1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Online-Händler: Amazon: Smart Agent Musik und TV - Amazon ist in Europa auf dem Vormarsch

Online-Händler Amazon: Smart Agent Musik und TV - Amazon ist in Europa auf dem Vormarsch

Von Frank-Thomas Wenzel 11.08.2017, 13:21

Es gehört zu den Ritualen des Samstagnachmittags. Die Fußballbundesliga im Radio live hören und dabei – sagen wir mal – das Auto zu wienern. Natürlich inklusive Konferenzschaltung. Vom nächsten Samstag an ist auch das bei Amazon zu haben – für alle Kunden, die den Abodienst Prime gebucht haben.

Ein weiteres Produkt des US-Konzerns, der sich immer mehr zum Anbieter für alle Lebenslagen entwickelt. Hinter all dem steckt, was Konzerngründer Jeff Bezos schon 1997 als Credo für sein Unternehmen formuliert hat: „Wir werden uns unerbittlich auf unsere Kunden konzentrieren.“ Bezos will die Welt der Konsumenten erobern.

Gerade hat die Drogeriekette Rossmann sich mit seiner Firma zusammengetan, um künftig rund 5000 Produkte vom Babybrei bis zum Lippenstift innerhalb einer Stunde zum Prime-Kunden zu bringen – zunächst allerdings nur in Berlin. In US-Medien wird derzeit zudem heftig gemutmaßt, was der nächste Schritt werden könnte. Am Freitag kursierte die Meldung, dass Amazon sich anschickt, das Geschäft mit Tickets für Konzerte und diverse andere Veranstaltungen umkrempeln zu wollen.

Bezos erschließt Bereiche, die vorher niemand für erschliebar hielt

Oder wie wäre es mit Arzneimitteln? Warum nicht. Zwar sind auch in den Vereinigten Staaten die Hürden hoch, da es sich um Produkte handelt, die der Arzt verschreiben muss, doch der Markt ist riesig. Er ist in den USA rund 200 Milliarden Dollar jährlich stark. Das macht Bezos hungrig. Und er hat wiederholt Geschäftsbereiche erschlossen, die vorher niemand für erschließbar hielt.

Ein Beispiel: TV-Geräte im Internet kaufen? Geht doch nicht, man muss sich das Gerät doch erstmal im Geschäft anschauen. Geht eben doch, weil immer mehr Verbraucher sich auf die Kommentare und Bewertungen von anderen Käufern als auf die Aussagen des Fachverkäufers verlassen. Außerdem kann das Geräte bei Nichtgefallen umgetauscht werden. Die Rückgabegarantie war denn auch maßgeblich für den Siegeszug des Textilhandels via Amazon und Internet. Das führt in den USA nun dazu, dass alteingesessene Warenhauskonzerne wie Macy’s oder Sears in schwere Krisen geraten sind.

Das Berliner Experiment mit Rossmann dürfte eines der spannendsten Bezos-Projekte sein. Die Lieferung innerhalb einer Stunde kostet 6,99 Euro. Den Kunden werden die Produkte von Montag bis Samstag zwischen 8 und 24 Uhr gebracht, sie kommen direkt aus der Filiale. Kunden profitierten damit „von der schnellen und planbaren Lieferung“, betont Kai Rühl, der den Amazon Schnell-Service Prime Now in Deutschland leitet. Als ausgemacht gilt unter Experten, dass der Service auf andere Städte in Deutschland ausgeweitet wird, wenn die Kundschaft anbeißt.

Amazon will Kunden automatisiert beliefern

Amazon arbeitet seit Jahren an der Optimierung der Logistik, die Lieferzeiten immer weiter verkürzen will. Bezos will die Grenzen des Onlinegeschäfts ausloten und ihn zugleich mit stationären Läden intelligent verknüpfen. Deshalb hat er kürzlich die Bio-Lebensmittelkette Whole Foods Market für mehr als 13 Milliarden Dollar gekauft. Analysten gehen davon aus, dass die Geschäfte einerseits auch künftig für den Kauf von Frischware da sein sollen. Andererseits könnten sie auch zu Mini-Auslieferzentren in den Städten entwickelt werden, um Produkte innerhalt einer Stunde zum Kunden zu bringen.

Dass Amazon sich gerade jetzt auch mit Toilettenpapier, Zahnpasta und Duschgels befasst, hat nach Einschätzung von Marktforschern eine naheliegende Motivation: Es handelt sich um die sogenannten Produkte des täglichen Bedarfs. Sie werden regelmäßig gekauft. Und da wittert Amazon ein großes Geschäft, nämlich mit der automatisierten Belieferung der Kunden. In nicht allzu ferner Zukunft soll der Konsument nicht mehr bestellen müssen. Er bekommt ohne eigenes Zutun, was er benötigt. Weil Amazon weiß, was Frauen, Männer und Kinder wünschen.

Smart Agent soll Kunden täglich begleiten

Denn der Konzern ist nicht nur ein Händler, sondern auch einer der größten Datensammler weltweit. Das soll in Zukunft mit einem sogenannten Smart Agent namens Alexa perfektioniert werden. Der schlaue Assistent ist ein Algorithmus, der Nutzer permanent begleiten und jede Lebensregung registrieren soll. Daraus destilliert das Programm Verhaltensmuster, mit denen die Bedürfnisse erkannt werden können. Die Software soll vor allem auf Smartphones, aber auch auf fest installierten Geräten wie Amazons interaktivem Lautsprecher Echo eingesetzt werden.

Und so könnte in naher Zukunft am Freitag nach Feierabend eine Kiste mit benötigten Drogerieartikeln vorbeigebracht werden. Es kann aber auch Smooth-Jazz für das Abendessen mit Freunden sein. Amazon Music hat da ein Riesenangebot. Das kann der Politthriller für den Samstagabend sein. Amazon liefert ihn ins Wohnzimmer über seinen Videostreamingdienst. Damit die offerierten Filme den Geschmack der Kunden treffen, ist Amazon innerhalb kürzester Zeit zu einem der wichtigen Filmproduzenten geworden. Wobei zur Entwicklung Inhalte unter anderem Nutzerdaten analysiert werden.

Die Experten des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Gartner jedenfalls gehen davon aus, dass in vier bis fünf Jahren Hightechgiganten wie Amazon mittels smarter Agenten oder Smartphone-Apps bei einem Fünftel aller unserer Aktivitäten unmittelbar beteiligt sein werden. Das zeigt, wie unerbittlich Bezos‘ Credo tatsächlich gemeint war.

Bezos stößt Aktionäre vor den Kopf

Sein Geschäftskonzept hat den Amazon-Gründer und Großaktionär jedenfalls zu einem der reichsten Menschen der Welt gemacht. Wobei er ohne mit der Wimper zu zucken heftige Kursschwankungen der Amazon-Aktie in Kauf nimmt, die sein Vermögen schnell um zweistellige Millionenbeträge verringern können.

Bezos stößt Aktionäre immer wieder vor den Kopf. So kündigte er kürzlich an, dass sein Unternehmen in diesem Quartal in die Verlustzone rutschen könnte. Dem Amazon-Chef geht es kurzfristig nicht um Profite, sondern um das Erobern neuer Marktanteile. Schon in den drei Monaten zwischen April und Juni kletterten die Marketingkosten um sage und schreibe 44 Prozent auf 2,2 Milliarden Dollar. Bei den Aufwendungen für Transport, Verpackungen und den Betrieb der Logistikzentren ging es um ein Drittel auf 5,2 Milliarden Dollar nach oben. In diesem Stil dürfe es auf absehbare Zeit weitergehen. Es wird gemutmaßt, dass Bezos auch an den TV-Rechten für die Bundesliga interessiert ist.