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30. November 1990 30. November 1990: Haftbefehl für einen greisen Staatschef

Von Jutta Schütz 30.11.2010, 07:36
Mit gestreckter Faust betritt Erich Honecker, früherer Staats- und Parteichef der DDR, am 30. November 1992 den Gerichtssaal in Berlin-Moabit. (FOTO: DPA)
Mit gestreckter Faust betritt Erich Honecker, früherer Staats- und Parteichef der DDR, am 30. November 1992 den Gerichtssaal in Berlin-Moabit. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Er ging gerne auf Staatsreisen und war sogar noch wenige Monate vordem Zusammenbruch der DDR überzeugt, dass die Mauer auch in 100Jahren noch stehen wird. Vor 20 Jahren wurde Haftbefehl gegen dengreisen Staatschef Erich Honecker erlassen.

Der entmachtete DDR-Staats- und Parteichef ErichHonecker soll die Nachricht im sowjetischen Militärhospital Beelitzgefasst aufgenommen haben. Vor 20 Jahren, am 30. November 1990, wurdegegen den greisen Ex-SED-Spitzenfunktionär Haftbefehl erlassen. DieBerliner Justiz warf ihm eine persönliche Verantwortung für die Totenan Mauer und Stacheldraht vor. Der Haftbefehl sollte zunächst geheimbleiben, doch einen Tag später war die Nachricht an dieÖffentlichkeit gesickert. So versammelten sich am Tor desMilitärkrankenhauses im brandenburgischen Beelitz neben zahlreichenJournalisten auch Einwohner des kleinen Städtchens. Einige zeigtenGenugtuung.

Der krebskranke 78-Jährige war zu jener Zeit mit Ehefrau Margot inBeelitz südwestlich von Berlin untergetaucht. Nach dem Haftbefehlbegann ein juristisches Tauziehen um den prominenten Ex-Politiker,das rund 20 Monate dauern sollte. Zunächst wurden die Honeckers aufGeheiß der Sowjet-Führung im März 1991 heimlich aus Beelitz nachMoskau geflogen, später flüchtete das alte Funktionärs-Paar in diedortige chilenische Botschaft. Erst im Juli 1992 wurde Honecker nachDeutschland zurückgebracht. Er kam in das UntersuchungsgefängnisBerlin-Moabit.

Die Justiz machte den gelernten Dachdecker für die Schüsse an derBerliner Mauer und der innerdeutschen Grenze verantwortlich. Honeckerhabe nach dem Mauerbau 1961 den Gebrauch von Schusswaffen gegen«Grenzverletzer» angeordnet und in den Folgejahren für den immerperfekteren Ausbau der Sperranlagen verantwortlich gezeichnet. DieBerliner Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass zwischen 1949 und1989 durch diese Politik rund 250 Menschen starben.

Doch das Verfahren gegen Honecker und weitere fünf DDR-Spitzenfunktionäre, das im November 1992 begann, wurde schon bald zueinem medizinischen Seminar. Honecker wurde Totschlag in 13 Fällenvorgeworfen. Zu Prozessbeginn ballte er noch die Faust zumsozialistischen Kampfesgruß. Doch bald bestimmte derGesundheitszustand des Angeklagten das Verfahren. Nach juristischemGezerre ordnete das Berliner Verfassungsgericht Mitte Januar 1993 dieEinstellung des Verfahrens gegen den krebskranken Honecker an. Am 13.Januar wurde der Haftbefehl aufgehoben. Der greise Ex-Staatschefflog nach Chile zu seiner Frau ins Exil, wo er am 29. Mai 1994 imAlter von 81 Jahren starb.

Der strikte Reformgegner Honecker wollte bis zu seinem Tod seinpolitisches Versagen nicht wahrhaben. Er übernahm zwar in einerpersönlichen Erklärung vor dem Gericht die politische Verantwortungfür die Maueropfer. Trotz allen Leids der Opfer und ihrerHinterbliebenen sah er sich in seinem Prozess aber ohne juristischeoder moralische Schuld. Unbeirrt legte er im Gerichtssaal einpolitisches Vermächtnis ab: «Am Ende meines Lebens habe ich dieGewißheit, die DDR wurde nicht umsonst gegründet. Sie hat ein Zeichengesetzt, daß Sozialismus möglich und besser sein wird als derKapitalismus.»

Dieser Meinung ist Witwe Margot, in der DDR mehr als einVierteljahrhundert Ministerin für Volksbildung, bis heute. Aufsehenerregte sie zuletzt, als sie 20 Jahre nach dem Mauerfall in einemInternet-Video zu sehen war. Dort verkündete sie offensichtlich beieiner Feier mit alten Genossen in Chile, 50 Prozent der Ostdeutschenlebten heute im Kapitalismus schlechter und erinnerten sich an die«schöne Zeit (...) in unserer DDR». Die CDU sei die «Partei derBourgeoisie». Was die DDR in 40 Jahren geschafft habe, sei «nichtmehr wegzukriegen», sagte sie.

Die 83-Jährige lebt nach wie vor in Chile. Das Land hatte dieHoneckers in einem «humanitären Akt» in Erinnerung an solidarischeZeiten aufgenommen. Anfang der 70er Jahre waren tausende Pinochet-Flüchtlinge in die DDR gekommen.