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Finanzalarm an Bühnen Halle Finanzalarm an Bühnen Halle: Millionen-Loch durch Honorare

Von Christian Eger 01.09.2017, 13:59
Fassade am Neuen Theater in Halle mit Shakespeare-Zitat: „Sein oder Nichtsein, das ist die Frage. “ Einen Teil der Antwort weiß das Land Sachsen-Anhalt.
Fassade am Neuen Theater in Halle mit Shakespeare-Zitat: „Sein oder Nichtsein, das ist die Frage. “ Einen Teil der Antwort weiß das Land Sachsen-Anhalt. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Wenn ein Loch zugestopft wird: Wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? Oder läuft es zu einem anderen Loch und klagt ihm sein Leid? Wo bleibt das zugestopfte Loch? Fragen, die der Satiriker Kurt Tucholsky stellte. Seine Antwort: „Niemand weiß das - unser Wissen hat hier eines.“

Tucholsky muss Halle gekannt haben. Sein 1931 verfasster Text „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“ lässt sich bestens auf die Situation der 2009 gegründeten Theater, Oper und Orchester GmbH (TOOH) anwenden. Mit einem leicht veränderten Titel: Zur politischen Psychologie der Löcher. Denn auf ein reines Nervenspiel wird in Halle gesetzt, wo es um eine einfache Sache geht.

Die zeichnete sich seit der Spielzeit 2014/15 ab. Von dieser Saison an schossen die außerplanmäßigen Honorarausgaben der TOOH-Sparten - außer im Puppentheater - ins Monumentale. Insgesamt 1,45 Millionen Euro betrug insgesamt die Abweichung in den Spielzeiten 2014/15 und 2015/16, rund 700.000 Euro pro Saison. Oper: 510.000, Staatskapelle 170.000, Puppentheater 10.000, aber besonders erstaunlich Schauspiel: 760.000 Euro.

Finanzloch bei der Theater, Oper und Orchester GmbH (TOOH): Die Parteien schweigen

Honorare: Das sind zusätzlich georderte Leistungen, Künstler, Regisseure. Nach dem Abziehen von Mehreinnahmen schlug am Ende ein Defizit von 738.000 Euro zu Buche. Eine Summe, die mit den ohnehin wirkenden Strukturproblemen der TOOH dazu führte, dass die Stadt 2017 außerplanmäßig rund 1,7 Millionen Euro hinzuschießen muss.

Die Bühnen Halle verfügen aktuell über einen Haushalt von rund 31 Millionen Euro. Zusammengesetzt aus 20,7 Millionen (Stadt), rund 9 Millionen (Land) sowie insgesamt rund 1,1 Millionen Euro zur „Dynamisierung“ (Land und Stadt).

Im Herbst will die TOOH einen neuen Vertrag verhandeln. Ziel ist es, dass das Land jährlich rund 13 und die Stadt rund 23 Millionen Euro zahlen.

Der festliche Spielzeitauftakt findet mit allen Sparten am 10. September um 15 Uhr auf dem Opernplatz statt. Oper und Orchester spielen bereits.

Und es steht jetzt schon fest, dass 2018 noch einmal ein Defizit von rund zwei Millionen aufläuft, von dem man rund 293.000 Euro an die Stadt weitergeben will. Selbstverständlich: Nach der Senkung der Landeszuschüsse 2014 von jährlich zwölf auf neun Millionen Euro, ist die TOOH in einer ernsten Lage. Aber für das haltlose Überziehen interner Fonds ist das Land nicht zuständig.

Wer dann? Wann hat der Aufsichtsrat das Loch bemerkt? Gibt es personelle Konsequenzen? Fragen, die am Mittwoch im halleschen Stadtrat der partei- und fraktionslose Abgeordnete Markus Klätte stellte. Nicht zufällig ein Parteiloser: Die sogenannten etablierten Parteien stellen seit Jahren Stadträte im Aufsichtsrat. Zur Zeit CDU, FDP, Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die haben offenbar nichts bemerkt. Tucholsky: „Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand“.

Halles Bürgermeister Bernd Wiegand spricht vom "großen Loch"

Dass „das große Loch“ 2017 nach dem Wechsel der TOOH-Geschäftsführung von Rolf Stiska zu Stefan Rosinski sichtbar geworden sei, erklärt im Stadtrat der parteilose Oberbürgermeister Bernd Wiegand, seit 2013 Chef des TOOH-Aufsichtsrates. Vorher hätte man „partiell auftretende Lücken“ gesehen. Rosinski, dem Wiegand das Wort erteilt, erinnert die Stadträte daran, dass diese selbst seinen Vorgänger regelmäßig entlastet hatten. Obwohl „leicht größere Abweichungen“ sichtbar gewesen seien. „Leicht größere“: So ein Wortspiel bereitet Rosinski hörbar Vergnügen. Klätte fragt nach der Verantwortung. Ohne Antwort.

Ein Loch unter sehenden Augen? Bestallten Wächtern? Wie konnte das passieren? Der Aufsichtsrat habe die Überziehung erst bei seiner Sitzung am 21. April dieses Jahres festgestellt, sagt Bernd Wiegand der MZ - mit dem Bericht des Geschäftsführers und der als Prüfer auftretenden Beteiligungsmanagement-Anstalt (BMA). „Vorher wurden die Mehr-Aufwendungen für Gästehonorare teilweise in den Personalkosten verbucht“, sagt der Oberbürgermeister, „so dass Minderausgaben im Personalbereich für eine ausreichende Deckung sorgten.“ Ausreichende Deckung? Man habe auf einen Gewinn gesetzt, sagt Wiegand. Aber „der wirtschaftliche Erfolg insgesamt blieb hinter den Erwartungen zurück.“

Was konkret geschah? Eine Auflistung der Honorare würde Muster des Misswirtschaftens sichtbar machen. Die Liste stellt die TOOH nicht zur Verfügung.

Weniger Sitzplätze und rabattierte Karten

Nicht das einzige, was unsichtbar bleibt. Auch auskunftsfähige Zahlen zur Auslastung der Oper sind schwer zu haben. Deren geringere absolute Besucherzahlen werden in einem im Juli verteilten Papier als „zusätzlich verschärfend“ angeführt. Wenn das stimmen soll, wäre es eine Verschärfung nach Plan gewesen.

Denn man hatte mit dem Konzept der „Raumbühne Heterotopia“ weniger Sitzplätze eingeplant, als im Großen Haus vorhanden sind, und zudem, um neues Publikum zu gewinnen, rabattierte Karten ausgegeben. Der junge neue Operndirektor Florian Lutz wird hier nicht den Buhmann geben. Das muss er auch nicht. Nach vorläufigen Zahlen lag die Auslastung der Opernveranstaltungen vor Lutz in der Saison 2015/16 bei 70,01 und mit Lutz 2016/17 bei 68,71 Prozent.

Innerer Frieden? Nachfragen zwecklos

Dass man sich innerhalb der TOOH schlechtes Wirtschaften zum persönlichen Vorwurf macht, war auch Inhalt der Ende Juni an die Öffentlichkeit gelangten Kritik der Chefs von Schauspiel, Oper und Orchester am Geschäftsführer Rosinski. Von einem Mangel an Vertrauen bis hin zu einer „äußerst vergifteten Atmosphäre“ war die Rede. Was ist daraus geworden?

Von Rosinski ist dazu, trotz schriftlicher Nachfrage, kein Wort zu haben. Nichts aus den betroffenen Kreisen. Was hat der Oberbürgermeister als Aufsichtsratsvorsitzender unternommen, um die Lage zu klären? „Für die Zusammenarbeit bestehen klare Regeln im Gesellschaftsvertrag und in der Geschäftsordnung“, sagt Wiegand.

„Daran haben sich die Intendanten und der Geschäftsführer zu halten. Über künftige Verletzungen dieser Regeln wird der Aufsichtsrat entscheiden.“ Welche Regeln? Im Gesellschaftervertrag ist nichts Instruktives zu finden. Die Geschäftsordnungen werden trotz Nachfrage zurückgehalten. Auch hier: Man schweigt. Man mauert. Es gibt keinen Frieden. Nur Stille.

Der Geschäftsführer hat ein neues Strukturkonzept verfasst. Das soll zuerst - typisch, aber warum eigentlich? - mit dem Land beraten werden, bevor es öffentlich wird. Darin soll auch eine Sondertarifregelung mit allen Tarifgruppen vorgesehen sein; nach einem Befreiungsschlag klingt das nicht. Vorgespräche mit dem Land hätten stattgefunden, sagt Wiegand. Das Loch wandert. An dessen Rand wird im September Rolf Stiska im Finanzausschuss gehört.  (mz)