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Straßenumbenennung in Halle Straßenumbenennung in Halle: Fehlen für Abderhalden Alternativen?

Von Detlef färber 28.10.2013, 20:55
Der Stadtrat soll nun entscheiden, ob hier bald ein neues Straßenschild hängt.
Der Stadtrat soll nun entscheiden, ob hier bald ein neues Straßenschild hängt. THomas Meinicke Lizenz

Halle/MZ - Der erste Teil der Entscheidung scheint auf gutem Wege zu sein. Demnächst will Halles Kulturausschuss votieren und dem Stadtrat empfehlen, ob die Emil-Abderhalden-Straße umbenannt werden sollte oder nicht. Nachdem es schon vor drei Jahren einen Vorstoß der Grünen im Stadtrat gegeben hatte, den einstigen Präsidenten der hiesigen Naturforscher-Akademie „Leopoldina“ vom Straßenschild zu verbannen, zeichnen sich nun gute Chancen für eine dahingehende Entscheidung ab. Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) befürwortet sie, und auch unter Uni-Professoren, deren Fakultät in die noch nach Abderhalden heißende Straße umzieht, gibt es eine Empfehlung für die Umbenennung - wegen dunkler Punkte in der Vita des Wissenschaftlers zur Nazi-Zeit.

Die Schwierigkeit an der Sache ist im Moment aber die, dass offenbar Alternativen fehlen zum bisherigen Namenspatron für diese lange Innenstadtstraße mit einer Filiale der Leopoldina und dem neuen Geisteswissenschaftlichen Zentrum der Uni. Außer einigen inoffiziellen Vorschlägen wie Heinrich Hoffmann (Psychiater und „Struwwelpeter“-Autor), Chemie-Nobelpreisträger und Halle-Wohltäter Karl Ziegler oder Herzog August, der ein Wegbereiter für Halles Uni-Gründung war, gibt es bisher keine Vorschläge.

Der gebürtige Schweizer Emil Abderhalden (1877-1950) war Physiologe, Mediziner und Biochemiker. Er lehrte ab 1911 an der Universität Halle und trat 1919 der liberalen DDP bei. Mitglied der NSDAP war er nicht, gehörte aber dem NS-Lehrerbund an.

Von 1932 bis 1950 war Abderhalden Präsident der Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der heutigen Nationalen Akademie der Wissenschaften, die letzten fünf Jahre allerdings nur noch formal an der Spitze. Abderhaldens Rolle im Nationalsozialismus ist ambivalent. Auf der einen Seite wird ihm vorgeworfen, dass er die nationalsozialistische Rassengesetze, Zwangssterilisation und die Euthanasie befürwortete. Auf der anderen Seite schlug er während seiner Amtszeit auch jüdische Forscher als Neumitglieder vor, darunter auch Albert Einstein.

Allerdings soll er sich 1938 widerstandlos dem Beschluss gefügt haben, jüdische Mitglieder aus der Akademie zu entfernen. Abderhalden ließ die Streichungen auf den Personalblättern aber mit Bleistift durchführen und nicht mit der für Urkunden üblichen Tinte. 1945 setzte Abderhalden sich in die Schweiz ab, wo er 1950 starb. Trotz seiner schon damals bekannten Rolle im Nationalsozialismus wurde 1946 eine Straße in Halle nach ihm benannt.

Auch sein Ruf als Forscher ist umstritten. Die von ihm angeblich entdeckten „Abwehrfermente“ (eine Art Antikörper bei Reaktionen mit Eiweißen) konnten nicht nachgewiesen werden - was mit Rücksicht auf seinen Ruf unter den Tisch gekehrt wurde.

Die Leopoldina wird sich an dieser Diskussion vermutlich nicht beteiligen, denn, so Sprecherin Caroline Wichmann, man wolle erst ein vor drei Jahren in Auftrag gegebenes Gutachten zur Vergangenheit der Akademie abwarten. Es soll im Frühjahr erscheinen, allerdings kein Votum zur Straßennamensfrage enthalten. Auch aus der Gruppe jener Professoren, die die neuerliche Debatte über Abderhalden und die Straßenumbenennung eröffnet haben, gibt es keinen Vorschlag - noch nicht. Vielleicht Ende der Woche, sagt Mitinitiator und Politologie-Professor Johannes Varwick. Vorher wolle man „noch keinen Namen verbrennen“. Und von Uni-Sprecherin Manuela Bank-Zillmann heißt es: „Die Universität bringt sich gern offiziell mit Vorschlägen ein“, die aber würden dann erst „in einem breiten Meinungsbildungsprozess erarbeitet werden“.