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Gastbeitrag Gastbeitrag von Justizminister Heiko Maas: AfD-Programm ist in mehreren Punkten verfassungswidrig

11.09.2017, 09:17
Bundesjustizminister Heiko Maas
Bundesjustizminister Heiko Maas AP

Berlin - Selten war eine Bundestagswahl so wichtig wie am 24. September: Verfassungsfeinde stehen vor den Toren des deutschen Parlaments. Mit der AfD könnte erstmals seit 1949 eine Partei die 5-Prozent-Hürde überspringen, deren Programm in Teilen verfassungswidrig ist.

Unser Grundgesetz entstand unter dem verheerenden Eindruck von Krieg, Diktatur und Völkermord. Die neue Verfassung war ein bewusster Gegenentwurf zur Nazi-Barbarei: demokratisch statt autoritär, europäisch statt nationalistisch, gleichberechtigt statt rassistisch. Die AfD will von diesem historischen Wertefundament unserer Verfassung nichts wissen. Sie fordert eine „Umgewichtung des Geschichtsunterrichts“ und will den Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert und die Befreiungskriege legen. Identitätsbildend soll jene Epoche des Nationalismus sein, in der Preußen-Deutschland Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich vom Zaun brach.

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes wollten es anders. Sie hatten den Krieg und das Elend erlebt, das durch Nationalismus und das Geschwätz von „Erbfeindschaften“ angerichtet worden war. Seit 1949 ist deshalb das „vereinte Europa“ als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Die AfD will dahinter zurück: den Euro abschaffen, die Integration stoppen und notfalls aus der EU austreten. Mit Artikel 23 des Grundgesetzes, der sich ausdrücklich zur europäischen Integration bekennt, wäre das nicht vereinbar.

Verbot von Minaretten zu fordern, ist verfassungswidrig

Der Rassenwahn der Nazis hatte zur Ermordung von sechs Millionen Juden geführt. Dieses Menschheitsverbrechen vor Augen, wurden 1949 die Religionsfreiheit und das Verbot der Diskriminierung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauungen in den Artikeln 3 und 4 des Grundgesetzes festgeschrieben. Selbstverständlich muss jede Religion unsere Verfassungsordnung einhalten, aber wenn die AfD pauschal das Verbot von Minaretten und Muezzin-Rufen fordert, ist dies verfassungswidrig.

In einem Rechtsstaat sorgen Polizei und Justiz für Recht und Ordnung. Damit nicht selbsternannte Hilfssheriffs auf eigene Faust handeln, besitzt der Staat das sogenannte „Gewaltmonopol“. Die Rechtspopulisten stehen auch mit dem staatlichen Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Willkür auf Kriegsfuß. Unter der Überschrift „Sicherheit der Bürger verbessern“ fordert die AfD: „Der Erwerb des Waffenscheins für gesetzestreue Bürger ist zu erleichtern.“ Das greift nicht nur das Rechtsstaatsprinzip unseres Grundgesetzes an, sondern ignoriert auch die traurige Erfahrung aus den Vereinigten Staaten: Je mehr Waffen in Umlauf sind, desto mehr Mord und Totschlag und desto weniger Sicherheit gibt es.

Vor den freiheitlichen Bürgerrechten, die sich aus dem Grundgesetz ergeben, hat die AfD wenig Respekt. Ihre Forderung, dass Untersuchungshaft gegen Verdächtige auch ohne Vorliegen von Haftgründen verhängt werden soll, verstößt gegen die verfassungsmäßige Unschuldsvermutung und das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Nach dem Willen der AfD sollen psychisch kranke Straftäter nicht mehr in der medizinischen Therapie untergebracht, sondern ohne Hilfe in der Sicherungsverwahrung weggeschlossen werden – das wäre ein klarer Verstoß gegen die Garantie der Menschenwürde in Artikel 1 des Grundgesetzes.

Grundgesetz kennt kein starres Familienleitbild

Artikel 3 des Grundgesetzes garantiert die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Diese Vorgabe ist auch Ausdruck der freiheitlichen Selbstbestimmung: Wie seine Bürger leben, das soll nicht der Staat entscheiden, sondern die Menschen selbst bestimmen. Die AfD propagiert dagegen ein „klares Familienbild aus Vater, Mutter und Kindern“ und will wegen des Geburtenrückgangs sogar ein Ministerium schaffen, dass „die Bevölkerungsentwicklung nach wissenschaftlichen Kriterien koordiniert“. Was soll das bedeuten? Will die AfD vorschreiben, wie viele Kinder wir bekommen sollen und dürfen? Zum Glück schiebt unsere Verfassung solch völkischen Fruchtbarkeitsphantasien einen Riegel vor. Unser Grundgesetz kennt kein starres Familienleitbild. Familie ist dort, wo Kinder sind und Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Und das Grundgesetz erlaubt jedem und jeder, so zu leben, wie er oder sie will.

Die AfD startet einen Frontalangriff auf viele grundlegende Werte unserer Verfassung. Und doch bin ich fest davon überzeugt, unsere Demokratie und unser Rechtsstaat sind stark genug, um sich gegen Rechtspopulisten zu behaupten. Dabei sollte uns aber bewusst sein: Es hat lange gebraucht und zahllose Opfer gekostet, bevor in ganz Deutschland Freiheit und Demokratie verwirklicht wurden und wir in Europa ein Land der guten Nachbarn geworden sind. Unser Grundgesetz gilt heute zu Recht als die beste Verfassung, die unser Land je hatte. Niemand sollte diese Errungenschaften jetzt leichtfertig aufs Spiel setzen – weder durch eine Stimme für Verfassungsfeinde noch durch Nichtwählen.

Heiko Maas ist Bundesjustizminister und Mitglied des SPD-Parteivorstandes.