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Mordprozess Yangjie Li Mordprozess Yangjie Li in Dessau: Verteidiger plädieren auf Totschlag

Von Ralf Böhme 01.08.2017, 17:45
Der Angeklagte Sebastian F. versteckt sein Gesicht hinter einem Ordner.
Der Angeklagte Sebastian F. versteckt sein Gesicht hinter einem Ordner. Sebastian

Dessau-Roßlau - Sein letztes Wort vor dem Urteil im Prozess um den Tod von Yangjie Li hat es in sich. „Ich schließe mich den Worten meiner Verteidiger an“, sagte der Angeklagte Sebastian F. am Dienstag vor dem Landgericht in Dessau-Roßlau.

Es ist das erste Mal, dass sich der 21-Jährige inhaltlich äußert. Ansonsten hatte er seit dem ersten Verhandlungstag im November beharrlich geschwiegen, bis auf die wüste Beschimpfung eines Polizisten im Zeugenstand.

Mit seinem einzigen Satz zur Sache schließt sich Sebastian F. der Einschätzung seiner Verteidigung an, wonach er ein „grausames, unentschuldbares Verbrechen“ begangen hat. Diese Einordnung belegen polizeiliche Ermittlungsergebnisse und die umfassende Beweisaufnahme mit zahlreichen Zeugen und Gutachtern während des sich über neun Monate hinziehenden Verfahrens.

Demnach ist Yangjie Li Anfang Mai 2016 in ein Haus in der Dessauer Innenstadt verschleppt, dort brutal vergewaltigt und tödlich verletzt worden. Davon spricht selbst die Verteidigung den Angeklagten nicht frei, schließt aber einen Mord aus. Es sei zu keiner finalen Tötungshandlung gekommen, auch ein Tod durch Unterlassen von Hilfe habe nicht zur Entscheidung gestanden.

Die Verteidiger sehen eine schwere Vergewaltigung mit Todesfolge als erwiesen an. Da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt erst 20 Jahre alt gewesen ist und seine menschliche Reife große Defizite aufweise, fordert Rechtsanwalt Klaus Rumph für Sebastian F. eine Jugendstrafe von zehn Jahren. Sollte das Gericht am Ende auf Mord entscheiden, will die Verteidigung eine Strafe von zwölf Jahren.

Mordprozess im Fall Yangjie Li in Dessau: Anwältin der Angeklagten setzt auf Attacke

Die Möglichkeit zum letzten Wort nutzt die Angeklagte Xenia I. nicht, die sich gleichfalls wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes verantworten muss. Ihre Anwältin Christine Inselmann will diesen Vorwurf nicht akzeptieren. Nach ihrer Bewertung der Spuren, Aussagen und Persönlichkeiten geht der Tod der chinesischen Studentin allein auf das Konto von Sebastian F.

Damit widerspricht die Verteidigung von Xenia I. dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft und der Schlussbemerkung der Verteidigung von Sebastian F.

Im Gegensatz dazu geht sie davon aus, dass die Mutter von zwei Kindern zwar an der schweren Vergewaltigung, aber nicht an der Tötung von Yangjie Li beteiligt gewesen ist. Ausgangspunkt dieser Sicht sei das „voll umfängliche Geständnis“ der Mandantin, die nach eigenen Angaben die Chinesin zuletzt noch unverletzt gesehen haben will.

Danach habe sie sich vom Ort der Vergewaltigung entfernt, geduscht und sich um ihre Kinder gekümmert. Nach Auffassung ihrer Verteidigung könne dieses Verhalten plausibel sein, da die Angeklagte über eigene „Vergewaltigungserfahrungen“ verfüge. Ihr Stiefvater habe sich an ihr vergangen, später hätte Sebastian F. häufig Sex mit Gewalt erzwungen.

Rechtsanwältin Inselmann: „Xenia I. befand sich in einem starkem Abhängigkeitsverhältnis von Sebastian F.“ Erst im Laufe der Untersuchungshaft habe sie sich aus seinem Schatten lösen können. Drei Jahre Freiheitsentzug und Erlass der Verfahrenskosten, so lautet ihr Vorschlag zur Bestrafung von Xenia I.

Mordprozess im Fall Yangjie Li: Das Urteil in Dessau soll am Freitag fallen

Dass ein Urteil den Schmerz der Eltern von Yangjie Li in irgendeiner Weise gerecht werden kann, ist kaum vorstellbar. Das wird klar, nachdem Rechtsanwalt Sven Peitzner als Vertreter der Nebenklage, der im Prozess die Eltern von Yangjie Li vertritt, in seiner Stellungnahme vor Gericht die Sicht der Opferfamilie schildert. „Die Familie von Yangjie Li ist zerstört“, sagt er. Ihre Tochter, die am 9. September 27 Jahre alt geworden wäre, sei in einer Urne in die Heimat zurückgekehrt. „Das wird für immer eine offene Wunde bleiben.“

Yangjie Li sei ermordet und durch die Vergewaltigung auch entehrt worden. Die Eltern hätten große Angst gehabt, dass die die beiden Angeklagten womöglich wegen Nachlässigkeiten der Justiz davonkommen könnten.

Die Mutter und der Vater der Getöteten reagierten laut Peitzner extrem sensibel auf jeden Schritt der Aufarbeitung des Verbrechens. So sei ihnen das Verhalten der Eltern des Angeklagten Sebastian F. völlig unbegreiflich. Beispielsweise hatte seine Mutter einen Tag nach der Trauerfeier in Dessau ein Gartenlokal im Nebenerwerb mit einer Party eröffnet, wo auch sein Stiefvater anwesend war.

Als in der Öffentlichkeit kritische Fragen laut werden, sehen sich der ehemalige Dessauer Polizeichef und seine Frau, auch sie eine Polizistin, als Opfer von Sippenhaft und Hexenjagd. Auch das Gezerre darum, ob die beiden als Zeugen befragt werden können, setzt der Familie des Opfers später schwer zu.

Peitzner versucht, die Beklemmung so auf den Punkt zu bringen: „Die Eltern des Täters können ihren Sohn im Gefängnis besuchen, die Eltern von Yangjie Li werden ihre Tochter nie mehr sehen.“

Als letzte Erinnerung bleibe ihnen ein Kassenbon, den sie um 19.37 Uhr am Abend des Verbrechens im Supermarkt erhielt. Ihr Martyrium begann zwei Stunden später. Unter Vortäuschung eines Notfalls lockt Xenia I. die Chinesin von der Straße. Im Mörderhaus wartet Sebastian F., 1,90 Meter groß, 108 Kilogramm schwer und unberechenbar.
Das Urteil wird für diesen Freitag erwartet. (mz)

Sebastian F. und Xenia I. mit ihren Anwälten auf der Anklagebank.
Sebastian F. und Xenia I. mit ihren Anwälten auf der Anklagebank.
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