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Medien Medien: «Ost» heißt oft «schlecht»

15.06.2009, 06:20

Berlin/dpa. - Miteiner Auflage zwischen 410 000 und 620 000 Exemplaren ist die «SuperIllu» die beliebteste Zeitschrift in den neuen Ländern. Dort lebenetwa 85 Prozent der 3,5 Millionen Leser, während das Blatt an vielenKiosken in der alten Bundesrepublik gar nicht zu haben ist.

Seit 1991 ist Jochen Wolff Chefredakteur des Blattes; er wird am21. Juni 60 Jahre alt. Für ihn geht immer noch ein Riss durchDeutschland. «Übertrieben gesagt kommt man als Ostdeutscher nur dannin westdeutsche Zeitschriften, wenn man vergewaltigt, veruntreut oderjemanden umbringt», meint er. «Die Vorsilbe "ost" wird häufigangewendet, um zu diskriminieren. Wenn man sagt, der ostdeutscheSänger, dann meint man, der singt schlechter. Wenn man von einerostdeutschen Stadt spricht, heißt das, die ticken nicht richtig, diehaben mehr Probleme.» Die «Super Illu» sieht er als Anwältin desOstens in einem vom Westen bestimmten Land.

Der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Prof. Hans-JörgStiehler kommt zu dem Ergebnis: «In den Medien dominiert nach wie vorein westdeutscher Blick auf Alltag und Geschichte.» Deshalb seien imOsten Beiträge gefragt, die sich mit der eigenen Identität befassen,die in Gesamtdeutschland keine Rolle spielt oder pauschal als«belastet» angesehen wird. So waren die erfolgreichsten Ausgaben der«Super Illu» Titel über das ehemalige Schlagersänger-Traumpaar FrankSchöbel und Chris Doerk, die im Westen so gut wie niemand kennt.«Einen West-Superstar wie Michael Schumacher können wir dagegen nichtvermitteln, er ist zu abgehoben», betont Wolff.

Auch die MDR-Talkshow «Riverboat» funktioniert nach diesem Muster:«Wenn wir keinen oder nur einen Vertreter aus den neuen Bundesländerneinladen, ist die Resonanz deutlich geringer», sagt FernsehdirektorWolfgang Vietze. Beim MDR wird als Paradebeispiel für eine Ignoranzdie in Leipzig gedrehte Krankenhaus-Serie «In aller Freundschaft»gesehen, die seit mehr als zehn Jahren im Ersten läuft und oft übersechs Millionen Zuschauer hat. «Trotz des enormen Erfolges hat dieSerie mit Ausnahme der "Goldenen Henne" der "Super Illu" noch nieeinen Preis bekommen», ärgert sich Vietze.

Doch gehen nicht langsam die Themen und Personen aus? Junge Stars,wie die Musikgruppe Tokio Hotel, die aus der Magdeburger Regionstammt, oder die in Brandenburg geborene Schauspielerin Anna Loossind kaum noch regional zu verorten und inzwischen gesamtdeutschePersönlichkeiten geworden. Prof. Stiehler meint: «Die SonderidentitätOst wird es vermutlich auch noch in 10 oder 20 Jahren geben.» Daraufmüssten die Medien eingehen. Als kleinen Durchbruch auf dem Weg zurGleichwertigkeit sieht er, dass der Tod von Fred Delmare - einem derbeliebtesten Schauspieler der DDR - in der «Tagesschau» gemeldetwurde.

Wolff ist einer der am längsten amtierenden Chefredakteure. 1997rief er den Medienpreis «Goldene Henne» ins Leben, der trotz Kriseauch in diesem Jahr verliehen wird (30. September). Mit dem Ost-West-Konflikt hat er schon seit seiner Kindheit zu tun. Wolff wurde in derbayerischen Kleinstadt Furth im Wald nahe der tschechischen Grenzegeboren. «Drei Kilometer von uns entfernt war der Stacheldraht.»Seine Karriere begann er 1972 bei der Illustrierten «Quick» und wurde1988 Chefredakteur des Frauen-Blattes «Neue Welt». Im Februar 1991rückte er an die Spitze der Wochenzeitschrift «Super Illu». Dort istkein Problem, was bei der «Berliner Zeitung» für einen Aufstandsorgte: Wolff ist in einer Person Chefredakteur und Geschäftsführerder Hubert Burda Media Verlagsgruppe in Berlin.

1999 heiratete er seine Freundin - die in den 80er Jahren ausOstberlin legal ausgereist war - unter dem Brandenburger Tor. Damalsfeierte das Ost-West-Paar mit einer Fahrt im Hochzeitsbus quer durchBerlin. Daran will er bei seinem 60. Geburtstag anknüpfen und Freundezu einer nächtlichen Schifffahrt einladen. Zu seiner beruflichenZukunft sagt er: «Jetzt geht es darum, sicher durch die Krise zusteuern. Aber ich sehe mich nicht ewig an dieser Stelle.»