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Identitäre Bewegung Identitäre Bewegung: Die neuen Terroristen?

16.10.2017, 08:00

Halle (Saale) - Seit die rechtsextreme Identitäre Bewegung einen Szene-Treffpunkt unmittelbar am halleschen Uni-Campus eingerichtet hat, ist es höchste Zeit, sich mit der Gruppierung auseinanderzusetzen, findet Johannes Varwick.

Der Politik-Professor an der Martin-Luther-Universität hat deshalb eine Podiumsdiskussion zum Thema organisiert. Im Interview mit Alexander Schierholz warnt Varwick vor einer Radikalisierung der Identitären nach dem Vorbild der linksterroristischen Rote Armee Fraktion (RAF):

Herr  Varwick, wie sollte man umgehen mit den Identitären?
Johannes Varwick: Die Identitären verstehen sich als intellektuelle Speerspitze der rechtsextremen Szene, sie wollen dem völkischen Nationalismus einen intellektuellen Anstrich geben.  Es ist die Aufgabe einer Uni, einen solchen Diskurs aufzunehmen und sich darüber offensiv mit ihnen auseinanderzusetzen.

Das heißt, Sie wollen mit ihnen reden, nicht nur über sie?
Johannes Varwick: Nein. Wir wollen sie nicht auf dem Podium haben und ihnen kein Podium bieten. Aber wir sind ja nicht naiv, natürlich werden bei der Veranstaltung auch Vertreter der Identitären auftauchen. Wir wollen deren Ansichten demaskieren und aufzeigen, wo deren Denken endet, nämlich in Krieg, Hass und Menschenverachtung.
Da kommt schnell der Einwand: Wer sich mit Rechtsextremen auseinandersetzt, wertet diese auf.
Das halte ich für zu kurz gegriffen. Die Identitären haben nicht zufällig im Sommer ein Haus direkt am Campus bezogen, sondern weil sie Einfluss nehmen und sichtbar sein wollen. Da ist es besser,  über sie zu informieren,  als sie zu ignorieren. Mir wäre es auch lieber, sie wären nicht da. Aber ich bin zuversichtlich: Jeder, der in der Lage ist, in Zusammenhängen zu denken, erkennt, dass die Sichtweise der Identitären die Gesellschaft in keiner Weise weiterbringt.

Wie gefährlich sind die Identitären?
Johannes Varwick: Ich sehe Parallelen zur 68er-Bewegung, die in den Linksterrorismus der Rote-Armee-Fraktion mündete. Natürlich hinkt dieser Vergleich. Aber ich habe die Sorge, dass die Identitären sich über kurz oder lang von der Gesellschaft abkoppeln und radikalisieren. Noch erklären sie  Gewalt zum Tabu, aber es ist nicht sicher, ob das tatsächlich so ist.

Obwohl sie so wenige sind? In Halle gehen Beobachter von etwa 20 Aktivisten aus, landesweit von 30 bis 50.     
Johannes Varwick: Trotzdem. Rechtes Gedankengut ist weit in bürgerliche Kreise vorgedrungen. Tabus fallen, es verschiebt sich der Konsens, was man sagen darf und was nicht. Dazu trägt auch die AfD bei. In so einer Gemengelage kann auch eine kleine Gruppe viel Schaden anrichten.

Muss sich die AfD da eine Verantwortung zurechnen lassen?
Johannes Varwick: Die AfD sollte sich eindeutig von den Identitären distanzieren und klären, wie sie mit Extremisten in den eigenen Reihen umgeht. Dieser Prozess steht aus. Hans-Thomas Tillschneider sitzt bei denen mit im Boot (AfD-Landtagsabgeordneter, der im Identitären-Haus ein Büro unterhält, d. Red.). Von Distanzierung kann da bisher keine Rede sein.

Wird es irgendwann dazu kommen?
Johannes Varwick: Ich denke schon. In den Parlamenten kommt die AfD auf Dauer nicht mit radikalen Parolen weiter, sie muss sich an konkreten Lösungen beteiligen - auch wenn das, zugegebenermaßen, im Landtag von Sachsen-Anhalt bisher nicht passiert. Die Frage ist auch, inwieweit die CDU zulassen will, dass ihr dauerhaft Konkurrenz am rechten Rand entsteht. Ich erwarte, dass die CDU den Versuch unternimmt, die AfD einzufangen.

Wie soll die CDU das anstellen?
Johannes Varwick: Nicht, indem sie einfach die platten Parolen der AfD nachplappert. Die CDU darf aber nicht jede Sorge vor Einwanderung als radikal abtun, sondern muss aktiver werden, was etwa die Bekämpfung von Fluchtursachen angeht oder die Integration. Das gilt übrigens auch für die anderen Parteien.

Haben die anderen Parteien solche Sorgen bisher nicht ernst genug genommen?
Johannes Varwick: Offenkundig ist das so. Es gibt zumindest in  Teilen der Bevölkerung die diffuse Grundstimmung, dass es eine Art Überfremdung gibt, das zeigt auch das  Bundestagswahlergebnis der AfD.  Das kann man nicht ignorieren. Dieser Stimmung begegnet man nur, indem man darüber aufklärt, wie die komplexen Zusammenhänge wirklich sind, etwa beim Thema Flüchtlinge.

Podiumsdiskussion „Identitäre Bewegung in Halle. Wie umgehen mit dem neuen Rechtsextremismus?“: 18. Oktober, 19 Uhr, Steintor-Campus Uni Halle, Hörsaal I (mz/asc)