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Aken Aken: Kann Hund alten Mordfall lösen?

Von THOMAS STEINBERG 06.04.2012, 16:59

Dessau-Rosslau/MZ. - Die Ermittler waren sich sicher: Nur Wolfgang R. konnte als Täter infrage kommen. Alle Umstände sprachen gegen ihn: das gespannte Verhältnis zu seiner Mutter, mit der er in einem Haus lebte, der Streit mit ihr am Abend vor der Tat, das wie zufällig in den Elbauen platzierte Fahrrad seiner Mutter, die zu gebrechlich gewesen war, solche unwegsamen Strecken noch zu radeln, sein merkwürdiges Verhalten am nächsten Tag. Nur eines fehlte: ein schlüssiger Beweis oder wenigstens ein starkes Indiz, den Mann aus Aken der Tötung seiner Mutter zu überführen. So orderten die Ermittler zwei Personenspürhunde: Zwei Wochen nach der Tat sollten sie R.s Wege verfolgen. Das gelang den Hunden auch. Davon ist jedenfalls die Dessauer Staatsanwaltschaft überzeugt.

In höchster Not reagieren Polizisten und Staatsanwälte so wie andere Menschen - sie greifen nach dem letzten Strohhalm. Nicht nur im gerade am Dessauer Landgericht verhandelten Fall, sondern in hunderten Ermittlungsverfahren der vergangenen Jahre verbanden die Behörden ihre Hoffnungen oftmals mit einem Namen: Andrea von Buddenbrock.

Die Ärztin aus dem nordrhein-westfälischen Ratingen sowie ihre ehemalige Schülerin und jetzige Kollegin Susan Miller verfügen nämlich über Hunde, denen schier unglaubliche Fähigkeiten nachgesagt werden: Sie sollen nach Wochen, Monaten und sogar Jahren die Spur eines Menschen verfolgen können, sei es die eines Täters oder einer vermissten Person. "Diese Hunde", lacht Gerold Günther hämisch, "können alles - außer fliegen." Nur - liefern sie auch brauchbare Indizien und Beweise, sind die Angaben der privaten Hundeführerinnen glaubhaft?

Zweifel an den Fähigkeiten

Gerold Günther, Fachbereichsleiter Diensthundewesen bei der Polizei Hessen, ist nicht der Einzige, den Zweifel plagen ob "der Fähigkeiten, die da verkauft werden". Er fürchtet, dass dadurch dem seriösem Mantrailing ernsthaft geschadet wird. Günther ist zugleich Chef des Arbeitskreises der Diensthunde haltenden Verwaltungen des Bundes und der Länder. Dieser Arbeitskreis hat sich festgelegt: Personenspürhunde, gern auch Mantrailer genannt, sind überaus nützlich wenn es um die Suche nach Tätern oder Vermissten geht - wenn ihr Einsatz innerhalb von zwei Tagen nach der Tat oder nach dem Verschwinden erfolgt.

In den USA hat Mantrailing eine lange, wenn es um die Verfolgung entlaufender Sklaven geht, auch unrühmliche Tradition. Gegenwärtig erkennen die Gerichte in 37 Bundesstaaten und die Bundesgerichte von Mantrailern verfolgte Spuren als Indiz an, sofern die Hunde und ihre Halter gewisse Bedingungen erfüllen, etwa regelmäßig an Tests teilnehmen, und die Spuren nicht zu alt sind. Colin Miller, Professor an einer Chicagoer Juristenhochschule und Spezialist für US-amerikanisches Beweisrecht, legt sich gegenüber der MZ fest: "48 Stunden ist die längste Zeitspanne, die ich ein Gericht habe akzeptieren sehen."

Von Buddenbrock aber will in Hameln eine sieben Jahre alte Spur verfolgt haben. Unmöglich, urteilt Tony M. Keith, pensionierter Polizist und Vorsitzender der Law Enforcement Bloodhound Association, einer der beiden großen US-amerikanischen Polizei-Mantrailer-Organisationen. Nicht anders äußern sich Ted Hamm, ein privater Hundeführer mit 2 300 Einsätzen, oder Jack Schuller, Urgestein der Szene mit 35 Jahren Erfahrung. Fünf von der MZ befragte US-Man-trailer-Führer halten den Einsatz im Bereich von 24 bis 48 für zuverlässig, darüber hinaus unter Umständen für möglich. Ted Hamm geht am weitesten von allen und will zwei Mal vier Wochen alte Trails gelaufen sein. Trotz solcher skeptischer Stimmen oder von Buddenbrocks Behauptung, "der Hund macht keine Fehler" - von Buddenbrock und ihrer Kollegin Susan Miller wird von einigen Ermittlern grenzenloses Vertrauen entgegen gebracht. Pro Jahr verzeichnen sie 100 und mehr Einsätze.

Sicher ist: Anders als Fährtenhunde, die über einen kurzen Zeitraum Bodenverletzungen riechen, aber nicht den Individualgeruch eines Menschen aufnehmen können, verstehen sich Personenspürhunde genau darauf. Nur: Was riechen die Hunde eigentlich? Von Buddenbrock, die auf dreimalige Anrufe der MZ und einen per Mail zugesandten Fragenkatalog nicht reagiert hat, äußerte sich dazu in einem geschlossenen Webforum: "Was wir uns vorstellen können, was möglich ist, ist vollkommen irrelevant und wissenschaftlich uninteressant."

Hans Hatt ist Professor an der Ruhr-Uni Bochum und auf Gerüche und Geruchssinne spezialisiert. Er widerspricht einer in der Mantrailer-Szene populären Theorie: Die Hunde nähmen den Geruch wahr, der bei der Zersetzung menschlicher Hautzellen entstehe. Hatt: "Hautschuppen bestehen aus Horn, und Horn verwest ganz schwer." Eine wissenschaftlich solide Arbeit zum Mantrailing habe er, schon als Gutachter zu Prozessen gerufen, nicht gefunden. So bleiben auch ihm bloße Mutmaßungen: Personensuchhunde nehmen die den Hautzellen anhaftenden Gerüche auf, Gerüche, die sich teils sehr schnell verflüchtigen, teils recht stabil sind.

Von Buddenbrocks Anhänger stören sich nicht daran, dass es Widersprüche gibt zwischen ihren Angaben und den Ergebnissen der Einsätze. Die Hunde, behauptet von Buddenbrock zum Beispiel, folgten immer den frischesten Spuren. Wie sich dann aber komplette Bewegungsprofile sowohl des Täters als des Opfers im Leipziger Mordfall Michelle - die Achtjährige wurde 2008 auf grausamste Weise umgebracht - erstellen lassen, erschließt sich ebenso wenig wie der Erkenntnisgewinn der Aussage, Michelle weise den für ein Mädchen ihres Alters typischen Aktionsradius auf. In der Verbandszeitschrift des Bundes deutscher Kriminalbeamter schildert von Buddenbrock ihren und Millers Einsatz in Leipzig, unterschlägt dabei einen falschen Alarm der Hunde im Keller eine Gymnasiums und erweckt den Anschein, als hätten die Mantrailer zu den Ermittlungen beigetragen. Der Verteidiger des Täters: "Wer das behauptet, schwindelt."

Bestätigten Ahnungen?

Kaum anders sieht es beim Fall der seit 2006 und bis heute vermissten Berlinerin Georgine Krüger aus. Von Buddenbrock verfolgte 30 Monate später den letzen bekannten von Georgine in einem Bus zurückgelegten Weg - der heute noch anhand alter Internet-Nachrichten, mit Google-Maps und dem Berliner Fahrplan in 30 Minuten zu rekonstruieren ist. Ein Polizist, der von Buddenbrocks Arbeit seit Jahren beobachtet: "Sie sagt den Polizisten, was die schon ahnen oder wissen." Wie viele Verfahren sich auf Aussagen der privaten und für ihre Arbeit bezahlten Hundehalterinnen stützen, ist ebenso wenig herauszufinden wie die Zahl der Verurteilungen oder von Richtern angeordneter U-Haft-Aufenthalte, in denen Wochen oder gar Monate und Jahre alte Geruchsspuren als Indiz gewertet wurden.

Nicht alle Gerichte halten Buddenbrock und Miller für überzeugend. Der Bundesgerichtshof bestätigte den Freispruch eines in Verden des Mordes angeklagten Mannes unter anderem, weil die Schweizer Gutachterin Marlene Zähner massive Zweifel am Einsatz der Hunde geltend machte. So seien entgegen der üblichen Praxis die Hundeführerin neben statt hinter den Tieren gelaufen und hätten die Tiere zwischendurch mit Leckerli belohnt. Beeinflussungen der Hunde, ob bewusst oder unbewusst, sind dadurch nicht ausgeschlossen. Welch feines Sensorium Hunde hinsichtlich Frauchen oder Herrchen beweisen, zeigte ein Experiment in de USA auf: Sprengstoff- und Drogenspürhunde schlugen besonders oft an einer markierten Stelle an, von der den Hundeführern zuvor fälschlicherweise erklärt wurde, da seien Drogen bzw. Sprengstoffe versteckt.

Auch in den Innenministerien und bei den Polizeien einzelner Bundesländer schlägt sich eine wachsende Skepsis in neuen Vorschriften nieder. Mecklenburg-Vorpommern etwa duldet keine privaten Hundeführer in Ermittlungsverfahren und begrenzt die Einsatzzeit von Mantrailern auf 48 Stunden. In Thüringen, wo die Polizei seit 2006 über eigene Personenspürhunde verfügt, hält man aber einen Einsatz auch nach 21 bis 28 Tagen für sinnvoll.

Osten und Westen

Ob der von Erfolg gekrönt ist, steht auf einem anderen Blatt. Als im Juli 2011 in Krefeld die 87-jährige Emmy B. aus einem Altersheim verschwand, wurde elf Tage später das Team Buddenbrock / Miller angefordert. Von gehörigem Presserummel begleitet, machten sie sich auf den Weg: Miller in nordwestliche Richtung, von Buddenbrock stracks in östliche. Zwei Tage später wurde die Leiche der Frau entdeckt - zweieinhalb Kilometer in westlicher Richtung vom Altersheim entfernt.

Dieser Einsatz dürfte für von Buddenbrock und Miller einer der letzten in ihrem angestammten Bundesland NRW gewesen sein: Am 4. Dezember 2011 schränkte das Düsseldorfer Innenministerium per Erlass den Einsatz privat gehaltenen Mantrailern stark ein und untersagte ihn grundsätzlich in Ermittlungsverfahren. In Sachsen-Anhalt existiert laut Innenministerium "kein gesondertes Regelwerk." Im Falle des Akener Angeklagten könnte sich das als schwerer Fehler erweisen.