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Straßenname in Halle Straßenname in Halle: Abderhalden bleibt - vorerst

Von Jan-Ole Prasse 04.12.2013, 19:39
Emil Abderhalden
Emil Abderhalden Leopoldina Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Die Emil-Abderhalden-Straße wird ihren Namen mindestens bis Mitte des kommenden Jahres behalten. Der Kulturausschuss der Stadt Halle vertagte in seiner Sitzung am Mittwochabend eine Entscheidung. Zunächst sollen die Ergebnisse der Studie zur Rolle der Leopoldina in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgewartet werden, die im Sommer 2014 erscheinen soll. Die Stadträte hoffen auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Rolle des ehemaligen Präsidenten der Leopoldina Emil Abderhalden in der Zeit des Nationalsozialismus.

Dass diese Hoffnung erfüllt wird, ist aber eher unwahrscheinlich. „Es wird da sehr wenige Überraschungen geben“, sagte die Generalsekretärin der Leopoldina, Jutta Schnitzer-Ungefug. Die Studie sei eher eine Biografie einer Institution als einer Person. Sie hatte zuvor deutlich gemacht, dass die Nationale Akademie der Wissenschaften gegen eine Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße votiert. „Wir schließen aus den Erkenntnissen, dass Abderhalden weder ein überzeugter Nationalsozialist noch ein Rassist noch ein wissenschaftlicher Betrüger war“, sagte Schnitzer-Ungefug. Er habe sich zwar der eugenischen Forschung verschrieben, allerdings nicht in einem nationalsozialistischen Sinne. Stattdessen sei Abderhalden damit Teil einer zeittypischen Debatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen.

Der gebürtige Schweizer Emil Abderhalden (1877-1950) war Physiologe, Mediziner und Biochemiker. Er lehrte ab 1911 an der Universität Halle und trat 1919 der liberalen DDP bei. Mitglied der NSDAP war er nicht, gehörte aber dem NS-Lehrerbund an.

Von 1932 bis 1950 war Abderhalden Präsident der Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der heutigen Nationalen Akademie der Wissenschaften, die letzten fünf Jahre allerdings nur noch formal an der Spitze. Abderhaldens Rolle im Nationalsozialismus ist ambivalent. Auf der einen Seite wird ihm vorgeworfen, dass er die nationalsozialistische Rassengesetze, Zwangssterilisation und die Euthanasie befürwortete. Auf der anderen Seite schlug er während seiner Amtszeit auch jüdische Forscher als Neumitglieder vor, darunter auch Albert Einstein.

Allerdings soll er sich 1938 widerstandlos dem Beschluss gefügt haben, jüdische Mitglieder aus der Akademie zu entfernen. Abderhalden ließ die Streichungen auf den Personalblättern aber mit Bleistift durchführen und nicht mit der für Urkunden üblichen Tinte. 1945 setzte Abderhalden sich in die Schweiz ab, wo er 1950 starb. Trotz seiner schon damals bekannten Rolle im Nationalsozialismus wurde 1946 eine Straße in Halle nach ihm benannt.

Auch sein Ruf als Forscher ist umstritten. Die von ihm angeblich entdeckten „Abwehrfermente“ (eine Art Antikörper bei Reaktionen mit Eiweißen) konnten nicht nachgewiesen werden - was mit Rücksicht auf seinen Ruf unter den Tisch gekehrt wurde.

Udo Sträter, Rektor der Martin-Luther-Universität (MLU), aus deren Reihen 50 Wissenschaftler eine Umbenennung der Straße gefordert hatten (siehe „Welche Rolle spielt Emil-Abderhalden?“), machte dagegen einen ungewöhnlichen Vorschlag. Er plädierte für eine Teilung der Straße - mit zwei unterschiedlichen Namen. „Das wäre eine salomonische Lösung.“ Er könne die Position seiner Professoren nachvollziehen, dass die Emil-Abderhalden-Straße als Postanschrift für das neue Geisteswissenschaftliche Zentrum ab Mitte 2014 problematisch sei. Schließlich ist Abderhalden nach Ansicht von Sträter eine international umstrittene Persönlichkeit. Sollte diese Anschrift bleiben, müssten sich die Geisteswissenschaftler der MLU künftig permanent für diesen Namen rechtfertigen. „Das hätte eine schwierige Signalwirkung nach außen“, sagte der Rektor. Seinem Vorschlag wollten aber nur die Stadträte von SPD, Grünen und Mitbürgern folgen.

Nach der Vertagung des Themas wird der Stadtrat eine Entscheidung für oder wider Emil-Abderhalden-Straße jedoch frühestens im Herbst kommenden Jahres treffen. Zunächst wird nach der Veröffentlichung der Studie erneut der Kulturausschuss beraten.