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Halle Halle: Treuhandskandal wurde vor 20 Jahren aufgedeckt

Von Steffen Könau 28.02.2013, 08:00
Metaller demonstrierten Anfang der 90er Jahre immer wieder vor dem Gebäude der Treuhand-Niederlassung in Halle-Neustadt.
Metaller demonstrierten Anfang der 90er Jahre immer wieder vor dem Gebäude der Treuhand-Niederlassung in Halle-Neustadt. Lutz Winkler Lizenz

Halle/MZ - Der kräftige Mann mit der „Liebling-Kreuzberg“-Figur weiß genau, was passieren wird. Er rechnet damit und, das gibt er heute zu, „ich habe darauf gehofft, dass mich einer anzeigt“.

Günter Lorenz, vor 20 Jahren Chef der IG Metall in Halle, kalkuliert in diesen heißen Februartagen des Jahres 1993 kühl, als aus den ehemals volkseigenen Betrieben, die inzwischen von der Treuhandanstalt verwaltet werden, ein Strom von unglaublichen Nachrichten kommt. Verschobene Millionen, geschmierte Direktoren, entlassene Betriebsräte, ausgehöhlte Unternehmensmäntel, der dreiste Griff in die Firmenkasse...

Kein Tag vergeht ohne Hiobsbotschaft, unter dem Strich stehen immer 100, 200 oder 500 Entlassungen. Lorenz, aus Ulm nach Mitteldeutschland gekommen, hat eine Rückfahrkarte. Aber einmal im Osten, stellt er sich mit breiter Brust mitten ins Geschützfeuer.

Es ist eine Szene wie aus einem Western, die sich im halleschen Hauptquartier der IG Metall abspielt. Günter Lorenz hat die Presse zusammengetrommelt und nun redet der wuchtige Mann Klartext. Namen werden genannt, Millionenbeträge aufgelistet.

Halle war Schauplatz des bislang größten Treuhandskandals

Das provokante Wort „Mafia“ fällt und im selben Satz der Begriff „Industrieklub“. Das ist ein exklusiver Zirkel, in dem sich Investoren aus dem Westen wie der Göppinger Unternehmer Wolfgang Greiner, Treuhandmanager wie Winfried Glock und frischgewendete VEB-Direktoren treffen. Genau hier glauben Lorenz und sein IG-Metall-Kollege Günter Meißner die informelle Schaltzentrale einer mafiaähnlichen Gruppe ausgemacht zu haben, die angetreten ist, sich bei der Privatisierung des DDR-Volksvermögens gesundzustoßen.

Lorenz’ Plan geht auf. „Greiner war wirklich so dumm, mich anzuzeigen“, sagt er heute. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, ein Prozess startet - und die bis dahin im Hintergrund agierenden Strippenzieher geraten plötzlich ins grelle Scheinwerferlicht. Binnen Wochen bricht ihr Kartenhaus aus Bestechung und Vetternwirtschaft zusammen.

Halle, vor der Wende eine Industrieregion, die 16 Prozent zur Wirtschaftsleistung der DDR beisteuerte, war plötzlich Schauplatz des bislang größten Treuhandskandals. Eine Gruppe von Männern, mehr oder weniger gut miteinander bekannt, hatte sich freigiebig bedient am Buffet mit den Filetstücken der Ost-Industrie. „Auf dem Parkplatz wurden Briefumschläge mit Millionen in den Sportwagen des Privatisierungsdirektors rübergereicht“, erinnert sich Günter Meißner, „dafür durfte Herr Greiner dann in 14 Tagen vier Firmen übernehmen.“

Hauptsache, die Unternehmen sind weg, nach diesem Motto privatisiert die im März 1990 noch unter der Modrow-Regierung gegründete Staatsholding lieber schnell als nachhaltig. Der Fall Greiner ist nur einer von vielen: Nie hat der Unternehmer vorgehabt, die versprochenen 50 Millionen Euro in die gekauften Firmen zu investieren. Es geht ihm vielmehr darum, aus seinen Neuerwerbungen Geld zu ziehen, das er benötigt, um sein Stammwerk in den alten Ländern am Leben zu halten.

Das gelingt nach der Warnung durch die Gewerkschafter, die von Kollegen aus den Firmen alarmiert worden waren, nur noch wenige Monate. Anfang Juni meldet Greiner Konkurs an. Nur der erste, der auffliegt und einen Millionenschaden hinterlässt. Es folgen allein in Halle rund 70 weitere Betrugsfälle, Prozesse und Verurteilungen.

Rund 70 weitere Betrugsfälle, Prozesse und Verurteilungen

Vorbei und vergangen, für die Beteiligten aber immer noch Gegenwart. Immer noch wird Männern wie Lorenz, Meißner oder dem MKM-Betriebsrat Hubertus Luthard der Hals eng, wenn sie zurückschauen auf die Tage, als das Mansfeld-Kombinat binnen Wochen mehr als 22 000 Menschen entließ und Pläne vorsahen, von den übrigen 20 000 nur 570 zu halten. Gregor Müller, Betriebsratschef des Rothenburger Drahtseilwerkes, bebt die Stimme, wenn er daran denkt, wie es sich anfühlte, von der Treuhand die Note 5 zu bekommen. „Das hieß nicht sanierungsfähig und war für uns das Signal, etwas zu unternehmen.“

Mit Bussen sind die Rothenburger zur Treuhand nach Berlin gefahren und haben auf dem Alexanderplatz demonstriert. „Wir haben verlangt, dass wir verkauft werden“, beschreibt Müller. Mit Erfolg: Ein Unternehmer aus Hamm kam, investierte und rettete 330 Arbeitsplätze. „Bei uns ist es also gut gelaufen“, sagt Müller. Besser jedenfalls als bei der traditionsreichen halleschen Maschinenfabrik, deren Schicksal Lorenz bis heute schmerzt. „Der Betrieb war weltweit führend, da wurden Spitzenprodukte hergestellt“, ist er überzeugt. Dennoch blieben nach zahllosen Sanierungsrunden gerade noch 56 von einst 2 500 Beschäftigten. „Auf dem Betriebsgrundstück steht heute ein Supermarkt.“

Für den ehemaligen Gewerkschafter trotz seines Sieges über die betrügerischen Investoren bis heute eine Niederlage. Nur zehn Prozent der Industriearbeitsplätze im früheren Bezirk Halle hätten die Privatisierung überstanden, rechnet Günter Lorenz vor. „Es ist uns zu wenig gelungen“, glaubt er - und das habe nicht an den schlimmsten Abzockern gelegen, sondern an den Weichenstellungen durch die Politik. „Nach dem Währungsschock waren die Betriebe nicht mehr konkurrenzfähig“, sagt Günter Lorenz, der heute überzeugt ist, dass mehr Zeit mehr Arbeitsplätze hätte retten können. Sein Rückfahrticket nach Ulm hat der 62-Jährige nie benutzt, seinen Ruhestand verbringt er inzwischen meist in Griechenland. Auch dort sei gerade viel von Privatisierung die Rede, sagt Lorenz. „Und mir kommt das Drehbuch sehr bekannt vor.“