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Halles OB Bernd Wiegand Halles OB Bernd Wiegand: Stadt-Führung als Ich-AG

Von Felix Knothe und Jan-ole Prasse 30.09.2013, 19:07
Bernd Wiegand (parteilos), Oberbürgermeister von Halle (Saale)
Bernd Wiegand (parteilos), Oberbürgermeister von Halle (Saale) Winkler/archiv Lizenz

Halle/MZ - Langsam wächst Gras über die Sache. Zumindest im wörtlichen Sinne. An der Deichbaustelle am Gimritzer Damm in Halle steht zwischen den Baumstümpfen schon wieder das Unkraut. Doch genau diese Situation ist es, die Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) bis heute auf die Palme bringt. „Die Planungen zum Bau eines neuen Deiches sind heute auf dem gleichen Stand wie nach dem Hochwasser im Jahr 2011, und deshalb werfe ich dem Land Untätigkeit vor“, sagt er. Der Damm, der dem Hochwasser im Juni nur noch mit Ach und Krach standgehalten hatte, ist nach der Flut Streitthema Nummer eins in Halle. Inzwischen ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft wegen Untreue gegen Bernd Wiegand.

Denn als das Wasser weg war, hatte der Oberbürgermeister am 15. Juli die Bagger herbeibeordert und massenhaft Bäume fällen lassen, um endlich einen neuen Damm zu bauen - mit Verweis auf Gefahr im Verzug. Im Schnellverfahren, ohne Planfeststellung, ohne Gremienbeschluss. Der Stadtrat war gerade in die Sommerpause gegangen. Eine Woche später stoppte das Landesverwaltungsamt die Arbeiten, seitdem läuft der Rechtsstreit mit dem Land.

Stadtrat pfeift OB zurück

Das Land sagt, Wiegand hätte nicht bauen dürfen. Wiegand sagt, das Land hätte längst bauen müssen. Er hat das Landesverwaltungsamt seinerseits auf Tätigwerden verklagt - bisher ergebnislos. „Wir können die Bürger von Halle-Neustadt nicht schutzlos lassen. Deshalb werde ich nicht aufhören, den sofortigen Bau eines neuen Dammes zu fordern, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln“, sagt er. Erst letzte Woche pfiff nun der Stadtrat, obwohl der den Deich auch will, den OB wegen des Alleingangs zurück, missbilligte förmlich sein Verhalten. Dennoch geht Wiegand weiter diesen Weg.

Unnachgiebig und entschlossen, diese Eigenschaften haben ihn schon in dieses Amt gebracht, damit hat er im Wahlkampf polarisiert. Jetzt schlägt er bei Auseinandersetzungen schnell den juristischen Weg ein. Es gibt glühende Bewunderer dieses Politikstils - und eingefleischte Gegner. Die Bruchlinie verläuft genau da, wo seit Jahren auch die Entfremdung zwischen großen Teilen der Bürgerschaft und dem politischem System verläuft, nicht nur in Halle. Die einen sehen in Bernd Wiegand den Macher. Da ist einer, der frischen Wind in die Stadt bringt, Dinge anschiebt, die seit Jahren stecken geblieben sind im Gerangel zwischen den Parteien, zwischen Gremien und Instanzen. Einer, der handelt anstatt nur zu labern, der unkonventionelle Wege geht. „Beratungen dauern bei mir meist nicht länger als eine Stunde. Mit vollständigen Fakten und sachlichen Argumenten kann ich in dieser Zeit mehr erreichen als in einer Endlos-Sitzung“, sagt er.

Zum Populisten aber, als den ihn viele andere sehen, taugt Wiegand auf den ersten Blick gar nicht. Asketischer Körper, eine leise, weiche Stimme, ein Gesicht, das selten Emotionen zeigt. Er ist auch kein Meister des großen Wortes, Reden vor Publikum sind nicht seine Stärke. Wiegand will Ergebnisse sprechen lassen, schnelle Ergebnisse.

Der Deich ist da nicht das einzige Beispiel. So hat er binnen weniger Wochen mit wenigen Vertrauten eine Zwischenlösung für die flutgeschädigte Eissporthalle aus der Taufe gehoben. Eishockey gespielt wird jetzt in einem Zelt, später in einer provisorischen Halle. Den Haushalt 2013 ließ er in Rekordzeit verabschieden, den Entwurf für 2014 legte er so früh vor, wie seit Jahren nicht. Beides zählt er zu seinen größten Erfolgen. In den Jahren davor zitterte sich Halle häufig durch die vorläufige Haushaltsführung. Und das lähmte die Stadt. immer wieder

Wesentlich für diese Erfolge ist - auch das typisch Wiegand - ein Berater: Jens Rauschenbach. Wiegand machte ihn zu einer Art Finanzpapst in der Stadt. Seitdem gibt es kaum eine größere Entscheidung, in die Rauschenbach nicht eingebunden ist. „Jens Rauschenbach und ich wollen praktikable Lösungen umsetzen, die jahrelang verzögert wurden“, sagt Wiegand.

Lösungen, Sachentscheidungen, Expertenwissen - das sind Lieblingsbegriffe von Bernd Wiegand. Doch hinter seiner Politik steht auch ein ausgeprägtes Machtbewusstsein. Der Stadtrat bekommt das zu spüren. SPD, CDU und FDP haben sich inzwischen zusammengeschlossen. Aber nicht nur sie fühlen sich von Wiegand bei vielen Entscheidungen übergangen. Sie werfen ihm vor, die Beteiligungsrechte des Stadtrates systematisch zu missachten. Wiegand sieht das anders. Seine Begründung für die Polarisierung: „Die Geschwindigkeit, mit der wir Probleme lösen wollen, ist für einige ungewohnt.“

Das führt zu ständigen Reibungen in der Stadtpolitik: Hier der OB, von den Bürgern gewählt, dort der Rat, der sich ebenfalls als Volksvertretung versteht, und als Kontrollorgan für den OB. Wiegand sagt dazu: „Alle Oberbürgermeister, allen voran Richard Robert Rive, hatten harte Auseinandersetzungen mit dem Stadtrat. Das ist normal, denn Stadtrat und Oberbürgermeister bilden gemeinsam die Verwaltungsorgane der Stadt Halle.“ Rive, der die Stadt von 1906 bis 1933 führte und als ihr Modernisierer gilt, ist Wiegands Vorbild, das größte Vorbild, das ein OB in Halle haben kann.

„Wiegand führt die Stadt wie eine Ich-AG“, hält der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion Johannes Krause entgegen. Der Linksfraktionschef Bodo Meerheim vermisst eine klare Linie: „Durch ihn ist alles irgendwie in Bewegung gekommen. Doch die Richtung, wohin es sich bewegt, die sehe ich nicht.“ Wiegand sei ein reiner Technokrat ohne politische Inhalte, sagt ein anderer Stadtrat.

Kampf gegen Versetzung

Natürlich hat Wiegands Eifer auch Verlierer hinterlassen. Geschasste Amtsleiter wehrten sich gegen ihre Versetzung, die Fraktionen bemühten sich, im Stadtrat Auskunft zu erhalten, meist vergeblich. Wiegand saß die Konflikte einfach aus. Im April dann schrieben die „alten Kräfte“, wie Wiegand sie nennt - also CDU, SPD und FDP - einen Brief an die Kommunalaufsicht, der Untersuchungen ins Laufen brachte, die den OB in Bedrängnis bringen könnten. Denn Wiegand hat sich angreifbar gemacht.

Team als Politikum

Dass er ein in vielen Augen übergroßes Team neu in den öffentlichen Dienst holte - darunter neben seiner engen Vertrauten, die seinen Wahlkampf managte, auch sein früherer Gegenkandidat von den Grünen, dessen Stimmen ihm im zweiten Wahlgang zum Sieg verhalfen - ist zum Politikum geworden.

Denn Wiegand soll ihnen mehr zahlen, als nach Tarifrecht statthaft ist. Er selbst bestreitet nicht die hohe Eingruppierung, sagt aber, es habe alles seine Richtigkeit. Gutes Personal, dem er vertrauen könne, verdiene diese Bezahlung. Dennoch ermittelt die Staatsanwaltschaft auch hier wegen Untreue, das zweite Verfahren neben dem Deichbau. Wiegand hat zu diesen Vorwürfen eine sich wiederholende Verteidigungslinie: „Die Verfahren haben einen politisch motivierten Hintergrund. Damit muss ich mich seit Jahren auseinandersetzen.“ Doch der Druck steigt. Vor zwei Wochen rückte die Staatsanwaltschaft mit Durchsuchungsbeschluss bei ihm an und holte die Personalakten ab.

Gut möglich, dass es diesmal sehr eng wird für Bernd Wiegand. Gut möglich aber auch, dass er auch aus dieser Nummer unberührt und sogar gestärkt herauskommt. Neuerdings kokettiert er damit, dass seine Unterstützer zur Kommunalwahl im nächsten Frühjahr mit einer eigenen Liste antreten könnten. Details zu den Plänen, so es sie gibt, will er nicht preisgeben. Er könne nichts beeinflussen. Nur soviel: „Wenn ein solches Vorhaben tatsächlich umgesetzt würde, wäre das sicher eine Herausforderung für die etablierten Parteien.“ Ein typischer Wiegand.