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Mordfall Yangjie Li Mordfall Yangjie Li: Sind die Urteile gegen Sebastian F. und Xenia I. gerecht?

04.08.2017, 18:15
Der Ort, an dem Yangjie Li gestorben ist und viele Menschen um sie getrauert haben.
Der Ort, an dem Yangjie Li gestorben ist und viele Menschen um sie getrauert haben. Lutz Sebastian

Dessau - Unsere Autoren Lisa Garn und Kai Gauselmann ordnen das Urteil in einem Fall ein, der unser Gefühl für Gerechtigkeit auf die Probe stellt.

Es ist vorbei. Endlich. 450 Tage nach dem Verschwinden Yangjie Lis löst der Schuldspruch für ihren Mörder und seine Komplizin Erleichterung aus. Das Schicksal der jungen Chinesin hatte viele Menschen berührt und erschüttert, weit über die Region hinaus. Dieses Verbrechen hat an den Grundfesten des öffentlichen Lebens gerüttelt.

Man hat als Mitglied dieses Gemeinwesens zwar nie irgendwo etwas unterschrieben, aber für uns alle gilt ja diese Übereinkunft: Man hält sich an Recht und Gesetz und kann dafür in Frieden leben. Das wird im Kleinen zwar vielfach verletzt, Schlägereien etwa sind aber eine ungleich kleinere Erschütterung des Gefüges. Ein Mord wie dieser, aus dunkler Lust zumal, ist ein Rückfall in vorzivilisierte Zeiten.

Der Mann, der dies verbrochen hat, absolviert am Freitag den 36. Verhandlungstag wie den allerersten und die allermeisten: Sebastian F. blickt starr zur Richterin, verschränkt die Arme, atmet ruhig. Er ist teilnahmslos - dabei erhält er die härteste Strafe des deutschen Strafrechts. Der 21-jährige Polizistensohn muss wegen Mordes und Vergewaltigung lebenslang hinter Gitter.

Mordfall Yangjie Li: „Unfassbares Verbrechen“ für Richterin Uda Schmidt

Es handele sich um ein „unfassbares Verbrechen“, sagt die sonst sehr ruhig und klare argumentierende Richterin Uda Schmidt im Dessauer Landgericht. Weil die Tat so extrem brutal und grausam begangen wurde, stellt Schmidt auch eine besondere Schwere der Schuld fest.

Dass Sebastian F.s Ex-Freundin Xenia I. am Mord beteiligt war, sieht das Gericht nicht als bewiesen an. Sie wird allein wegen sexueller Nötigung in besonders schwerem Fall zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Xenia I. hatte die chinesische Studentin auf der Straße abgefangen, sie auf Englisch um Hilfe gebeten.

Mit einer heimtückischen Falle hat Xenia I. ihrem Freund ein Opfer zugeführt. Eine Überwachungskamera zeigt, wie Yangjie Li in der Toreinfahrt verschwindet. „Sie hatte keine Chance gegen den ihr körperlich überlegenen Mann“, stellte die Richterin fest. Und: „Er hat sie getötet, um die Vergewaltigungen zu verdecken. Das war seine Absicht, es gab einen direkten Vorsatz.“

Der Mordfall Yangjie Li ist voller trauriger, abstoßender, entsetzlicher Aspekte. Diese Bilder der Videokamera vor dem Tatort-Haus sind aber nicht nur schwer erträglich, weil man das böse Ende schon kennt. Diese Bilder machen deutlich, dass Yangjie Li arglos war - sie hat auch als Gast in diesem Land an die Übereinkunft von Gesetzestreue für Frieden geglaubt.

Deshalb beschämt diese Tat nun auch uns alle. Sebastian F. hat mit roher Gewalt aus dem guten und eigentlich richtigen Glauben einer jungen, klugen, aufstrebenden Frau eine fatal endende Hilfsbereitschaft gemacht. Es ist dieses Rohe, das gnadenlos genommene Recht des Stärkeren, die brutale Ausübung von Macht durch Gewalt mit einer unumkehrbaren Folge, dem elendigen Ende Yangjie Lis, das diesen Fall zu einem emotional aufwühlenden Gesellschaftsbruch machte.

Urteile im Mordfall Yangjie Li: Auf Facebook kocht die digitale Volksseele

Monster, eiskalte Augen, Killer - einige Prozessbeobachter neigten dazu, Sebastian F. als nicht-menschlich zu beschreiben. Es ist eine Einordnung, mit der man ihn aus unserer Mitte schiebt. Die Attribute des Unmenschlichen verdecken eine sehr unangenehme Wahrheit, vor der man nur allzu gerne die Augen verschließt: Sebastian F. ist nicht wie wir, aber er ist einer von uns. Und was er getan hat, tun Menschen einander an.

Nach dem Urteil kochte am Freitag auf Facebook, ohnehin nicht die Heimstatt nüchterner Abwägungen, die digitale Volksseele. Allein die Eilmeldung unserer Zeitung wurde von mehr als 200 Menschen kommentiert - die meisten äußerten Unverständnis über das Urteil, witterten eine „Kuscheljustiz“, forderten die Einführung der Todesstrafe und fanden das Urteil ungerecht.

Emotionale Reaktionen sind in diesem Falle allzu menschlich. Doch in diesem Rechtssystem bilden Urteile nicht immer das persönliche Rechtsempfinden ab. Am Ende gehört zu einem funktionierenden System auch die Akzeptanz von Schuldsprüchen. In diesem Indizienprozess galt es, entlastende und belastende Beweise abzuwägen. Sebastian F. entlastet nichts.

Für Xenia I. dagegen fällt die Strafe niedrig aus. Obwohl ohne sie die Tat nie möglich geworden wäre. Obwohl sie bei den Vergewaltigungen dabei war. „Sie ist eine Mittäterin und war bei den Sexualhandlungen beteiligt“, so Richterin Uda Schmidt. Am Ende glaubt das Gericht aber den Aussagen aus ihrem Geständnis - auch wenn Fragen offen bleiben.

Gericht spricht Xenia I. von den Vorwürfen der Vergewaltigung und des Mordes frei

Es spricht Xenia I. von den Vorwürfen der Vergewaltigung und des Mordes frei. Die Eltern Yangjie Lis wollen deshalb Revision gegen das Urteil einlegen. Dass Sebastian F. niemandem mehr etwas tun könne, sei gut - Xenia I. sei aber am Mord beteiligt gewesen und müsse entsprechend bestraft werden, ließen sie ihren Anwalt Sven Peitzner mitteilen. Xenia I. und Sebastian F. bleiben weiter in Haft.

Mit der Gerechtigkeit ist es wie mit der Wahrheit: Jeder hat seine eigene. Sie ist eine subjektive, keine objektive Kategorie. Indem das Gericht den Mörder Yangjie Lis mit der nach unserem Recht größtmöglichen Härte bestrafte, kittet es den Bruch in unserer Gemeinschaft nur. Das ermöglicht, unser Zusammenleben fortzusetzen. Aber deswegen ist auch für unsere Gesellschaft jetzt nicht einfach wieder alles gut.

Fragen und Irritationen bleiben nach Urteilen gegen Sebastian F. und Xenia I.

Solange die Tat nicht aufgeklärt, nicht gesühnt war, musste man Angst haben. Jetzt bleibt ein Misstrauen. Das Dessauer Gericht hat seinen Job gemacht. Fragen und Irritationen bleiben aber. Sebastian F. war eine tickende Zeitbombe, das haben sein Werdegang und die gutachterliche Einschätzung belegt. Gab es keine Möglichkeiten, ihn zu stoppen? Von seinen Eltern oder Behörden wie Jugendamt und Staatsanwaltschaft?

Niemand sollte sein Kind überleben müssen. Auch als Vater oder Mutter kann man den Schmerz nicht erahnen, den Yangjie Lis Eltern erlitten haben. Niemand kann ihnen die Tochter zurückgeben. Und deshalb kann es keine Gerechtigkeit für Yangjie Li geben. Nicht vor dem Landgericht Dessau, nicht vor irgendeinem Gericht dieser Welt, auch nicht mit der Todesstrafe. Wenn man Gerechtigkeit verlangt, stößt selbst der Rechtsstaat an seine Grenzen. (mz)