Bei der Gewinnung embryonaler Stammzellenstirbt der Embryo. Menschliches Leben wirdvernichtet, um ein anderes zu erhalten.

Winnacker: Wir wollen nur an embryonalenStammzellen forschen, die bei künstlichenBefruchtungen übrig geblieben sind und keineLebenschance mehr haben. Es sollen keine Embryonenfür die Forschung hergestellt werden.

Wenn die Forschung zu konkreten Therapienführen sollte und die bestehenden Zellen verbrauchtsind, müssen dann nicht doch Embryonen gezielterzeugt werden?

Winnacker: Das ist nicht unser Ziel.Der Königsweg müsste sein, dass man durchdie Versuche lernt, auch adulte Stammzellenin die für eine Therapie benötigten Zellenumzuwandeln.

Wenn der von Ihnen beschriebene Weg sichals ungangbar erweisen sollte und in anderenLändern der direkte Einsatz embryonaler Stammzellenzu Therapiezwecken erlaubt ist, setzt dannnicht ein Stammzellen-Tourismus ein?

Winnacker: Ob wir unsere Ziele erreichen,wissen wir nicht. Forschung ist per Definitionin ihren Ergebnissen ungewiss, aber sie mussdennoch betrieben werden. Ich denke, es würdekeinen Tourismus geben. Wenn die Therapiemöglichkeitenda sind, dann sind die Zellen am nächstenTag in Deutschland. Etwas anderes würde dieBevölkerung gar nicht tolerieren. Genau diesmacht in meinen Augen die Argumentation derGegenseite so zweifelhaft. Da heißt es, wennihr im Ausland erst einmal so weit seid, wollenwir neu überlegen. Das grenzt für mich anHeuchelei. Wer von der Forschung profitierenwill, muss auch ihre Risiken tragen.

Leitet diese Forschung nicht dennoch einenschleichenden Wandel über den Wert menschlichenLebens ein, über das, was erlaubt ist undwas nicht?

Winnacker: Jeder große Fortschrittin der Medizin, in der Wissenschaft allgemein,hat Diskussionen ausgelöst und zu Paradigmenwechselngeführt. Nehmen Sie Darwin und die Evolutionstheorie,die ersten Herztransplantationen, das helio-zentrischeWeltbild. Ich bezweifle, dass die Forschungan embryonalen Stammzellen einen weiter reichendenParadigmenwechsel auslöst als diese Beispiele.