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Geschichte Geschichte: Kartoffeln mit Flöte

Von christian eger 29.11.2011, 00:09

halle/MZ. - Am 24. Januar gedenken die Deutschen des 300. Geburtstages von Friedrich II. (1712-1786). Jenes Königs, der mit seinen Eroberungen Preußen neben Frankreich, England, Russland und Österreich als fünfte europäische Großmacht etablierte. Der damit den Kern des 1871er Einheitsdeutschlands formte, das als "kleindeutsche Lösung" in die Geschichtsbücher einging: die Einheit des Reiches unter preußischer Führung und Ausschluss Österreichs.

Erstmals wird es 2012 möglich sein, im Zuge eines großen Fritz-Jubiläums Blumen und - die 1756 auf des Königs Befehl hin in Preußen eingeführten - Kartoffeln dort niederzulegen, wo der Geehrte tatsächlich zu finden wäre: in der Gruft auf der Terrasse seines Sommersitzes Sanssouci in Potsdam.

Erst im August 1991 war der Sarkophag des "Philosophen auf dem Thron" in die von diesem selbst zur Grablege erklärte Steinkammer herabgesenkt worden, was ihm die Nachkommen verwehrt hatten. Ein König neben Windhund-Gräbern? Ohne Prunk auf der Wiese eines Weinberges? So an der Öffentlichkeit vorbei wollte die junge Großmacht ihren einzigartigen Gestalter nicht verstecken. Erst gelangte Friedrichs einbalsamierter Leichnam in die Garnisonkirche in Potsdam, bis er von 1943 an nach verschiedenen Stationen 1952 auf die Zollernburg Hechingen kam und von dort nach Sanssouci.

Jens Bisky erinnert zum Auftakt seines Friedrich-Buches an die Umbettung, die als "Aktion Sarg und Asche" öffentlich verhöhnt wurde. Daran, dass Helmut Kohl ausdrücklich als Privatmann und nicht als Bundeskanzler an der Beisetzung teilgenommen hatte, was der Historiker Golo Mann wiederum als eine "absolute Geschmacklosigkeit" bezeichnete. So war es stets: Kein öffentliches Nachdenken über Deutschland, meint Bisky, ohne dass der Preuße eine Rolle spielte. Doch damit sei es vorbei. In der Tat: Die Potsdamer Sarg-Aktion und deren Querelen sind längst abgesunken in die tiefste Nahvergangenheit - im Gegensatz zum König.

Bisky, der als Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung in Berlin tätig ist, hat unter dem forschen, aber nicht unsympathischen Titel "Unser König" eines von drei Lesebüchern verfasst, die sich als Fritz-Kurs für Einsteiger empfehlen. Jugend, Glanz, Krieg und Alter sind die Kapitel überschrieben, mit denen der Journalist vor allem zeitgenössische - und sehr ausführliche - Berichte über den König versammelt. Jedes Kapitel führt Bisky mit einem langen eigenen Beitrag ein, so dass er unter der Hand eine kleine Friedrich-Biografie mitliefert. Man folgt alledem gern. Auch deshalb, weil Bisky von vornherein klarstellt, dass er für jene geschrieben und gesammelt hat, die es leid sind, "den König, der das Staunen seines Jahrhunderts war, auf eine Formel zu bringen". Er wolle Neugier wecken.

Zwei Urteile fällt Bisky trotzdem. "Deutschland" sei für Friedrich nur ein geografischer Begriff gewesen, eine "nationale" Mission habe dieser nie gespürt. Und als "Philosoph" sei der König völlig überschätzt. Nicht seine Schriften seien von Interesse, sondern seine Taten.

Deren Echo rückt der aus Jena stammende und in Braunschweig lehrende Historiker Matthias Steinbach in den Blick. "Kartoffeln mit Flöte" lautet der Titel des gewitzten Reclam-Lesebuches, der die populärsten Stereotype der Friedrich-Wahrnehmung in einer Zeile zusammenzieht. Steinbachs Auswahl ist der lustige kleine Bruder zu Biskys doch vergleichsweise offiziöser Lieferung. Querfeldein und bis in unsere Gegenwart quer durch die Zeiten fängt Steinbach aus Literatur, Geschichtsschreibung und Politik Stimmen ein über den 1,65-Meter-Mann. Die Stücke sind kurz und kurzweilig, immer anregend, oft erhellend. Man kann das als eine Biografie aus aneinandergereihten Artikeln lesen. Ohnehin ist es ein schöner Effekt des Jubiläums, dass sichtbar wird, wie geistreich und populär deutsche Historiker heutzutage schreiben können. Und mit wie wenig falscher Scheu. Auch für Steinbach kann von einer politischen Mission Friedrichs keine Rede mehr sein. Die deutsche Sendung sei abgehakt. Um so mehr Zeit ist für Kultur- und Zeitkritik.

Handreichungen zu letzterer bietet der Historiker und Publizist Norbert Leithold in seinem kulturgeschichtlichen Stichwort-Panorama, das Friedrichs Welt von A bis Z vorführt, also von "Abenteuer" und "Abort" bis zu "Wohnungen" und "Zeitungen". Es ist ein in seiner Detailfreude verblüffendes, ja rokokohaft funkelndes Friedrich-Bild, das Leithold inszeniert. Originell und eigenständig: So speist Leithold bislang unveröffentlichte Funde aus dem Archiv des Grafen Goertz ein, eines Geheimdiplomaten der Goethe-Zeit. Ein edel präsentiertes Buch der "Anderen Bibliothek", das dem König gefallen hätte, der ja ein "Luxustier" war, wie die jetzt ausgewerteten Schatullenrechnungen zeigen: Er nutzte Mundpomade (Fettstift für die Lippen), Orangenpuder als Schminke und trug regelmäßig zwei bis drei Ringe.

"Friedrich ist kein Stoff für mich", wird Schiller bei Steinbach zitiert. Der Dichter habe diesen zu wenig "lieb", um an ihm "die Riesenarbeit der Idealisierung" vorzunehmen. Heute wäre Schiller der Mann der Stunde, die eine Friedrich-Recherche ohne Idealisierung fordert. Denn, sagt der britische Historiker Christopher Clark im neuen "Zeit"-Magazin "Geschichte": "Man darf nicht vergessen, was für ein selten begnadeter Mensch Friedrich war." Er komponierte, dichtete, philosophierte, politisierte. Kurzum: Wir würden auch heute über diesen vor 300 Jahren geborenen Menschen reden, wenn er nicht König gewesen wäre.