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Trend Herr Professor, warum gibt es in Sachsen-Anhalt immer weniger Großfamilien?

Hallescher Soziologe Oliver Arránz Becker erklärt, welche Bedeutung Großfamilien hatten und welcher Trend heute spürbar ist.

18.03.2024, 09:18
So viele Kinder auf einmal? Früher hatten Großfamilie eine wichtige Funktion in der Gesellschaft. Heute werden es imme weniger.
So viele Kinder auf einmal? Früher hatten Großfamilie eine wichtige Funktion in der Gesellschaft. Heute werden es imme weniger. (Foto: IMAGO/Funke Foto Services

Professor Oliver Arránz Becker forscht am Institut für Soziologie der Uni Halle-Wittenberg zu demografischen Prozessen: Teil seiner Untersuchungen sind etwa Fertilität, also Fruchtbarkeit, sowie die Wahl von Lebens- und Familienformen. Helene Kilb hat mit dem Soziologen über Großfamilien, deren finanzielle Belastung und frühere Bedeutung gesprochen.

Herr Professor Arránz Becker, in Deutschland werden Großfamilien immer seltener. Ist dieser Trend auch in Sachsen-Anhalt spürbar?

Oliver Arránz Becker: Ja, auf jeden Fall, sogar besonders akzentuiert. Der Anteil der Großfamilien ist geringer als in den meisten anderen Bundesländern. Das zeigt sich auch bei den Statistiken, wo Familien mit mehr als drei Kindern meist nicht mehr nach Kinderanzahl differenziert werden, weil die Zahlen so gering sind.

Warum gibt es heutzutage nicht mehr Großfamilien?Oliver Arránz Becker: Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eigentlich überhaupt gar nicht erstaunlich. Nüchtern betrachtet kann man sich fragen: Was bedeuten Kinder? Positive Aspekte, in der Literatur manchmal als psychischer Nutzen bezeichnet, sind der Sinn und die Freude, die sie ins Leben bringen. Diesen „Benefit“ hat man aber schon mit einem oder zwei Kindern, dazu braucht man keine fünf. Und gerade in der heutigen Zeit überlegen sich viele Menschen, wie viele Kinder sie sich finanziell leisten können.

Professor  Oliver Arránz Becker
Professor Oliver Arránz Becker
(Foto: Markus Scholz)

Welche Aspekte spielen noch eine Rolle?Oliver Arránz Becker: Auch Zeit-Ressourcen sind oft ein Argument: Wenn der Kinderwunsch nicht so stark ist, konkurriert ein mögliches weiteres Kind mit anderen Aktivitäten. Das zeigt sich auch empirisch: In einer Studie konnten ein Kollege und ich nachweisen, dass Frauen, die besonders freizeitorientiert waren, durchaus eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, ein Kind zu bekommen. Menschen mit einer Großfamilie sind eine sehr selektive Gruppe, vermutlich mit einem extrem starken Bezug zu Kindern und einem extrem ausgeprägten Kinderwunsch.

Welche Bedeutung hatten Großfamilien früher?Oliver Arránz Becker: Als westliche Gesellschaften noch stärker agrarisch orientiert waren, waren Kinder oft wichtig als Arbeitskräfte und später als Erben. Rational gesehen war eine Großfamilie da schon eine ganz gute Strategie. In der heutigen Dienstleistungsgesellschaft, inzwischen Informationsgesellschaft, fällt dieser Faktor komplett weg.