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Historiker fordert Umbenennung Historiker fordert Umbenennung: Viele Oststraßen immer noch mit DDR-Namen

Von Hagen Eichler 19.10.2017, 05:52
Das Erbe des Sozialismus im Straßenbild.
Das Erbe des Sozialismus im Straßenbild. dpa

Halle (Saale) - Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der SED-Diktatur ist deren Ideologie im Straßenbild ostdeutscher Städte und Gemeinden unverändert präsent.

Häufigster Namensgeber ist Ernst Thälmann, von 1925 bis 1933 Chef der KPD. Der Berliner Zeithistoriker und DDR-Forscher Klaus Schroeder fordert, stattdessen demokratische Politiker zu würdigen.

„Wir sollten solche Leute ehren, die auch ein Vorbild für unsere Jugend sind. Thälmann gehört nicht dazu“, sagte er der MZ.

Historiker Klaus Schroeder: Ernst Thälmann war keine Lichtgestalt, sondern „ein übler Stalinist“

Der 1944 von den Nazis ermordete KPD-Chef wurde in der DDR zur Lichtgestalt verklärt. Historiker sehen Thälmanns Wirken kritisch: Der Hamburger gehörte in der Weimarer Republik zu den erbitterten Feinden der ersten deutschen Demokratie.

Als Statthalter Stalins vertrat er dessen These, Hauptfeind der Arbeiterklasse  seien die Sozialdemokraten, nicht die Nationalsozialisten. „Er war ein übler Stalinist. Nur weil er später von den Nazis umgebracht wurde, wird er nicht zum Vorbild. Sonst müssten wir ja auch den SA-Führer Ernst Röhm ehren“, sagte Schroeder der Zeitung.

250 Plätze tragen laut Schroeder im Osten Deutschlands den Namen „Platz der Einheit“

Nach seinen Recherchen sind 600 Straßen und Plätze Thälmann gewidmet. Fast alle liegen in Ostdeutschland, eine seltene Ausnahme findet sich in Thälmanns Heimatstadt Hamburg.

250 Plätze tragen laut Schroeder den Namen „Platz der Einheit“ und erinnern damit an die gewaltsame Fusion von SPD und KPD zur SED im Jahr 1946. Zudem gibt es 220 „Straßen der Freundschaft“, mit der die DDR die erzwungene Zugehörigkeit zum Ostblock unter Führung der Sowjetunion verherrlichte.

In Heimburg und Gernrode (Harz) wird bis heute der erste SED-Chef Wilhelm Pieck geehrt

In etlichen Fällen hat sogar die „Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ (DSF) überlebt, in Sachsen-Anhalt unter anderem in Querfurt, Köthen oder Möckern (Jerichower Land). In Heimburg und Gernrode (Harz) wird bis heute der erste SED-Chef und DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck geehrt.

Ostdeutsche haben das Gefühl, Westdeutsche wollten ihnen ein Teil ihrer Geschichte nehmen

Um- oder Rückbenennungen von DDR-Straßennamen gab es vor allem direkt nach der friedlichen Revolution von 1989. „Seit etwa 20 Jahren passiert da gar nichts mehr“, sagte Schroeder. Viele Ostdeutsche hätten offenbar das Gefühl, Westdeutsche wollten ihnen einen Teil ihrer Geschichte nehmen. „Wir sollten uns aber heute fragen: Wer ist wirklich ehrenswert?“

Ein Denker wie Karl Marx sei unproblematisch. Wer aber Unrecht verantwortet habe, etwa die zwangsweise Vereinigung der beiden Arbeiterparteien, sei ungeeignet.
Die Parteien sind bei dem Thema äußerst zurückhaltend. Sachsen-Anhalts CDU, die gern gegen die SED und deren Nachfolger wettert, will keine Vorstöße unternehmen.

„Für den Bürger hat eine Umbenennung auch Nachteile, er muss sich neue Dokumente besorgen“, sagte Landeschef Thomas Webel. „Vielleicht denken die Leute in 20, 30 Jahren anders drüber.“ Sein Vize Holger Stahlknecht schlug vor Jahren in seinem Heimatdorf Wellen (Börde) die Umbenennung der Ernst-Thälmann-Straße vor. Zustimmung fand er nicht. „Man muss solche Namen für eine Übergangszeit als Mahnmal der Geschichte begreifen“, sagt Stahlknecht heute.

Andreas Höppner: „Die DDR-Straßennamen gehören zu unserer Geschichte“

SPD-Landeschef Burkhard Lischka fordert historisch fundierte Argumente. Ob es um Straßen, Plätze oder Kasernen gehe: „Leider wird meist emotional oder ideologisch aufgeladen diskutiert.“ Sachsen-Anhalts Linken-Vorsitzender Andreas Höppner will DDR-Straßennamen grundsätzlich erhalten. „Die gehören ja zu unserer Geschichte dazu.“ Auch Akteure der zwangsweisen SED-Gründung will er nicht von Schildern verbannen. „Im Westen gab es ja auch Unrecht, etwa die Berufsverbote.“

Burg und Bernburg: Keine Umbenennung nach Ex-Kanzler Helmut Kohl

Straßen, die nach demokratischen Politikern benannt sind, finden sich in Sachsen-Anhalt selten. In Burg (Jerichower Land) und Bernburg etwa gibt es derzeit heftigen Widerstand gegen eine Benennung nach Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU). (mz)