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Flüchtlinge im Mittelmeer Flüchtlinge im Mittelmeer: Deutsche NGOs und die lybische Küstenwache im Zwiespalt

Von Kordula Doerfler 22.08.2017, 14:30
Flüchtlinge auf einem Schlauchboot im Mittelmeer (Symbolbild).
Flüchtlinge auf einem Schlauchboot im Mittelmeer (Symbolbild). AP

Bis vor kurzem waren vor den libyschen Hoheitsgewässern im Mittelmeer rund ein Dutzend Schiffe privater Hilfsorganisationen unterwegs, um Flüchtlinge und Migranten vor dem Ertrinken zu retten. Sie bargen zuletzt fast die Hälfte all derer, die in seeuntauglichen Booten von der libyschen Küste aus die gefährliche Überfahrt nach Europa angetreten hatten und dann in Seenot gerieten.

Das Engagement sorgte für heftige politische Kontroversen, immer wieder wurde den Helfern vorgeworfen, den Schleusern in die Hände zu spielen oder sogar gemeinsame Sache mit ihnen zu machen.  Sowohl die italienische als auch die libysche  lybische Regierung der Nationalen Einheit haben nun den Druck auf die privaten Retter erheblich verstärkt, mit Unterstützung der Europäischen Union.

Beide Länder beschlossen einen gemeinsamen Militäreinsatz vor der libyschen Küste, Italien verlangt den privaten Rettern zudem ab, einen Verhaltenskodex zu unterzeichnen. Eine Mehrheit der NGOs hat unterdessen unterschrieben, fast alle haben ihre  Einsätze aber unterbrochen - unfreiwillig. Die meisten Schiffe liegen auf Malta oder Sizilien im Hafen und warten, seitdem Libyen einseitig eine 74 Meilen große sogenannte Save-and-Rescue-Zone vor seinen Gewässern eingerichtet hat und damit droht,  dort militärisch gegen die NGO-Schiffe vorzugehen.

Lybiens Küstenwache geht gegen NGOs vor

Bei den freiwilligen Helfern geht nun die Resignation um, gemischt mit Wut und Verzweiflung. Die meisten halten es für nicht vertretbar, dass ihre Crews zu neuen Einsätzen auslaufen. „Unser Handlungsrahmen wird immer kleiner“, sagt Axel Grafmanns, der Geschäftsführer der in Berlin ansässigen Organisation Sea Watch, gegenüber dieser Zeitung. Sea Watch gehört zu den Organisationen, die sich weigern, den Verhaltenskodex zu unterzeichnen. Alle NGO versichern immer wieder, dass sie in enger Abstimmung mit der zentralen Leitstelle für die Seenotrettung in Rom handeln und solche Noteinsätze durch internationales Recht geregelt seien. Wie es nun weitergeht, ist offen. Auf einem Krisentreffen mit den Kapitänen beschloss Sea Watch, Mitte September wieder auszulaufen, wenn es die Lage zulässt. „Wir sind in einer Sandwichposition“, sagt Grafmanns – eingeklemmt zwischen Italien und Libyen.

Die libyschen Drohungen sind durchaus ernst zu nehmen, erst vor wenigen Tagen ging die schwer bewaffnete Küstenwache erneut gegen ein Rettungsschiff vor, die Golfo Azzurro  der spanischen Organisation Proactiva Open Arms, und setzte sie in internationalen Gewässern mehrere Stunden fest. Auch Sea Watch hat bereits gefährliche Erfahrungen gemacht. Im Mai rammte eine Patrouille fast eines ihrer Schiffe und zwang es, bei einer Rettungsaktion abzudrehen – ebenfalls außerhalb der eigenen Hoheitsgewässer. „Die Sicherheit unserer Crews hat jetzt absolute Priorität“, so Grafmanns, zumal es sich um Freiwillige handele.

„Humanitäre Hilfe wird mit militärischen Mitteln verhindert“

Dieser Maxime fühlen sich auch andere Organisationen verpflichtet. „Im Moment bleibt uns nichts anderes, als abzuwarten“, sagt Hans-Peter Buschheuer, Sprecher von Sea Eye in Regensburg. „Wir sind ratlos, was wir tun sollen“, räumt er ein. Zwar liefen die beiden Schiffe der Organisation in der vergangenen Woche zu einer Protestaktion gegen das Vorgehen der libyschen Regierung aus, dann aber kehrten sie nach Malta zurück. Dort bleiben die Crews erst einmal bis auf weiteres.

„Europa schaut zu, wie humanitäre Hilfe mit militärischen Mitteln verhindert wird“, kritisiert Buschheuer. Es sei ein Skandal, die Rettungseinsätze zu beenden, zumal vollkommen unklar sei, was mit den Flüchtlingen geschehe, die nun nach Libyen zurückgebracht werden. „Menschen, die abgefischt werden, kommen zurück in die Folterlager oder die unmenschlichen Verhältnisse, vor denen sie geflohen sind.“

Dass dort, in den berüchtigten Lagern in Libyen, furchtbare Verhältnisse herrschen, ist von den Vereinten Nationen dokumentiert worden. „Es ist sehr schwer zu sagen, unter wessen Kontrolle die einzelnen Lager stehen“, sagt Stefan Dold von der Organisation Ärzte ohne Grenzen, die ebenfalls Menschen in Seenot rettet. Er war selbst bis vor kurzem an Bord des Rettungsschiffes Prudence, und was ihm Flüchtlinge berichtet haben, hat ihn erschüttert. So erzählte ein junger Mann aus dem westafrikanischen Gambia von den Zuständen in einem Lager in Savia westlich von Tripolis. 70 Menschen seien dort in einem Raum zusammengepfercht gewesen, der groß genug für zwei war. Es gab nicht genug Trinkwasser und nur eine Toilette, viele der Inhaftierten wurden schwer misshandelt. Um dieser Hölle zu entrinnen, müssen die Flüchtlinge, genauer gesagt ihre Familien, oft sehr viel Geld bezahlen – und dann noch einmal für eine Schiffspassage. Frauen berichten immer wieder von brutaler sexueller Gewalt.

Zusicherungen der Küstenwache und Behörden nötig

Auch die Prudence liegt derzeit im Hafen. Ein zweites Team von Ärzte ohne Grenzen ist noch an Bord der Aquarius, einem Schiff von SOS Méditerranée, das weiter in den internationalen Gewässern vor Libyen unterwegs ist. Ärzte ohne Grenzen will nun den Kontakt sowohl zur libyschen Seite als auch zur EU suchen, um die Situation zu klären.  Wie schwierig die Lage in dem nordafrikanischen Land ist, wissen die Ärzte, die auch vor Ort arbeiten, aber nur allzu genau. Die  Einheitsregierung hat nur Teile des Landes unter Kontrolle, auch in der Küstenwache gibt es verschiedene, oft tödlich verfeindete Fraktionen, die sich an keinerlei internationales Recht gebunden fühlen.

„Wir müssen Zusicherungen der libyschen Küstenwache und der libyschen Behörden sowie der für die Seenotrettung zuständigen italienischen Behörden bekommen“, fordert deshalb Volker  Westerbarkey, der Präsident von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, gegenüber dieser Zeitung.  Außerdem müsse sichergestellt sein, dass die Geretteten nicht nach Libyen zurückgebracht werden, wo ihnen Gefahren für Leib und Leben drohten. Von der EU verlangt Westerbarkey, die tödlichen Eindämmungsstrategien einzustellen, die dazu führten, dass Menschen schutzlos in einem Konfliktgebiet festsitzen. „Sichere und legale Fluchtwege für Flüchtlinge und Migranten sind dringend erforderlich, um unnötigen Tod und Leid zu verringern.“