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Tragödie in Halle Tragödie in Halle: 55-jährige Frau in ihrer Wohnung verhungert

Von Felix Knothe 10.09.2012, 20:27

Halle (Saale)/MZ. - Drei Tage lang war sie nicht mehr gesehen worden, ehe Nachbarn die Polizei alarmierten. Als die Beamten am Sonnabend in die Wohnung eindrangen, fanden sie die tote Frau, stark abgemagert. Sie ist nach Ermittlungen der Polizei vermutlich verhungert. Zwei Tage nach dem Fund war am Montag die Betroffenheit groß im Wohngebiet Elsteraue. Denn in dem Viertel, das am südlichsten Zipfel von Halles Stadtteil Silberhöhe liegt, kennt beinahe jeder jeden. So war auch die 55-Jährige bekannt und wurde von vielen gemocht.

"Sie war eine unscheinbare Person, ist jeden Tag hier lang gejoggt, war freundlich und hilfsbereit", schildert eine Anwohnerin, die einige hundert Meter entfernt wohnt. Dass die 55-Jährige dennoch große Probleme hatte, wird schnell deutlich. Nachbarn berichten von Ärger mit dem Jobcenter, die Wohnungsgenossenschaft spricht von drei Monaten Mietrückstand. Auch muss sie in den vergangenen Wochen ihre Nachbarn mehrfach um Geld gebeten haben, weil das Einkommen fehlte. Und möglicherweise kamen zuletzt psychische Probleme hinzu.

Am Dienstag noch Hilfe angeboten

"Dieser Eindruck hat sich uns einfach aufgedrängt", sagt Michael Neumann, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft "Freiheit". "Das ist traurig - eine furchtbare Konstellation", sagt Neumann. Am Dienstag voriger Woche habe man zuletzt mit der Frau gesprochen, doch sie habe die ihr angebotene Hilfe, etwa sie zu Behördengängen zu begleiten, abgelehnt. Nachbarn hatten sich beim Vermieter gemeldet und auf die schlechte Verfassung der Frau hingewiesen. Und die Wohnungsgenossenschaft "Freiheit" hat nach eigenen Angaben reagiert. "Wir haben den sozialen Dienst der Stadt sofort informiert und am Freitag noch ein Schreiben an den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt abgeschickt", erklärt Neumann.

Da war die Frau womöglich schon tot. Noch am Donnerstag hatte die Stadt Mitarbeiter des Sozialamts vorbeigeschickt, die unverrichteter Dinge wieder gingen, da ihnen die Tür nicht geöffnet wurde. "In solchen Fällen gibt der Briefkasten oft Aufschluss. Doch der war leer. Es gab also kein äußeres Anzeichen, dass es ein akutes Problem gibt", sagt Stadtsprecher Steffen Drenkelfuß. Nachbarn schildern, dass sich seit Donnerstag nichts mehr in der Wohnung regte, der Briefkasten seitdem ungeleert blieb. Über das Fenster verschafften sich Polizei und Feuerwehr am Sonnabendmorgen Zugang zur Wohnung im zweiten Stock des sechsgeschossigen Wohnhauses und fanden die Frau. Der Notarzt konnte nur noch ihren Tod feststellen - Ursache unklar, wie in solchen Fällen zumeist im Totenschein vermerkt wird. Staatsanwalt Klaus Wiechmann sieht trotz der tragischen Umstände derzeit keinen Anlass, eine Autopsie anzuordnen, denn Fremdverschulden oder eine Straftat seien nicht erkennbar.

Letzte Klarheit über die Todesursache wird es also vermutlich nicht geben. Die Polizei sprach gegenüber der MZ von dem Verdacht, dass die 55-Jährige verhungert ist. Ihre Nachbarn gehen auch davon aus. Der Zustand der zierlichen Frau, die sportlich gewesen sein soll, habe sich seit Wochen verschlechtert. Ihr angebotenes Essen habe sie abgelehnt und statt dessen Geld erbeten. "Sie war Vegetarierin und hat nur Bio-Lebensmittel gekauft. Bis zuletzt ist sie nicht davon abgewichen", schildert eine Nachbarin. Die Bestürzung im Haus sei groß. "Es ist traurig, dass hier so etwas passieren kann", sagt die Nachbarin, die fast 30 Jahre mit der Frau in einem Haus gewohnt hat. Auch zu ihrer Familie wollte die 55-Jährige offenbar seit Jahren keinen Kontakt mehr, wie auch die Staatsanwaltschaft bestätigt.

Seit Januar nicht beim Jobcenter

Warum die Frau keine Hilfe annahm ist unklar. Das Jobcenter Halle erklärte, sie sei zuletzt am 31. Januar zu einer Informationsveranstaltung gekommen. Danach habe sie die Zusammenarbeit eingestellt. Die Leistungen seien dann ausgelaufen. "Die Konsequenz war, dass sie dann nicht mehr bei uns Kundin war", sagt Sprecher Michael Rücker.