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Ökodorf Ökodorf: Verzicht ist alles

Von MARKO JESCHOR 15.04.2012, 16:49

BEETZENDORF/MZ. - Die Alternative zum konventionellen Leben beginnt beim Essen: Es gibt heute Kuku, ein traditionelles iranisches Gericht. Es besteht aus Kartoffeln und Zwiebeln, etwas Buchweizen, damit es hält, und vielen Kräutern, damit es schmeckt. Das ganze schön angebraten von Hamed, einem Iraner, der den Mitgliedern der Gemeinschaft dazu Reis, Blumenkohl und Eisbergsalat serviert.

Kuku ist das Fleisch für die Veganer. Es sieht zumindest so aus. Richtiges, saftiges, helles Fleisch liegt hier auf keinem Teller. "Das wäre auch nicht energiebewusst", sagt Michael Würfel, ein hagerer Mann Mitte 30. Er ist einer der wenigen Bewohner des Ökodorfs Sieben Linden in der Altmark, die überhaupt Fleisch essen. Meist verzichtet aber auch der gebürtige Allgäuer darauf. Die Idee, die dahinter steckt, ist einfach: Man spart durch die fleischlose Ernährung die Energie, die für die Haltung der Kälber und die Fleisch-Produktion erforderlich wäre.

Doch auch die Zutaten werden bewusst ausgewählt. Fast alles, was Hamed für das Kuku benötigt, stammt aus dem zwei Hektar großen Garten. So wie die meisten Lebensmittel, die auf den Tisch kommen, und das Trinkwasser, das aus zwei Brunnen stammt. Wenn doch Produkte eingekauft werden müssen, kommen die aus der Region.

In Sieben Linden geht man einen Schritt weiter als in anderen Dörfern, die eigene Energie produzieren. In der Altmark wird nicht nur Strom und Wärme größtenteils selbst hergestellt, es wird vor allem darauf geachtet, dass nicht zu viel verbraucht wird. 400 Kilowattstunden pro Kopf und Monat sollen es hier sein. "Wir benötigen damit nur ein Drittel dessen, was der durchschnittliche Sachsen-Anhalter verbraucht", betont Würfel.

Sieben Linden ist so als einziges echtes Ökodorf in Deutschland bekannt. Die Menschen wohnen in Lehmhütten mit 30 Zentimeter dicken Strohwänden sowie einfachen Bauwagen. Sie sind Handwerker, Ärzte, Pädagogen oder wie Würfel Dolmetscher und kommen aus verschiedenen Regionen. Dennoch haben alle eines gemeinsam: "Wir wollen bewusster konsumieren und die Dinge hinterfragen", sagt Würfel. "Müssen wir Leben töten, um zu essen? Müssen wir Produkte aus dem Ausland kaufen?" Auf beides versuchen die Menschen zu verzichten, sonst aber "sind wir nicht anders als die meisten Menschen hier im Land", findet Würfel.

Hierarchische Strukturen gibt es nicht, alle Bewohner beteiligen sich an Entscheidungen. "Wir versuchen ständig neue Ideen zusammen zu verwirklichen", erklärt Würfel - eine ständige Herausforderung. Für Würfel bedeutet das in erster Linie: "Verzicht, ohne, dass es uns an etwas fehlt." Gleichwohl gibt es in Sieben Linden ein Kino, eine Sauna und einen Tanzsaal, auch Telefonkabel sind in vielen der Bauwagen und Lehmhäuser verlegt. Duschräume, Toiletten und das Dorfgemeinschaftshaus, in dem sich die meisten der 140 Bewohner mittags zum Essen treffen, werden von allen gemeinsam benutzt - wie in einer großen Wohngemeinschaft. Das spart einerseits Energie, außerdem findet Würfel, "fühle ich mich durch die Gemeinschaft viel reicher".

Ohne Innovation wäre dieses nachhaltige Leben nicht möglich. Auf den Dächern der Lehmhäuser liegen Warmwasserkollektoren. Große Solaranlagen produzieren vor allem im Sommer mit insgesamt 196 Kilowatt so viel Strom, dass ein Teil ins öffentliche Netz eingespeist wird. Alle Häuser und Bauwagen werden mit Brennholz aus dem eigenen 45 Hektar großen Wald beheizt. "Damit decken wir 80 Prozent unseres jährlichen Energiebedarfs aus regenerativer Energie oder heimischer Biomasse", erklärt Werner Dyck. Der Elektro-Ingenieur kam vor 15 Jahren aus Koblenz in die Altmark. Im Dorf hat der 56-Jährige das Energiekonzept gestaltet.

Dem Ziel der Nachhaltigkeit kommen die Bewohner schon sehr nahe, wie die Universität Kassel in Studien belegt hat. Allein durch die Ernährung sparen sie die Hälfte der Treibhausgas-Immissionen ein, die ein Deutscher im Schnitt pro Jahr erzeugt: 7 000 Kilogramm. Vorbildlich sind auch die Wohnungen. Dank der Bauweise und der Öfen fällt nur ein Bruchteil des Kohlendioxids an, das ein Deutscher verbraucht. Im Dorf überlegt man, sich am Wettbewerb "Bioenergie-Dörfer 2012" zu beteiligen (siehe "Auszeichnung für..."). Gesucht werden dort Orte, die mindestens 50 Prozent ihres Strom- und Wärmebedarfs aus regional erzeugter Biomasse decken und somit zum Vorbild für andere Orte im ländlichen Raum werden.

Doch schon jetzt ist das Interesse enorm. Jährlich, schätzt Würfel, kommen 2 000 Besucher. "Die meisten wollen wirklich wissen, wie wir hier leben." Viele würden auch einige Wochen bleiben, um am täglichen Leben teilzunehmen. Wer dauerhaft bleiben will, muss mindestens 12 300 Euro in die Genossenschaft einzahlen. Lebensunterhalt kostet noch einmal 500 Euro pro Monat. Das Geld müssen sich die Bewohner größtenteils selbst erwirtschaften, nur die wenigsten arbeiten in einer der beiden Genossenschaften.

Einen Wermutstropfen in der Umweltbilanz gibt es aber auch in Sieben Linden: die Autos. Weil viele Bewohner in der Region in ihren angestammten Berufen arbeiten, sind sie doch ein bisschen auf Sprit angewiesen und leiden so auch unter den aktuell hohen Preisen an der Zapfsäule. 15 Autos gibt es im Ort - für alle Bewohner. Und Biosprit wird auch nicht getankt. Der ist schließlich noch schädlicher als der fossile Brennstoff.