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1.440 Jobs im Salzlandkreis 1.440 Jobs im Salzlandkreis: Zeitarbeiter berichtet über ihren Alltag

Von Marko Jeschor 10.10.2017, 05:45
Uwe Wolf (r.) und Michael Pechmann (3.v.r.) leiten eine der größten Zeitarbeitsfirmen in Sachsen-Anhalt. Carola Rullert (2.v.r.) ist seit mittlerweile zehn Jahren Zeitarbeiterin, Kurth Bernhard war bis zu seinem Renteneintritt angestellt.
Uwe Wolf (r.) und Michael Pechmann (3.v.r.) leiten eine der größten Zeitarbeitsfirmen in Sachsen-Anhalt. Carola Rullert (2.v.r.) ist seit mittlerweile zehn Jahren Zeitarbeiterin, Kurth Bernhard war bis zu seinem Renteneintritt angestellt. Engelbert Pülicher

Bernburg - Nein, Carola Rullert möchte nicht meckern. Und nicht laut das fordern, was man immer wieder von sogenannten Zeitarbeitern oder Leiharbeitern hört - gleiche Behandlung und gleichen Lohn. Denn sie bekommt in etwa das gleiche Geld wie die Festangestellten bei der Bauerngut Fleisch- und Wurstwaren GmbH in Könnern. Und außerdem macht ihr die Arbeit auch Spaß. „Wir sind ein gutes Kollektiv.“

Seit mittlerweile zehn Jahren ist sie bei der Gesellschaft für Zeitarbeit (GFZ) mbH in Bernburg angestellt - einer der größten eigentümergeführten Zeitarbeitsfirmen in Sachsen-Anhalt überhaupt. Und ebenso lange füllt die 55-Jährige gelernte Chemiefacharbeiterin schon für den Fleischproduzenten in Könnern die Wurst in die Därme.

Rullert hat theoretisch nach dem Tarifvertrag eine 35-Stunden-Woche, praktisch holt sie mit Überstunden im Zweischicht-System die Zeit für schlechtere Zeiten rein. Dann nämlich, wenn das Unternehmen sie gerade nicht braucht und sie zu Hause bleiben muss. Dann zehrt die Bernburgerin von ihrer Mehrarbeit, zunächst ohne Angst vor Entlassung. Maximal 150 Überstunden darf sie sammeln.

Bis zu 150 Überstunden werden gesammelt

GFZ-Geschäftsführer Uwe Wolf lud sie zum Gespräch mit der MZ ein, um über die Erfahrungen in der Zeitarbeitsbranche aus Sicht der Zeitarbeiter zu berichten - über die vorrangig positiven in ihrem Fall. Ansonsten nämlich hört man auch viel Negatives über die Branche, die, gemessen an der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, mit drei Prozent bundesweit eher zu den kleineren gehört.

Die aber gerade für Arbeitgeber in den Bereichen Verkehr, Logistik, Sicherheit, Reinigung sowie in der Metall- und Elektroindustrie von großer Bedeutung ist. Die Agentur für Arbeit spricht längst von einer festen Größe am Arbeitsmarkt. Im Landkreis sind von rund 60.000 Beschäftigten 1.440 Zeitarbeiter.

Zu den Kritikern gehören allen voran die Gewerkschaften, die immer wieder von Ausbeutung sprechen angesichts der Lohnunterschiede, die zwar Leiharbeiterin Rullert nicht beklagt, die es aber durchschnittlich nach Angaben der Agentur für Arbeit gibt. Hinzu kommen Regelungen wie den Kündigungsschutz, mit dem man Stammbeschäftigte noch immer von Leiharbeitern unterscheiden kann. Das Jobcenter macht für den Ruf teilweise auch die Zeitarbeitsfirmen selbst verantwortlich. Es gebe schwarze Schafe in der Branche, sagt Betriebsleiter Thomas Holz.

Mechaniker arbeitete 21 Jahre als Zeitarbeiter

Das Bild, das der 64-jährige Kurth Bernhard aus Alsleben zeichnet, ist etwas differenzierter, weil er nicht nur eine Firma in seinem beruflichen Dasein als Zeitarbeiter kennenlernte. Mittlerweile ist der Alslebener zwar Rentner, war aber 21 Jahre bei der GFZ angestellt - ein Mann der ersten Stunde sozusagen. In diesen Jahrzehnten erfuhr der gelernte Instandhaltungsmechaniker auch, weshalb die Branche mitunter so in Verruf geraten ist, warum die Politik immer wieder so lautstark um Änderungen ringt:

Weil er in den 1990er Jahren zunächst auf dem Bau fernab der Heimat schuftete, später dann mitunter die Betriebe wechselte wie andere die Socken. Wo er nicht selten um Stunden und damit um Lohn geprellt wurde. Und wo er eben auch als Arbeiter zweiter Klasse behandelt wurde. „Bei manchen war ich sofort voll integriert, bei manchen stand ich hinten an“, erinnert er sich. Dennoch bereut er sein Arbeitsleben als Maurer, Tischler, Schlosser und Hilfsarbeiter keine Sekunde, wie er sagt.

Jobcenter betont Bedeutung der Zeitarbeit

Wenn man deshalb von einem gewissen Spannungsfeld reden möchte, dann trifft das auch auf die Zusammenarbeit der Zeitarbeitsfirmen mit den hiesigen Jobcentern zu. Betriebsleiter Thomas Holz jedenfalls sieht zwar eine „wichtige Rekrutierungsstrategie“ bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen. Rund 15 Prozent der Menschen finden zunächst einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma - zumeist als einfacher Helfer, wofür dann ein Stundenlohn von 8,91 Euro gezahlt wird.

Läuft es ideal, wird aus dem vorübergehenden Einsatz sogar eine langfristige Anstellung. Holz spricht dabei von einem Klebeeffekt, der mit einer entsprechenden Ausbildung natürlich eher einsetzt. Läuft es dagegen nicht so gut, und das ist den Angaben zufolge offenbar eher die Regelmäßigkeit, werden die Menschen schnell wieder ein Fall für das Jobcenter.

„Ein großer Teil der Verträge endet nach kurzer Zeit wieder“, sagt der Betriebsleiter. Mit Blick auf die Arbeitslosenstatistik, sagt Holz, würde es dem hiesigen Arbeitsmarkt jedoch schlechter gehen. Wichtig sei, dass das Instrument der Zeitarbeit von der Politik nicht als Dauerlösung betrachtet werde.

Das ist sie im Fall von Rullert aber längst geworden. Das muss auch GFZ-Chef Wolf einräumen, der deshalb bereits mit dem Könneraner Wurstproduzenten gesprochen haben will. Das Ergebnis: „Manchen ist Flexibilität lieber als Lohndumping.“ Auch ansonsten scheut sich Wolf nicht vor Offenheit - anders als viele der rund 40 Zeitarbeitsfirmen im Salzlandkreis, die an einem Gespräch mit der MZ kein Interesse hatten.

Wolf, früher in der Verwaltung, baute die GFZ in den vergangenen knapp zweieinhalb Jahrzehnten Stück für Stück auf. Heute beschäftigt er an zehn Standorten im Land rund 1.000 Menschen.

Dass die GFZ neben internationalen Konzernen wie Randstad oder Manpower in Sachsen-Anhalt eine große Rolle spielt, führt Wolf vor allem auf die Kontinuität zurück. „Ich überlege immer, ob ich die Arbeit selbst machen würde.“ Der GFZ-Chef legt wert darauf, dass seine Mitarbeiter nicht auf Montage und auch sonst nicht weiter als 20 Kilometer fahren müssen, um die jeweilige Firma zu unterstützen.

Michael Pechmann, ebenfalls GFZ-Geschäftsführer, erklärt, man schicke die Mitarbeiter auch nicht mehr zu Tageseinsätzen, setze sie nicht als Umzugshelfer ein oder verbiete auch Arbeiten mit Gefahrstoffen. Außerdem „versuchen wir die Einsätze langfristig zu planen, damit die Beschäftigten einen Rhythmus haben und auch sonst keine Unsicherheit entsteht.“

Zukunft ungewiss

Dass die Bernburgerin Rullert, die sich vor ihrem GFZ-Engagement als Reinigungskraft finanziell einigermaßen über Wasser hielt, diese Gefühle nach zehn Jahren immer noch hat, liegt allerdings weniger an der Zeitarbeitsfirma als vielmehr an der Regelung, dass Firmen Zeitarbeiter neuerdings nach eineinhalb Jahren übernehmen müssen. Wie es mit ihr und den anderen „ausgeliehenen“ Zeitarbeitern danach weitergeht, ist offen. Auf MZ-Anfrage am Montag teilte das Unternehmen dazu mit, man kenne die Situation und wolle daran auch etwas ändern. Eine Sprecherin aus dem Personalbereich verwies jedoch auch darauf, dass an allen Standorten auch bereits Zeitarbeiter übernommen worden sind. (mz)