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Landwirtschaft Landwirtschaft: Nachwuchssorgen in Sachsen-Anhalt

Von Steffen Höhne 22.07.2013, 20:19
Stefanie Behrendt arbeitet im Kuhstall der Quellendorfer Landwirte.
Stefanie Behrendt arbeitet im Kuhstall der Quellendorfer Landwirte. Foto: Andreas stedtler Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Pferdewirtin. Dies ist Stefanie Behrendts Traumberuf gewesen. Die Lehrstellen für diese Ausbildung sind in Sachsen-Anhalt allerdings rar. Behrendt suchte zwei Jahre vergebens. Doch über den Reitsport lernte die 23-Jährige Klaus Schönfeldt kennen. Der Landwirt schlug ihr vor, sich für eine Lehrstelle bei den Quellendorfer Landwirten zu bewerben. Der große Agrarbetrieb im Landkreis (Anhalt-Bitterfeld) mit rund 1 000 Milchkühen stellt jährlich neue Azubis ein. Behrendt bekam die Stelle und lernte so auch Rinder lieben. Für das Quellendorfer Unternehmen mit 32 Beschäftigten ist die angehende Tierwirtin ebenfalls ein Gewinn gewesen. Mit 1,5 Notendurchschnitt schloss die ehemalige Hauptschülerin ihre Ausbildung ab - und hat seit letzter Woche ihren Arbeitsvertrag im Betrieb in der Tasche.

Lange Arbeitszeiten

Es ist ein schönes Beispiel, wie ein landwirtschaftlicher Betrieb zum erfolgreichen Start ins Berufsleben beitragen kann. Für das Engagement in der Ausbildung wurden die Quellendorfer Landwirte Ende Juni auf dem Deutschen Bauerntag zum „Ausbildungsbetrieb des Jahres 2013“ geehrt. Dies ist eine Anerkennung für die Arbeit der Firma und ein Imagegewinn für die Landwirtschaft in der Region insgesamt. Diesen kann sie gut gebrauchen. Denn seit sich die Zahl der Schulabgänger in den vergangenen zehn Jahren fast halbiert hat, tun sich viele Landwirte schwer, geeigneten Nachwuchs zu finden. Grüne Berufe sind nicht unbedingt die erste Wahl von Schulabgängern. In den nächsten Jahren droht der Branche sehr wahrscheinlich ein drastischer Fachkräftemangel.

In der Landwirtschaft tätig zu sein, heißt - trotz aller Technik - körperliche Anstrengung und lange Arbeitszeiten. Anschaulich wird dies in Quellendorf. Die 1 000 Milchkühe des Hofes werden zeitlich versetzt fast rund um die Uhr gemolken. In zwei Schichten von 7 bis 16 Uhr und von 19 bis 7 Uhr arbeiten die Beschäftigten im Melkstand - 365 Tage im Jahr. „Bevor wir neue Schulabgänger einstellen, arbeiten diese vorher mindestens eine Woche bei uns, um sich ein Bild zu machen“, sagt Schönfeldt. Viele Jungen würden gerne große Maschinen fahren. „Doch einen Azubi lassen wir nicht auf einen 300 000 Euro teuren Mähdrescher“, sagt der Landwirt. Die Lehrlinge, die im ersten Lehrjahr oft erst 15 oder 16 Jahre alt seien, würden langsam an die Arbeit herangeführt. Stefanie Behrendt sagt, es habe gedauert, bis sie das Gefühl fürs Melken hatte. Bevor die Tiere in den Melkstand kämen, werde per Hand eine Milch-Probe genommen. Wegen Geld ist sie nicht in die Landwirtschaft gegangen. „Ich wollte etwas praktisches machen.“

Doch gerade die Vergütung spielt bei den meisten Azubis eine entscheidende Rolle. Um konkurrenzfähig zu bleiben, gab es im Frühjahr 2013 in der Landwirtschaft Sachsen-Anhalts eine satte Entgelterhöhung um 25 Prozent. Seit 1. Juli erhalten die Lehrlinge laut Tarifsystem im ersten Ausbildungsjahr 600 Euro, im zweiten 650, Euro und im dritten 700 Euro. „Dies ist vergleichbar mit dem, was in anderen Branchen gezahlt wird“, sagt Ines Okunowski vom Landesbauernverband. Die Agrarbetriebe hoffen, so junge Menschen anzuziehen. In den vergangenen Jahren blieben viele Lehrstellen frei. Wie viele, dies kann Okunowski nicht sagen. Der Bauernverband hat sich die Nachwuchs-Förderung zwar auf die Fahnen geschrieben, doch tut er sich schwer, ein genaues Bild von der Arbeitsmarktlage zu geben.

Altersschere öffnet sich

Laut einer Studie des Zentrums für Sozialforschung Halle (ZSH) droht den Betrieben ein massiver Fachkräftemangel. Die halleschen Forscher ermittelten, dass im Jahr 2007 knapp 26 Prozent der Beschäftigten in der Branche älter als 55 Jahre waren. Vier Jahre später waren es bereits knapp 30 Prozent. ZSH-Forscherin Susanne Winge hat aufgrund dieser Zahlen ermittelt, dass bis 2020 etwa 5 700 der derzeit 18 000 Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen. „Rechnet man Rationalisierungen mit ein, müssen bis 2020 etwa 3 200 Stellen neu besetzt werden“, sagt Winge. Beim derzeitigen Ausbildungsniveau würden allerdings nur bestenfalls 2 620 junge Menschen in die Unternehmen kommen. Von diesen Fachkräften könnten auch noch einige in andere Bundesländer abwandern. „Seit 2007 sind die Ausbildungsquoten im Land sogar wieder gesunken“, sagt Winge. „Die Altersschere hat sich geöffnet.“ Die Wissenschaftlerin sieht daher nur eine praktische Lösung für das Problem: „Zuzug, wahrscheinlich von osteuropäischen Arbeitskräften.“

Die Quellendorfer Landwirte können ihren Bedarf selbst decken. „Seit 1992 haben wir zwölf Lehrlinge übernommen, sechs gingen zum Studium“, sagt Schönfeldt. Es sei Aufgabe jedes Betriebes, für die Zukunft vorzusorgen. Die Zahlen der halleschen ZSH-Forscher zeigen, dass dies viele Höfe nicht ausreichend tun.