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"Charlie-Hebdo"-Trauermarsch mit Regierungschefs "Charlie-Hebdo"-Trauermarsch mit Regierungschefs: Medien im Staatstheater

Von Steffen Könau 13.01.2015, 13:04

Halle (Saale) - Es waren historische Bilder, die da aus Paris kamen.   François Hollande schritt voran,  Angela Merkel untergehakt, rechts umfasste er den malischen Präsidenten Keïta. Neben ihnen  Staatschefs aus Großbritannien, Spanien und 40 anderen Ländern.  „Hinter ihnen folgen mehr als anderthalb Millionen Menschen“, hieß es etwa in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ zum Solidaritätsmarsch für die Terroropfer, der Paris am Sonntag zur „Hauptstadt der Welt“ machte. Auch die MZ hatte berichtet, dass Angela Merkel an der Spitze des Zuges gegangen sei.

Schöne Bilder, so einprägsam. Und nicht einmal falsch. Allerdings genausowenig richtig: Angela Merkel, Hollande und die übrigen Staatsmänner und -frauen marschierten nämlich keineswegs dort, wo die Menschen waren. Sondern mehr als einen Kilometer entfernt in einer abgesperrten Nebenstraße. Ihr Marsch war ganze 200 Meter lang und der Auftritt dauerte gerade so lange, dass ausreichend Fotos gemacht werden konnten.

Fotos, die am Tag danach die Titelseiten dominierten. Und  24 Stunden später zum Medienskandal wurden: Ein Twitterer aus Spanien hatte in einem Internet-Video eine Stelle gefunden, die die Szene von oben zeigt: Eine leere Straße, in der Mitte ein Pulk aus Politikern und Personenschützern. Keine Spur von Millionen Franzosen.

„Alle für die Menschen, aber ohne die Menschen“, schrieb Daniel Glez aus Sevilla dazu. Der Schriftsteller Horst Eckert griff das Motiv auf, dessen in Frankreich lebender Kollege Rainer Kahni schloss sich an - wenig später machte eine Kombination des Fotos mit einem der offiziellen Bilder  in den Sozialen Netzwerken die Runde. Überschrift nun: Schein und Sein. Unten drunter meist: Hämische Kommentare, in denen Politik und Medien der Lüge, der gemeinsamen Inszenierung einer Scheinrealität bezichtigt werden.  Wenn die Politiker gar nicht wirklich bei der Demo gewesen seien, heißt es da,  wer wisse denn, ob die anderen 1,5 Millionen Menschen da waren? Oder ob es überhaupt eine Demo gab?

So gut gemeint die Aktion der Spitzenpolitiker in Paris war, die  ein starkes, symbolisches Bild in die Welt schicken wollten, und so verständlich es ist, dass Sicherheitsbedenken gerade in diesen Tagen es nicht zulassen, dass sich die Führer der Welt einfach so unter das Volk mischen, so schwer ist der Schaden, den die seit Monaten unter Beschuss stehenden Medien durch die Vorgänge nehmen. Der Vorwurf der manipulativen  Berichterstattung,  aufgekommen mit der Ukraine-Krise, führte zur absurden Vorstellung der Pegida-Demonstranten, sie müssten gegen eine ferngesteuerte „Lügenpresse“ kämpfen. Und pünktlich an dem Tag, an dem  der Titel „Unwort des Jahres“ an den Begriff „Lügenpresse“ geht, läuft aus dem Staatstheater von Paris neues Wasser auf die Mühlen der Kritiker. „Sprachlos“ sei sie, schreibt eine Facebook-Nutzerin „ein Zeichen, wie weit man denen trauen kann“.

Denen und die, ein zeitgemäßes Feindbild. Dabei haben Zeitungen sich  in der Berichterstattung aus Paris - wie stets, wenn sie nicht selbst vor Ort sein können - auf die Nachrichtenagenturen verlassen. Die aber lieferten nur Frontalaufnahmen der Staatsmann-Demo. „Wir hatten festgelegte Positionen und die waren ebenerdig“, erklärt  dpa-Bildchef Peer Grimm.    Bilder von oben, die die ganze  Szenerie gezeigt hätten, seien  nicht möglich gewesen. Redaktionsmanager Uli Lepartz von der Agentur AFP räumt ein, dass die gelieferten Bilder missverstanden werden konnten. „Das tut uns leid, lag aber nicht in unserer Absicht.“

Dass Sicherheitsbedenken eine Rolle spielten, dass nirgendwo wirklich explizit behauptet wurde, die Politiker seien inmitten der Menge marschiert und dass es letztlich Journalisten waren, die nach dem ersten Impuls bei Twitter begannen, die Abläufe zu rekonstruieren und die Inszenierung aufzudecken, hilft nun auch nicht mehr. Wer nicht lügt, der sagt noch lange nicht  die Wahrheit. Und wer die Wahrheit sagt, sagt sie manchmal einfach zu spät. (mz)